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Volker-Wilhelm Thiemich führt die Tischlerei in der fünften Generation. Sie war 1865 gegründet worden.

© Stephanie Birk

Traditionsunternehmen: Das sind Berlins älteste Betriebe

Von Backwerk bis Tischwerk: Viele Unternehmen existieren in Berlin schon mehr als 100 Jahre. Wir haben einige von ihnen besucht.

Die lange Geschichte ist in der Bäckerei Siebert zu spüren. „Hier haben meine Großeltern früher mit drei Kindern geschlafen“, erzählt Lars Siebert und blickt sich im heutigen Konditorraum um. Wo im Wohnzimmer bei Sieberts Großeltern zwei Verkäuferinnen auf der Couch schliefen, trinken die Menschen heute ihren Kaffee an kleinen Tischchen. Im Jahr 1906 eröffnete Urgroßvater Siebert die Bäckerei in der Schönfließer Straße in Prenzlauer Berg.

Seit fast 30 Jahren führt Lars Siebert sie heute in der vierten Generation. Die Brötchen schmecken hier noch so wie vor 100 Jahren. „Wir haben den alten Stil immer beibehalten und die Rezeptur nie verändert“, sagt Siebert. Die Brötchen sind klein und kompakt. Das sei historisch bedingt, und größer sei nicht gleich besser. Die Brötchen sind nicht die einzige Spezialität der kleinen Bäckerei. Für das kräftig gebackene Landbrot nehmen manche Kunden einen langen Weg auf sich. Auch das Rezept der Pfannkuchen ist seit Generationen gleich geblieben. Das kommt gut an: Mehr als 8000 Pfannkuchen verkauft die Bäckerei an Silvester. „Die Schlange reicht dann bis zur nächsten Ecke und um die Ecke rum“, berichtet Siebert von den Erfahrung der vergangenen Jahre.

„Hier haben meine Großeltern früher mit drei Kindern geschlafen“, erzählt Lars Siebert im heutigen Konditorraum.
„Hier haben meine Großeltern früher mit drei Kindern geschlafen“, erzählt Lars Siebert im heutigen Konditorraum.

© Stephanie Birk

Morgens um 10 Uhr hat Siebert schon neun Stunden Arbeit hinter sich. Es muss schließlich alles frisch sein. In der Backstube wirbeln heute acht Bäcker, normalerweise sind es elf. Unter ihnen befindet sich auch Sieberts Tochter Anke Siebert. Gerade bestreicht sie frische, warme Stollen mit Butter. Zuerst hatte sie nur als Studentin bei ihrem Vater ausgeholfen. Als sie den Masterabschluss geschafft hatte, entschied Anke Siebert sich dann doch noch für die Bäckerlehre. Zu Freuden Lars Sieberts. Eines Tages wird der Laden wohl in die Hände der 33-Jährigen übergehen.

Bäckerei & Konditorei Siebert, Schönfließer Straße 12, 10439 Berlin. Geöffnet Dienstag bis Freitag, 6:15 – 18:30 Uhr, Samstag 6 – 12:30 Uhr. Sonntag und Montag geschlossen.

Späth’sche Baumschule

Es war einmal… die größte Baumschule der Welt. Anfang des 20. Jahrhunderts zählte die Späth’sche Baumschule 2.500 Mitarbeiter. Die deutsche Geschichte setzte der extremen Entwicklung der Firma jedoch ein schnelles Ende. 1945 wurde der Inhaber Dr. Hellmut Späth von den Nationalsozialisten hingerichtet. Davon weiß der heutige Geschäftsführer und ursprüngliche Obstgärtner Holger Zahn mit ernster Miene zu erzählen, in seinem Büro im historischen Kontorgebäude. Der verzierte Holzstuhl ist nur eine der Sachen, denen ihre lange Geschichte anzusehen ist.

Viele Pflanzen haben ihren Ursprung in der Berliner Baumschule. „In Großstädten ganz aktuell ist jetzt wieder die Späth-Erle von 1908“, sagt Zahn. Späth-Erlen ließen sich zum Beispiel rund um den Bahnhof Ostkreuz finden. Zu gärtnern liegt im Trend, gerade in der Stadt und bei jungen Leuten. Trotzdem fällt es dem Unternehmen schwer, sich weiterzuentwickeln. Zahn beklagt, die öffentlich Hand würde zu wenig ins Grün investieren. Er verspürt viel Verantwortung für den Traditionsbetrieb. „Ich will nicht der Totengräber sein“, sagt Zahn.

Holger Zahn, anfangs Hilfsgärtner, ist mittlerweile Geschäftsführer des Berliner Traditionsunternehmes Späth'sche Baumschulen.
Holger Zahn, anfangs Hilfsgärtner, ist mittlerweile Geschäftsführer des Berliner Traditionsunternehmes Späth'sche Baumschulen.

© Daniela Incoronato

Mit allen Mitteln bemüht er sich, dass es immer weiter geht mit dem ältesten Unternehmen Berlins, das bereits 1720 von Christoph Späth vor dem Halleschen Tor gegründet wurde. Immer mehr Veranstaltungen richten sich direkt an private Kunden, vom Weinfest über Frühlings- und Töpfermarkt bis zum Weihnachtsmarkt. Für die Mitarbeiter sei das nicht immer einfach, sagt Zahn. So werden Gärtner auch mal ganz schnell zum Parkplatzwächter.

