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Treffpunkt Kreuzberg. Nicht nur Besucher aus dem Ausland kommen zur Admiralbrücke nach Kreuzberg, sondern auch Berliner, die Touristen in der eigenen Stadt spielen.

© Paul Zinken

Touristen in Kreuzberg: Von Besuchern überwältigt

Nicht nur Berlin diskutiert über soziale Veränderungen und die Folgen des Tourismus. Auch in anderen Großstädten wird über diese Themen gestritten – aber entspannter.

Die Temperaturen steigen – und die Admiralbrücke füllt sich wieder mit Besuchern. Ein paar Schritte weiter drücken sich Menschen mit Reiseführern in der Hand die Oranienstraße entlang. So mancher ruft da „Hilfe, die Touris kommen“, wie kürzlich die Kreuzberger Grünen, die unter diesem Titel zur Diskussion luden. Die öffentliche Aufmerksamkeit war groß. Am heutigen Montag geht die Debatte über die Folgen von sozialen Veränderungen und Massentourismus in eine neue Runde. Das Bezirksamt lädt Anwohner des Görlitzer Parks zur Diskussion über Veränderungen ihres Bezirks ein, diesmal unter dem weniger provokanten Titel „Der Kiez im Wandel“. Denn auch das Gründerzeitquartier hat in letzter Zeit überdurchschnittlich an Beliebtheit bei Besuchern und Zugezogenen gewonnen – nicht immer zur Freude der Altbewohner. Als Anti-Touri- Veranstaltung will Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) den Abend aber nicht verstanden wissen. Besucher von außen seien „überlebensnotwendig“ für den Kiez. Dass Alteingesessene das „ungeheuere Tempo“ der Entwicklung beunruhigt, findet er aber verständlich.

Die Kreuzberger Debatte über den Tourismus ist kein Berliner Phänomen, wie die nachfolgenden Beispiele anderer Metropolen zeigen.

NEW YORK

New York
New York

© picture-alliance/ dpa

In der Stadt hat es immer wieder Beschwerden von Bewohnern von Mietshäusern gegeben, in denen einzelne Wohnungen an ständig wechselnde Besucher vermietet wurden – ähnlich wie man das auch aus Innenstadtvierteln wie der Wilhelmstraße in Berlin-Mitte hört. „Viele Menschen haben darüber geklagt, dass ihre Lebensqualität dadurch verschlechtert wurde“, sagt Christopher Heywood, stellvertretender Geschäftsführer der Tourismuswerbegesellschaft „NYC & Company“. Dem habe New York jetzt einen Riegel vorgeschoben: Vom 1. Mai an dürfen Privatleute keine Zimmer mehr an Touristen vermieten, Mietverträge von weniger als 30 Tagen Dauer sind generell illegal.

„Aber ein wirkliches Problem mit dem Tourismus haben wir nicht“, stellt Heywood ausdrücklich fest. Im Gegenteil: Den meisten New Yorkern sei bewusst, „dass der Tourismus ein Grundpfeiler unserer Wirtschaft ist“. 48,7 Millionen Besucher habe New York jedes Jahr, darunter eine halbe Million Deutsche. Die Einwohnerzahl New Yorks liegt bei 8,4 Millionen. „Es gibt immer Leute, die keine Touristen mögen, weil sie ihnen im Wege stehen“, sagt Heywood. Konflikte seien aber eine Ausnahme. Viel lieber spricht er von erfolgreichen Kampagnen wie „Just Ask The Locals“, die er und seine Kollegen kürzlich gestartet haben: Touristen sollen ermuntert werden, New Yorker direkt anzusprechen und nach Tipps zu fragen, eine Website dient als zusätzliches Forum für den Austausch. Und New Yorker sollen ermuntert werden, hilflos wirkenden Besuchern dabei zu helfen, sich in der Stadt zurechtzufinden. Eine ähnliche Kampagne gab es im WM-Jahr 2006 in Berlin: Unter dem Titel „Berlinizer“ konnten Berliner mit Ansteckern Besucher dazu auffordern, sie anzusprechen und um Hilfe zu bitten.

PARIS

Paris
Paris

© picture-alliance/ dpa

Auch an der Seine versucht man, die Interessen von Besuchern und Bewohnern in Einklang zu bringen, berichtet Michel Mari, Marketingleiter beim Regionalen Fremdenverkehrsamt Paris Ile-de-France. So trägt der Massentourismus zu den ohnehin wachsenden Verkehrsproblemen bei. An der Kathedrale Notre-Dame zum Beispiel hätten in der Vergangenheit mehr und mehr Busse alles zugeparkt. „Das hat zu so großen Problemen geführt, dass der Bürgermeister von Paris große Busparkplätze weiter außerhalb bauen ließ und das Parken vor Notre-Dame untersagte“, sagt Tourismuswerber Mari. Auch das von Touristen besonders frequentierte Seineufer soll vorübergehend für Fahrzeuge geschlossen werden.

