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Vor dem Brandenburger Tor stehen leere Stühle, um auf die Situation der Hotel- und Restaurantbesitzer aufmerksam zu machen.

© REUTERS/Michele Tantussi

Tourismusbranche fordert Schutzschirm: Hoteliers warnen vor massiven Steuerausfällen

Der Tourismus in Berlin liegt am Boden. Die Branche fordert in einem Offenen Brief Hilfe von der Politik, damit die Stadt ihre Anziehungskraft nicht verliert.

Die Lage für die Hotels könnte dramatischer kaum sein. Im vergangenen Jahr zählte die Branche noch 14 Millionen Übernachtungen. Die Coronakrise hat den Umsatz plötzlich und unerwartet fast komplett einbrechen lassen.

Am Sonntag wandten sich über 70 Hotels – darunter das Grand Hyatt, das Bristol am Kurfürstendamm, das Hotel de Rome und die Titanic Hotels – in einem Offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister, alle Abgeordneten und Senatoren unter dem Motto „Berlins Autoindustrie ist die Tourismusindustrie“.

Dieser Brief wurde an alle Adressaten auch persönlich versandt. „Daran hängen hier in der Stadt rund 250.000 Jobs“, sagt Dehoga-Präsident Christian Andresen, der sich „sehr große Sorgen“ macht. Es geht um die Touristen, von denen bislang die meisten aus den Ländern gekommen sind, die von der Coronakrise besonders betroffen sind: Großbritannien, Italien, Spanien und den USA.

Fast wichtiger noch aber sind die Kongresse, die einen Großteil des Geschäfts der Hotels ausmachen. Auf absehbare Zeit werde es auf diesem Sektor kein Geschäft geben. Daran hängen auch viele andere Branchen: die Caterer für Speisen und Getränke, Möbel- und Geschirrvermieter, der Handel und die Kultur.

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Wie eng das alles verzahnt ist, wird gerade erst offensichtlich. Andresen fürchtet einen Teufelskreis. „Lässt man das alles kaputt gehen, muss das Land auf Dauer massive Steuerausfälle verkraften.“ Wenn die Menschen ängstlich seien, wie im Moment, verschlechtere das die wirtschaftliche Lage noch.

„Mit 30 Prozent Belegung kann man ein Hotel nicht finanzieren, kann auch das Personal nicht halten.“ Dann würden auch die Banken skeptisch, wenn es um Kredite geht. So viele Hoteliers hätten in letzter Zeit umgebaut, erweitert und renoviert, gibt Andresen zu bedenken. Allein die Kredite, die dafür aufgenommen wurden, müssten irgendwie zurückgezahlt werden.

Begleiter des Aufstiegs

Michael Zehden, der den Brief initiiert hat, war 2002 Mitbegründer vom Runden Tisch Tourismus, an dem auch der jeweilige Regierende Bürgermeister sitzt. Den Aufstieg Berlins zu einem Touristenmagnet hat der vielfach auch ehrenamtlich engagierte Geschäftsführer des Crowne Plaza Berlin City Center hautnah miterlebt.

Michael Zehden, Geschäftsführer des Crowne Plaza Berlin City Center.
Michael Zehden, Geschäftsführer des Crowne Plaza Berlin City Center.

© promo

Am Telefon spricht er von den vielen Anstrengungen, die nötig waren, um die Touristenzahlen in den vergangenen 15 Jahren mehr als zu verdoppeln. Dazu zählten Verträge mit großen Airlines, um etwa Direktverbindungen in die USA zu schaffen, die Touristen von dort hierher brachten, dazu zählte die Fanmeile beim Fußballmärchen 2006, aber auch die Etablierung der großen Silvesterparty vor dem Brandenburger Tor, die neben New York und Sydney zu den am meisten beachteten weltweit zählt.

Aber auch den Winterzauber nennt er, der die Touristenzahlen in den dunklen Monaten in die Höhe schießen ließ. „Davon profitierte auch der Handel.“ Zuschüsse zwischen 9000 und 14.000 Euro könnten Künstlern und kleinen Unternehmern helfen, aber bei großen Hotels mit den vielen, jetzt unterbeschäftigten Angestellten sei das ein Tropfen auf den heißen Stein. Für ihn ist ganz klar: „Die Berliner Hotels brauchen einen Schutzschirm.“ In diesem Jahr sei mit einer Rückkehr des Geschäfts nicht mehr zu rechnen.

