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Am Tag nach dem plötzlichen Tod des Eisbärs Knut ist die Trauer im Berliner Zoo und der Stadt groß.

© AFP

Trauer um den Eisbären: Knuts Hinterbliebene

Am Sonntag trauerten die Fans des Eisbären an seinem Gehege. Manche beschimpften den Zoo und seinen Bärenkurator.

Schon am Sonntagmorgen ist es voll im Zoo, obwohl das Wetter nicht so frühlingshaft ist wie angekündigt. Es ist eher, nun ja, Eisbärenwetter. Am Haupteingang stehen zwei Grablichter neben einem Plüschteddy. Der kürzeste Weg zur Eisbärenanlage führt an einer Eiche vorbei, die mehr als 500 Jahre alt ist und immer noch lebt. Ihr gegenüber steht die von tausenden Händen polierte Bronzeplastik von Knautschke. Das Flusspferd war 45, als es starb. Knut wurde nur vier.

Der kalte Wind weht Gesprächsfetzen vorüber: Hirnblutung. Embolie. Wenigstens ging es schnell. Der Thomas hatte ja damals … – mehr ist nicht zu verstehen, weil das Papier raschelt, aus dem eine Frau die Tulpen wickelt, die sie gleich an der Hecke vor Knuts Revier niederlegen wird. Menschen, die in einer Hand ihre Brille halten und in der anderen ein Taschentuch, kommen einem entgegen.

Die drei Mitbewohnerinnen von Knut raufen in ihrem Wasserbecken. Im größeren Teil der Anlage steht nur eine Pfütze vor den verwaisten Felsen. Am Samstagabend wurde das Wasser abgelassen, um Knut zu bergen. Ein laminierter Zettel informiert, dass die Anlage bis zur Klärung der Todesursache gesperrt bleibe. Und dass „Zoo und Tierpark tief betroffen“ sind. Ein Blick in die Augen von Heiner Klös zeigt, dass das stimmt. Der Bärenkurator steht in seiner grauen Windjacke vor der Hecke und lässt sich von einer dicken Frau beschimpfen. „Knut ist den Stresstod gestorben!“, faucht sie. Als Hundebesitzerin sei sie gewissermaßen vom Fach und wisse, dass die Haltung ihn zugrunde gerichtet haben.

Er verstehe die Emotionen, sagt Klös. „Die Leute haben ihr Leben mit Knut geteilt.“ Ein harter Kern von etwa zwei Dutzend Fans sei täglich bei ihm gewesen. Es gehe ihm jetzt etwas besser als am Samstag, sagt Klös. Auf seiner Handy-Mobilbox sei viel Zuspruch angekommen in den vergangenen Stunden. Im Übrigen warne er vor voreiligen Schlüssen. Dann kommt die dicke Frau zurück. Sie bittet um Entschuldigung, „ich wollte Sie nicht angreifen“. Ist gut, sagt Klös und schlägt einen gemeinsamen Nenner vor: „Wir haben vier tolle Jahre gehabt.“ Die Frau willigt ein.

Neben ihr diskutieren drei andere Frauen, ob der Zoo bei der angekündigten Sektion die notwendige Objektivität walten lässt. Und eine fragt, ob es gut war oder schlecht, dass sie ausgerechnet gestern nicht im Zoo war. Sie wissen es alle drei nicht genau. Sicher sind sie sich nur, dass die drei älteren Bärinnen Knut das Leben zur Hölle gemacht haben. Seit Wochen habe er sich wegen des Mobbings von seinem kleinen Felsvorsprung kaum mehr weggetraut. Artgerecht sei das garantiert nicht gewesen.

Artgerecht ginge nicht, sagt Klös, „aber tiergerecht“. Zu der Diagnose „gebrochenes Herz“ stellt er klar: „Dann würde ein Tier eingehen wie eine Primel, aber nicht plötzlich zusammenbrechen.“ Am Montag werde geklärt, wo und von wem der Bär untersucht wird. Von der Sektion hänge auch ab, ob er anschließend präpariert werden kann. Grundsätzlich sei das ebenso denkbar wie die Verwendung für die Forschung. Neben ihm steht Frank Bruckmann, der Aufsichtsratschef. Er ist an diesem Sonntag ebenso freiwillig hergekommen wie viele Zoo- Mitarbeiter. „Wir wollen die Ursache ganz genau wissen“, sagt er und wirkt etwas ratlos dabei.

Zoodirektor Bernhard Blaszkiewitz ist am Vormittag nicht zu sehen. „Ungewöhnlich“ und „schade“ sei Knuts früher Tod, zitiert ihn eine Nachrichtenagentur. Aber der Tod eines Tieres sei „ein normaler Vorgang in einem zoologischen Garten, der immer wieder auftritt“.

„Den Blaskiewitz müsste man auf den Mond schießen“, sagt eine Besucherin. Ihre Begleiterin nickt heftig. Eine andere erklärt ungefragt das Drama des Bären: Erst Thomas Dörflein weg, dann Knuts Gefährtin Giovanna („Das war so ’ne Liebe!“) weg, schließlich Knuts Lebensmut weg. Auf einem Zettel neben ihr in der Hecke steht: „Für Thomas und Knut. Danke für eure Liebe. Sie ist stärker als das Leben.“ Ein anderer Zettel wünscht beiden, dass sie im Himmel vereint sind.

Dörflein, der Knut gleichzeitig Vater, Mutter und Spielkamerad war, starb im September 2008 mit nur 44 Jahren, ganz plötzlich. Ein Schock für viele, die sich Knut-Fans nannten, aber mindestens ebenso große Dörflein-Fans waren. „Knut hatte ja zum Schluss niemanden mehr“, sagt eine Frau. „Man hätte ihn woanders hinschicken können, wo er mit Gleichaltrigen zusammen ist“, findet sie. Allerdings hat eine Initiative namens „Knut forever in Berlin“ mehr als 30 000 Unterschriften für seinen Verbleib in Berlin gesammelt. Klös wagt die Anmerkung, dass sowohl bei der Ankunft von Knuts zeitweiliger Gefährtin Giovanna als auch bei ihrer planmäßigen Rückkehr „teilweise dieselben Leute“ protestiert hätten.

Etwas abseits der mentalen Eruptionen sitzt Marlies Adams auf einer Bank und ordnet ihre Gedanken. Das Ergebnis ist ein Dilemma: Ein Tierbaby musste, um zu überleben, wie ein Menschenkind aufgezogen werden. Es wurde einerseits zu einem unberechenbaren Raubtier, wie es seine Art ist, und andererseits zu einem Angsthasen, der gegen seinesgleichen den Kürzeren zog. Eine verstoßene Waise mit Pranken. Sie sei in letzter Zeit nicht mehr oft hier gewesen, sagt Frau Adams, „weil ich mir den Anblick ersparen wollte“. Dem Zoo kreidet sie an, „dass er erst einen Star aus ihm gemacht hat und dann unbedingt ein ganz normales Tier wollte“. Der Ausweg wäre wohl gewesen, ihm von den Millionen, die er einspielte, ein tolles Einzelgehege zu bauen für die Zeit bis zur Geschlechtsreife, und ihn dann mit einer Partnerin zusammenzubringen. Verrückt findet Frau Adams die Dramatik dieses Eisbärenlebens. Und auch die des großen Ganzen. Allein die letzte Woche: Japan verwüstet, Libyen bombardiert, Knut tot. Irgendwie wird die Welt immer unübersichtlicher.

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