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Taxiunternehmerin Anke Hübner vor ihrem Inklusionstaxi.

© Thilo Rückeis

Transportmittel für elektrisch betriebene Rollstühle: In Berlin fahren nur ein Dutzend Inklusionstaxis

Das ehrgeizige Projekt der Sozialsenatsverwaltung scheitert bisher an den Finanzen und dem Widerwillen der Fahrer

Karow also. Kann ja sein, dass jemand aus Karow anruft und einen Wagen bestellt. Das ist ein Beispiel, das der Taxiunternehmerin Anke Hübner spontan einfällt. Karow, im Norden Berlins, kann sie nicht bedienen, Anke Hübner ist mit ihren Inklusionstaxis in Spandau. „Es lohnt sich für mich nicht, nach Karow zu fahren“, sagt sie, „die Leerfahrt bezahlt mir keiner. Und in Karow will da vielleicht einer nur um die Ecke.“ Mitte, Charlottenburg, das ist die Grenze, weiter in den Norden fährt sie nicht.

Natürlich könnte ein Fahrgast ein Inklusionstaxi bestellen, das näher an Karow steht. In der Theorie funktioniert das, in der Praxis nicht – mangels Masse. In Berlin fahren nur gut ein Dutzend Inklusionstaxis. „Und die meisten stehen im Westen der Stadt“, sagt Anke Hübner, die zwei dieser Fahrzeuge besitzt. Deshalb geht eine gute Idee ziemlich schief. Die Senatssozialverwaltung will die Hauptstadt flächendeckend mit Inklusionstaxis abdecken. Bis 2021 sollen 250 dieser Spezialfahrzeuge über die Straßen Berlins rollen. „Doch so, wie das Projekt jetzt läuft, kann es nicht weitergehen“, sagt Leszek Nadolski, der Chef der Berliner Taxi-Innung.

Elektrisch betriebene Rollstühle benötigen viel Platz

Das Projekt: Rollstuhlfahrer, die mit großen, elektrisch betriebenen Rollstühlen unterwegs und somit auf fremde Hilfe angewiesen sind, sollen rund um die Uhr die Möglichkeit haben, von A nach B zu kommen. In ein normales Taxi passen die massigen Rollstühle nicht, deshalb sollen extra gefertigte Inklusionstaxis den Transport übernehmen. Das sind Transporter – zum Beispiel ein VW Caddy –, in die eine Rampe eingebaut wird.

Damit sich für Taxiunternehmen der Umbau lohnt, werden Umbau und Rampe von der Senatssozialverwaltung finanziert, genauer gesagt vom Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso). Maximal 15 000 Euro erhält ein Taxiunternehmer an Förderung, das reicht auf jeden Fall. Normalerweise kostet ein Umbau zwischen 10 000 und 11 000 Euro.

Die Bilanz nach 18 Monaten ist kümmerlich

Seit 9. November 2018 können die Gelder beantragt werden. Doch jetzt, nach 18 Monaten, fällt die Bilanz überaus kümmerlich aus. Sozialverbände protestieren, die Senatssozialverwaltung ist auch unzufrieden und Nadolski sagt: „Ich bin bei vielen Veranstaltungen mit dem Vorwurf konfrontiert, dass wir mit den Inklusionstaxis so weit zurückliegen, dass es nicht mehr akzeptabel ist. Ist es ja auch nicht.“

Warum ist das so? Anke Hübner sagt: „Da kommen einige Dinge zusammen.“ Zum einen das Geld. Die Kosten für den Einbau der Rampe werden zwar übernommen, aber zunächst muss ein Unternehmer in Vorleistung gehen. „Ich kann den Antrag auf die Subvention erst stellen, wenn ich das Auto gekauft habe“, sagt die Unternehmerin. Sie hatte sich für rund 50 000 Euro einen VW Caddy angeschafft, 18 000 Euro sofort bezahlt und für den Rest Ratenzahlung vereinbart. Aber in den rund 50 000 Euro waren die Kosten der Rampe eingerechnet, und auf die Gesamtsumme bezahlte sie Mehrwertsteuer. Das Fördergeld vom Lageso erhielt sie jedoch erst nach drei Monaten. Sie ging also in Vorleistung. Zudem dauert der Umbau ebenfalls sechs bis acht Wochen, in der Zeit kann sie mit dem Taxi kein Geld verdienen.