Generell gebe es aber „keine großen Probleme“ mit dem Massentourismus in Paris, der sich nach offiziellen Zählungen auf rund 60 Millionen Touristen im Jahr summiert. Nur den einen oder anderen Interessenkonflikt in besonders frequentierten Bezirken, die ein wenig an die aktuellen Debatten in Kreuzberg erinnern. So gebe es in angesagten Vierteln wie dem Rive Gauche oder dem Quartier de Belleville immer wieder Diskussionen darüber, wie man die Interessen der Nachtschwärmer und die der übrigen Bewohner vereinbaren kann. Dabei gehe es zwar auch um jüngere „Party-Touristen“, sagt Mari, aber eben auch um viele Pariser, die die Nacht zum Tag machen: „Wir feiern auch gerne“, sagt der Tourismuswerber. Kürzlich habe seine Stadt eine Untersuchung angeschoben, wie man die Interessen am besten ausgleicht, in Kürze sollen die Ergebnisse veröffentlicht werden.

VENEDIG

Venedig
Venedig

© picture-alliance/ ZB

In Venedig hat der Tourismus über die Jahrzehnte zu einer „Vertreibung“ vieler Einheimischer geführt, bilanziert Francesca Perotto, die bei der venezianischen Stadtverwaltung für Tourismus zuständig ist. „Der Druck auf dem Wohnungsmarkt ist vor allem wegen der Zunahme touristisch genutzter Wohnungen enorm gestiegen, die steigenden Preise haben viele Bewohner gezwungen, wegzuziehen.“ Leider habe bisher keine Stadtverwaltung eine Lösung für das Problem gefunden, stellt Perotto fest. „Die größte Herausforderung ist es, eine nachhaltige Tourismusstrategie zu entwickeln, die auch der Lebensqualität und Mobilität der Venezianer Rechnung trägt.“

So versuche die Stadtverwaltung derzeit, „die unaufhaltsame Welle an Massentouristen“, wie es Francesca Perotto nennt, zumindest ein wenig dadurch abzuschwächen, indem der „Qualitätstourismus“ gefördert wird, also Besucher mehr dafür sensibilisiert werden sollen, wie einzigartig aber auch wie fragil die Stadt Venedig ist. Über die Website www.veniceconnected.com werden zum Beispiel Touristen ermuntert, ihren Besuch vorher im Detail zu planen. So sollen die Menschenmassen auf die ganze Stadt verteilt werden. Durch Preisnachlässe werden Gäste zum Beispiel ermuntert, außerhalb der Saison zu kommen und Sehenswürdigkeiten nicht nur zu den populärsten Tageszeiten zu betrachten.

AMSTERDAM

Einerseits hat der niederländische Zeitungskorrespondent Rob Savelberg für die deutsche Debatte nur Spott übrig. „Berliner lieben die eigene Nabelschau“, sagt der Journalist, der unter anderem für die Tageszeitung „De Telegraaf“ aus der deutschen Hauptstadt berichtet. „Hier, und nirgendwo sonst, ist die Mitte der Welt. Wir sollen ein schönes selbstverwirklichtes, multikulturelles Leben haben, aber bitte nicht zu viele Ausländer, auch nicht wenn sie Jobs und Geld in die Pleitestadt mit 60 Milliarden Euro Schulden bringen.“ Andererseits gibt der Journalist zu, dass auch daheim in Amsterdam die Angst vor den Folgen der Popularität der Stadt bei ausländischen Gästen zunimmt: „Der Massentourismus hat viel Flair zerstört“, sagt der in Kreuzberg lebende Korrespondent über seine alte Heimat. Überall sehe man inzwischen „grölende Engländer und besoffene Amis“, also „die Generation der Easyjetsetters“. Der aggressive Kommerz habe in Amsterdam „viele kleine Läden und Subkultur verdrängt“. Es gebe kaum gute oder bezahlbare Klubs mehr.

Savelberg hat für seine niederländischen Leser bereits über die Berliner Debatte berichtet, andere Auslandskorrespondenten erwägen ebenfalls, die Kreuzberger Debatte zum Thema zu machen. Auch, weil sie sich wundern, dass gerade „der wohl wichtigste Wirtschaftsfaktor Berlins nun unter Kritik steht“, wie Michael Kuttner sagt, Berlin-Korrespondent für die Dänische Zeitung „Berlingske“. Der irische Journalist Derek Scally, der für die „Irish Times“ aus Deutschland berichtet, lebt selbst ebenfalls in Kreuzberg und ist „nicht gerade begeistert darüber, dass meine Straße jetzt in einem Reiseführer steht“. Aber die aktuelle Debatte, wie man den Tourismus eindämmen könnte, findet er „albern“, wie er sagt: „Touristen verdrängen zu wollen, ist wie die Schwerkraft ausschalten zu wollen.“

Diskussion „Der Kiez im Wandel“, Beginn 18 Uhr, im Lido-Club, Cuvrystraße 7

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