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Berlin: Tötete Mutter behinderten Sohn aus Verzweiflung? Betreuerin: Ämter wollten Kosten für Förderung offenbar nicht übernehmen. Haftbefehl erlassen

Sie ist nur schwer ansprechbar, doch ihr Zustand stabilisiert sich langsam: Brigitte R. ist gestern im Krankenhaus aus dem Koma aufgewacht.

Sie ist nur schwer ansprechbar, doch ihr Zustand stabilisiert sich langsam: Brigitte R. ist gestern im Krankenhaus aus dem Koma aufgewacht. Sie steht im Verdacht, ihren schwerbehinderten Sohn getötet zu haben. Danach soll sie versucht haben, sich selbst umzubringen. Vernommen werden konnte sie allerdings noch nicht, sagte der Leiter der ermittelnden Mordkommission gestern. Gegen die Frau wurde Haftbefehl erlassen.

Falls sie es war, dann war es eine „Verzweiflungstat“, ist Beatrice Huber überzeugt. Sie ist Projektleiterin der „Lumia-Stiftung“, einer Initiative für Kinder im Koma“. Die Mutter habe aus Liebe gehandelt. Huber kennt die 52-jährige Brigitte R. seit über einem Jahr. Sie hat die Mutter des schwerbehinderten Ricco (29) als Mitarbeiterin der Lumia-Stiftung im Umgang mit Kostenträgern und bei bürokratischen Problemen unterstützt.

Am Dienstagnachmittag waren – wie berichtet – Feuerwehr und Polizei in die Wohnung von Brigitte R. im Neuköllner Stadteil Rudow eingedrungen: Sie fanden dort die Leiche von Ricco R. Seine Mutter Brigitte lag schwer verletzt in der Wohnung – sie soll versucht haben sich umzubringen. Ihr Sohn starb offenbar an einer Vergiftung. „Diese Todesursache liegt sehr nahe, aber letztlich müssen wir noch das toxikologische Gutachten abwarten“, sagte der Leiter der ermittelnden Mordkommission.

„Die Frau war an ihre Grenzen gelangt, weil ihr von verschiedenen Ämtern immer wieder Knüppel zwischen die Beine geworfen worden sind“, glaubt Beatrice Huber von der Lumia-Stiftung. Sie berichtet, dass Brigitte R. seit Juli 2003 versuchte, eine neue Wohnmöglichkeit und einen Platz in einer Tagesförderwerkstatt für ihren Sohn zu bekommen.

Ricco R. hatte nach seinem Motorradunfall vor etwa zehn Jahren ein Schädelhirntrauma erlitten. Seither war er schwerbehindert und saß als Wachkomapatient im Rollstuhl. Um eine bessere Betreuungsmöglichkeit zu finden, sei Brigitte R. vor rund vier Jahren aus Forst (Brandenburg) nach Berlin gezogen, sagt Huber. Seitdem lebte der Sohn werktags im Elisabeth-Stift in Prenzlauer Berg und war dort auf der Wachkomastation untergebracht. „Doch im Laufe der Jahre hat er Fortschritte gemacht. So konnte er beispielsweise über Augenkontakt Ja und Nein zum Ausdruck bringen“, sagt Huber. Es sei deshalb längst an der Zeit gewesen, Ricco in einer so genannten Wiedereingliederungswohnung unterzubringen und ihn tagsüber in eine Förderwerkstatt zu schicken. „Dort hat er schon zweimal für ein paar Tage ein Praktikum gemacht. Hier werden die Schwerbehinderten in ihrer Entwicklung gefördert“, sagt Huber. „Doch eine Doppelfinanzierung ist schwierig. Sie ist sehr kostenaufwändig und die zuständigen Ämter wollten nicht zahlen.“

Zuständig für die Bewilligung der Kostenübernahme war in diesem Fall das Sozialamt Spree-Neiße. Da Ricco mit seiner Mutter zur Zeit des Unfalls in Forst lebte und die ersten Jahre dort die Leistungen zur „Hilfe in besonderen Lebenslagen“ bezogen hatte, musste das Amt weiterzahlen. Am vergangenen Donnerstag gab es ein Gespräch zwischen Brigitte R. und Mitarbeitern des Sozialamtes. „Ich habe sie begleitet. Es sollte geklärt werden, ob es eine vorläufige Kostenübernahme für die Förderwerkstatt gibt: Damit Ricco erst einmal auf die Warteliste kommt“, erklärt Beatrice Huber.

Doch Brigitte R. soll das Gespräch als Niederlage empfunden haben. „Nachdem man ihr immer noch nicht zugesagt hat, ist sie an ihre Grenzen gelangt: Sie fing an zu weinen“, erzählt Huber.

Die Sachgebietsleiterin des Sozialamtes Spree-Neiße, Brigitte Grothe, ist vom Fall schockiert. Doch sie sagt auch: „Wir haben gemeinsam versucht, nach Lösungen zu suchen und wollten bis zum 17. Dezember Bescheid geben und dort unseren definitiven Lösungsvorschlag unterbreiten.“

Aber die Kraft für die Wartezeit schien Brigitte R., die schwer krank gewesen sein soll, nicht mehr zu haben. Vor der Tat ließ sie die Jalousien der Erdgeschosswohnung hinunter und schloss die Tür von innen ab.

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