Alles auf Gastfreundschaft

„Man darf nicht zulassen, dass der Branche das Rückgrat gebrochen wird“, sagt Christian Andresen. „Dann kommt sie nicht wieder hoch“. Man müsse unbedingt bedenken, was alles am Tourismus dran hängt. Weder die 19.000 gastronomischen Betriebe noch die 70 Einkaufszentren noch Museen oder Spielbetriebe könnten ohne Touristen auskommen.

Gerade die kulturelle Vielfalt, der Trubel, das große Angebot an attraktiven Restaurants mache die Stadt besonders lebenswert, ziehe also auch viele junge Start-up-Unternehmen an. Auf längere Sicht sieht er durchaus gute Chancen für die Branche, wenn sie es schafft zu überleben.

Als besonderer Magnet werde künftig auch das gute Gesundheitssystem der Stadt wirken. „Die Menschen sind vorsichtig geworden.“ Vor 2022 werde man aber auf keinen Fall wieder an die Zahlen vor Corona anknüpfen können. Mit Normalität rechnet er eigentlich erst wieder ab 2023.

Nun kommt aus seiner Sicht alles darauf an, dass man den Gästen auch dann noch die Vielfalt an Hotels und Restaurants anbieten kann, für die Berlin berühmt ist, und die sie also auch erwarten. Es gebe ja keine Industrie hier, man habe alles auf die Gastfreundschaft gesetzt.

Die Seele nach außen gekehrt

Burkard Kieker, Geschäftsführer der Stadtmarketing-Gesellschaft visitBerlin, übt sich derweil in positivem Denken. Schon schwirren in seinem Kopf Ideen für eine neue Kampagne, die Berlin als „mit Abstand“ attraktives Reiseziel auch in der Krise darstellen wird. Er hofft, dass noch in diesem Jahr wenigstens eine gewisse Zahl von Touristen aus Deutschland, aber auch der Schweiz und Österreich zurückkommt.

„Seit dem Mauerfall hat die Stadt ihre Seele nach außen gekehrt“, sagt er. Das lasse sich nicht einfach so zurückfahren, zumal 50 bis 80 Prozent der Besucher von Kulturinstitutionen Touristen seien. Allein die Kongresswirtschaft habe 145.000 Veranstaltungen jährlich in Berlin, und zwar alles zwischen Riesenveranstaltungen wie der Grünen Woche oder der ITB und kleinen Management-Meetings mit 30 bis 50 Personen.

„Visit Berlin“-Chef Burkard Kieker.
„Visit Berlin“-Chef Burkard Kieker.

©  T. Kierok/promo

Letztere will er möglichst ebenfalls noch in diesem Jahr zurückholen, natürlich unter Einhaltung strengster hygienischer Auflagen. Veranstaltungen mit bis zu 100 Teilnehmern machen immerhin 84 Prozent des Geschäfts aus, weiß er aus dem Stand. Touristen hätten im Moment zwar andere Prioritäten als Städtetourismus, da macht Kieker sich nichts vor.

„Aber wir werden auch davon profitieren, dass wir so weit sind und so grün.“ Social Distancing im Grunewald sei ja kein Problem. Berlin habe viele grüne Ecken, in denen man sich aus dem Weg gehen kann. Auf Facebook, wo die Stadt 1,7 Millionen Freunde hat, pflegt er Kontakt mit Liebesbotschaften an vergangene und zukünftige Gäste: „From Berlin with love.“ Antworten wie „Hope to visit you soon“ geben ihm Hoffnung. Das Fernweh kann die Krise nicht auslöschen.

„Wir halten gerade eben den Kopf über Wasser“

Seine Zuversicht speist sich wohl auch daraus, dass er in seinen elf Jahren an der Spitze von visitBerlin nur gute Zeiten gekannt hat. Allein in den vergangenen zehn Jahren erwirtschaftete die Stadtmarketinggesellschaft 96,9 Millionen Euro Profit, die wieder in Werbemaßnahmen geflossen sind.

Für dieses Jahr hatte er sogar 14 Millionen Euro Gewinn angepeilt. Der Traum ist aus: „Wir halten ja gerade eben den Kopf über Wasser.“ Inzwischen ist er durch den Ausfall der Provisionen sogar auf Landeszuschüsse angewiesen.

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