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Berlin: Tom Morrison (Geb. 1960)

Nur wenige fanden in sein Innerstes. Die Dichter vor allem

Die Einsamen kennen es auswendig, das Kaspar- Hauser-Lied: „ … sein leiser Schritt / An den dunklen Zimmern Träumender hin / Nachts blieb er mit seinem Stern allein … “ Allein war Tom nie, nicht am Tage. Da gab es immer Menschen, die ihn suchten, da gab es immer Menschen, die er fand, denen er zuhörte und das Gefühl gab, etwas Besonderes zu sein.

Tom wuchs in Inverness auf, im Norden Schottlands, kein reiches Zuhause, aber fünf Geschwister, die ihn Zusammenhalt lehrten. Mit 17 verließ er seine Heimatstadt. Das war das Beste, was er hinterlassen konnte: Er zeigte den Zurückgebliebenen, dass man gehen kann, ohne die Freunde und die Familie für immer zurückzulassen. Tom studierte in Edinburgh, in London, und kam schließlich nach Berlin. Er jobbte als Tellerwäscher, als Bürokraft, verdingte sich im Fremdenverkehrsamt und fand langsam in seinen Beruf als Übersetzer. Vorwiegend Gebrauchstexte, denen er dennoch alle Mühe zukommen ließ. Nicht ganz so viel Mühe wie den Autoren, die er liebte. Dass andere bessere Worte für die eigene Sehnsucht finden als man selbst, darunter litt er nie. Er war gut darin, sich hintenanzustellen, ohne sich zu verleugnen. Von den Übersetzungen konnte er gut leben, auch wenn seine Liebe zur Sprache und seine Gewissenhaftigkeit den Stundenlohn zuweilen gewaltig drückten.

Tom mochte einen klaren Rhythmus, in allem. Lunch, Tea-Time, Zigarette auf dem Balkon, BBC. Gekocht wurden drei Gerichte in stetem Wechsel, keins davon war eine kulinarische Offenbarung, auch nicht der Clootie Dumpling, ein unförmiges Pudding-Ding, das er an hohen Feiertagen auftrug.

Er hatte seinen kleinen Garten gemeinsam mit Freunden, der Fliederweg führt dorthin, in die Kolonie Samoa, wo er dem Ideal des Englischen Gärtners nachhing. Er war ein guter Schwimmer und mochte sein Aussehen. Wenn er abends ausging, trug er auffällige Hemden, was keineswegs bedeutete, dass er exaltiertes Benehmen sonderlich geschätzt hätte. Er mochte es, wenn Menschen höflich miteinander umgingen. Sein Stil war ein wenig förmlich, er hatte ein feines Gespür für Unehrlichkeit, im Umgang miteinander wie im Fügen von Worten.

„It was always easy being with Tom“, das Schweigen wie das Reden fiel leicht mit ihm. Er lebte mit zwei Freunden in einer großen Wohnung, die immer offenstand, er liebte zeitgleich drei Frauen, ohne je Eifersucht aufkommen zu lassen: Jane Austen, Claire Waldoff und Marlene Dietrich, ansonsten stand er auf Männer.

Er liebte alles, was er tat, ohne groß Aufhebens davon zu machen. Selbst auf dem Krankenbett hatte er ein Augenzwinkern für seine Freunde, a twinkle in his eye, was so viel schöner klingt. Er wollte nicht sterben. Zwei Sätze seines letzten Willens brachte er zu Papier, dann brach er ab. So viel Schönes war noch in seinem Kopf. Er bat darum, in Berlin eingeäschert zu werden, und er wollte zurück in die Heimat. Dort, unweit von Inverness, erhebt sich ein Berg, nach schottischen Maßstäben, der Stac Pollaidh, nicht der höchste Hügel seiner Art, aber einer der schönsten. Dort wollte er seine letzte Ruhe finden, dort verstreuten seine Freunde und Familienangehörigen die Asche.

Viele trauern um Tom, aber es waren wenige, die geradewegs in sein Innerstes fanden, die Dichter vor allem, die jene Worte sprechen, die sich umstandslos ins Herz senken. Verse, die lange nachklingen, Echo eines Lebens, auch seines Lebens, das unvollendet blieb, denn er hätte noch vielen Gehör geben können, auf seine ganz eigene Weise. Wer sonst verstünde es, selbst den Versen Trakls, ohne sie zu verfälschen, eine Nuance mehr Glück, mehr Zärtlichkeit und Zuversicht abzugewinnen: „his soft steps / Now haunting the dark rooms of dreamers. / Night would find him with his star alone … “

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