Nach langem Streit mit der Stadt Berlin musste die Produktion jetzt eingestellt und viele Flächen platt gemacht werden. "Innerhalb von einer Woche musste ich 30.000 Bäume schreddern", sagt Späth entsetzt. Grund sei die Änderung der Fernverkehrsstraße zur Anwohnerstraße. Dadurch fielen durch Straßenreinigungskosten ein Haufen Schulden an. Doch Zahn ist sich sicher: "Auch das werden wir überleben." Die Bäume kommen jetzt nicht mehr aus Berlin, sondern aus Brandenburg. Trotzdem würde für den Besucher alles gleich bleiben können.

Späth'sche Baumschulen, Späthstraße 80/81, 12437 Berlin, Öffnungszeiten: Pflanzenverkauf wieder ab März (Januar und Februar ist Winterpause), Hofcafé Späth: Di bis Fr: 12-18 Uhr, Sa und So: 10-18 Uhr, Hofladen und Skulpturengarten: Di bis Fr: 10-17 Uhr, Sa: 10-16 Uhr und So: 11-16 Uhr

Kino Moviemento

Der erste Stock war die Rettung. Wer vor 100 Jahren am Kottbusser Damm 22 die Treppen zum ersten Stock genommen hat, stand direkt in einem riesigen Kinosaal mit 400 Plätzen. Heute findet man dort die Kinokasse, die Popcornmaschine und ein paar zum Gespräch einladende Sessel. Auf einem sitzt Iris Praefke, die heutige Besitzerin des ältesten Kinos in Berlin, das Anfang des Jahres 1907 eröffnete. „Wir sind eben ein Kommunikationsort, das hat man in großen Kinos oder Zuhause nicht“, betont sie.

Die Betreiber des Kreuzberger Moviemento-Kinos, Iris Praefke und Wulf Sörgel.
Die Betreiber des Kreuzberger Moviemento-Kinos, Iris Praefke und Wulf Sörgel.

© Foto: Mike Wolff

Mit mittlerweile drei Sälen ist das Kino heute Treffpunkt für Medienpädagogen, Filmemacher, Schauspieler und Gäste. Zu Stummfilmzeiten wurden hier nicht nur die Plätze vor, sondern auch hinter der Leinwand verkauft. Das Bild hat man dann einfach seitenverkehrt gesehen. Damit der Zuschauer die Titel mitlesen konnte, wurde ein Spiegel eingebaut. „Weil die Tickets nur die Hälfte gekostet haben, war das total beliebt“, sagt Praefke. Auch heute kenne sie noch Leute, die auf diese Art Filme geschaut haben.

In den Achtzigerjahren wurde hier nur ein Film gespielt: die Rocky Horror Picture Show. Jahrelang war das Kino damit ausverkauft. Bis die Menschen anfingen, mit Klopapier, Salz und Reis zu werfen. Der Reis keimte und drückte sogar Sitze heraus. Jeder Erfolg ist vergänglich. Trotzdem hat es das Moviemento geschafft. Als Praefke und ihr Kollege Wulf Sörgel das Kino vor 12 Jahren übernahmen, musste viel investiert werden.

So einen Ort gibt man nicht einfach auf. Damals kamen rund 16.000 Besucher pro Jahr, heute sind es um die 100.000. Der Kreuzberger Standort bringt einen erheblichen Vorteil: als Gewerbefläche ist er schwer zu vermieten. Praefke vermutet: „Wäre das Kino nicht im ersten Stock, würde es so nicht mehr existieren.“
Kino Moviemento, Kottbusser Damm 22, 10967 Berlin. Geöffnet Montag bis Sonntag ab 10 Uhr.

Tischlerei Thiemich

154 Jahre ist es her, dass die Tischlerei von Karl-Wilhelm Thiemich im Jahr 1865 in Moabit gegründet wurde. Seitdem wird sie von Generation zu Generation vom Vater zum Sohn weitergegeben. Mittlerweile in der fünften Generation leitet Volker-Wilhelm Thiemich den Betrieb. „Dass ich Tischler werde, war für mich von Anfang an klar“, Thiemich. Nach der Schule ging er in die Lehre, arbeitete eine Weile, machte seinen Meister und als sein Vater nicht mehr wollte, übernahm er den Betrieb.

Und wie hat seine Tischlerei es geschafft, die älteste von Berlin zu werden? „Wir sind fair und ehrlich“, sagt er. Wo ein Kunststofffenster denselben Zweck erfülle, baue er kein teureres Holzfenster ein. So kommen die Stammkunden immer wieder. Die Nachfrage ist da, doch einfach ist es als kleiner Traditionstischler nicht immer. „Jeder will zwar einen Handwerker in der Nähe haben, aber nicht direkt bei sich vor der Tür“, beklagt Thiemich.

Ausschlaggebend sei der Lärm, sei es auch nur ein in der Früh gestartetes Auto. Der Umgang zwischen Anwohnern und den Tischlern hätte sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Dazu käme deutlich mehr Hektik. „Heute muss alles innerhalb von zwei Tagen fertig sein. Ein Kunsthandwerk benötigt aber Zeit“, sagt Thiemich. Und wie geht es weiter? Obwohl es mittlerweile viele Tischlermeisterinnen gäbe, hätten seine zwei Töchter kein Interesse daran, den Betrieb eines Tages zu übernehmen. „Ich bin jetzt der letzte Thiemich“, stellt der Tischlermeister etwas wehmütig fest.

Tischlerei Thiemich, Provinzstraße 10, 13409 Berlin. Geöffnet Montag bis Donnerstag, 7 – 16:30 Uhr, Freitag 7 – 13:30 Uhr.

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Stephanie Birk

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