Viele Fahrer wollen nicht ans Steuer eines Inklusionstaxis

Nächstes Problem: Viele Fahrer wollen gar nicht ans Steuer eines Inklusionstaxis. Das hören Anke Hübner und Leszek Nadolski von ihren Kollegen immer wieder. Einige hätten schlicht keine Lust, auszusteigen und die Fahrgäste mit ihren klobigen Rollstühlen ins Auto zu lassen und sicher zu positionieren. Anderen, sagt Anke Hübner, „ist der Caddy zu unbequem. Die wollen bei der Arbeit bequemer sitzen“. Oder Fahrer stießen nachts auf eine Form der Hilfsbereitschaft, die zumindest für sie frustrierend sei. „Wenn die mit ihren Inklusionstaxis vor einem Club stehen, steigen Jugendliche oft nicht ein“, sagt Anke Hübner. „Die sagen dann: Da würden wir einem Behinderten ein Auto wegnehmen.“ Sie nehmen in diesem Moment aber vor allem einem Fahrer dessen Einnahmen weg.

1,47 Millionen Euro für den Umbau zu Inklusionstaxis sind im Landeshaushalt 2018/19 eingeplant, aber nur „knapp 63 000 Euro wurden bisher abgerufen“, sagt Stefan Strauß, der Pressesprecher der Senatssozialverwaltung. „Die Entwicklung der zur Verfügung stehenden Inklusionstaxis hat sich nicht so entwickelt, wie es beabsichtigt war.“ Also hat die Senatsverwaltung reagiert und die Richtlinien für die Förderung verändert. Jetzt werden auch Fahrzeuge subventioniert, die maximal zwei Jahre alt sind. Bisher waren zwölf Monate die Grenze. Ein Fahrzeug darf nun auch mehr Gesamtkilometer mehr auf dem Tacho haben als früher, maximal aber 100 000 Kilometer. „Die überarbeitete Förderrichtlinie erhöht den Anreiz zum Kauf beziehungsweise Umbau eines geeigneten Autos“, sagt Strauß. Die Änderungen sollten „zu einer positiven Entwicklung der Anzahl von Inklusionstaxis führen“.

Strauß sagt angesichts der Fördersumme auch: „Am Geld kann es also nicht gelegen haben.“ Aber das Geld spielt ein Rolle. „Wir haben in der Innung 2500 Einzelunternehmer, für die ist es sehr schwer, Vorkasse zu leisten“, sagt Nadolski. Er selbst hat kein Inklusionstaxi, „ich bin Alleinunterhalter“. Er führt einen Ein-Personen-Betrieb.

Taxinnung ist sauer auf den BerlKönig

Außerdem ist die Innung sauer gewesen auf den BerlKönig – das Sammeltaxi-Angebot der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Nadolskis Verband betrachtet den BerlKönig, dessen Autos nur im Ostteil der Stadt fahren dürfen, als weitere Konkurrenz, welche die Einnahmen schmälert. Beim Projekt BerlKönig arbeiten die BVG und die Firma ViaVan, an der Daimler zur Hälfte beteiligt ist, zusammen. Doch die Zukunft des BerlKönigs ist ungewiss. Die bisherigen Zuschüsse von 43 Millionen, die bisher ViaVan trägt, soll die Stadt Berlin übernehmen, dafür gibt es aber derzeit keine politische Mehrheit. Das Angebot des BerlKönig soll auf ganz Berlin ausgeweitet werden. Der Vertrag der BVG mit ViaVan läuft noch bis Ende April. Aufgrund der Coronakrise gibt es nun neue Pläne.

Nadolski mache die „die Ablehnung des Projekts Inklusionstaxi“ durchaus Kopfzerbrechen. Er findet es grundsätzlich „sehr gut“. Schwerstbehinderte in ihren massigen Rollstühlen zu transportieren, „ist eine soziale Aufgabe, die man erfüllen sollte“. Auch Anke Hübner betont, dass sie „die Inklusionstaxis auch aus sozialen Aspekten“ angeschafft habe. Dessen Fahrgäste erhalten zudem besondere finanzielle Unterstützung. „Wenn eine Berechtigung vorliegt, können jeweils für einen Monat Taxiquittungen im Versorgungsamt eingereicht werden, sie werden anteilig erstattet. Monatlich können maximal bis zu 125 Euro für eingereichte Taxiquittungen erstattet werden“, sagt Strauss. Einen Eigenanteil in Höhe von 40 Euro müssen die Betroffenen übernehmen.

Die Unternehmerin muss wirtschaftlich denken

Auch Anke Hübner betrachtet den Transport von Schwerstbehinderten „als sehr, sehr schön“, weil die Fahrgäste nett seien und „gutes Trinkgeld geben“. Nur: „Ich muss ja wirtschaftlich denken.“ Vier weitere – normale – Taxis gehören zu ihrem Unternehmen, „die laufen okay“.

Innungschef Nadolski beschäftigt sich damit, wie er die Unternehmer seines Verbands doch noch für den Kauf von Inklusionstaxis motivieren kann. Demnächst stellt ein englischer Hersteller von Inklusionstaxis seine Fahrzeuge in Berlin vor. Das Ganze hat nur einen Nachteil: "Die Autos sind sehr teuer."

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