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"Trauerspiel" der Kulturen: Eklat in Jüdischer Gemeinde

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin steht vor einem Scherbenhaufen. Nachdem sich der Vorsitzende Albert Meyer (Bild) enttäuscht zurückgezogen hat und von einem "Rachefeldzug" spricht, soll nun Gideon Joffe das Amt übernehmen.

Berlin - In der zerstrittenen Jüdischen Gemeinde zu Berlin ist es zum Eklat gekommen: Der erst im Januar 2004 gewählte Vorsitzende Albert Meyer wirft nach einem internen Machtkampf das Handtuch. Die Krise gipfelte darin, dass ein Vorstandsmitglied Meyer Untreue vorwarf. Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte nach einer Durchsuchung Unterlagen in der Gemeinde. Meyer wies am Mittwoch die Vorwürfe der Untreue zurück, er sprach von einem «Rachefeldzug». In der größten jüdischen Gemeinde Deutschlands schwelt seit längerem ein Streit zwischen dem Vorsitzenden und russischstämmigen Zuwanderern.

Meyer sprach von Beleidigungen und Schlägen, die weit über das Erträgliche hinaus gegangen seien. «Ich bin scheibchenweise entmachtet worden», sagte der Rechtsanwalt, der als Vertreter des liberalen Judentums gilt. Zugleich betonte der 58-Jährige, «diese Personen» seien nicht repräsentativ für die Zuwanderer, die ein «Segen» für die Gemeinde seien. Die deutschen Juden aus der ehemaligen Sowjetunion stellen mittlerweile die große Mehrheit der 12.000 Mitglieder.

Meyer kündigte seinen Rückzug bereits für Mittwochabend an. Sein Stellvertreter Arkadi Schneiderman, ein Gegner des Vorsitzenden, war angesichts Meyers Äußerungen empört - dieser verdrehe die Tatsachen. Schneidermans Worten nach soll nun Gideon Joffe - seit kurzem Vorsitzender der Repräsentantenversammlung und mit Jahrgang 1972 sehr jung - an der Spitze der Gemeinde nachfolgen. Möglicherweise könnte er schon bei einer Vorstandssitzung am Montag gewählt werden, sagte Schneiderman.

Der Leiter des Moses Mendelssohn Zentrums in Potsdam, Julius Schoeps, zeigte sich besorgt über die Entwicklung. «Das ist das Ende der deutsch-jüdischen Tradition», sagte er. «Die Lage ist enorm schwierig.» Nach Auffassung von Kennern der Gemeinde steckt kein Streit zwischen den verschiedenen religiösen Strömungen dahinter, sondern eher ein sozio-kultureller Konflikt. Die «Berliner Zeitung» sprach in einem Kommentar von einer «deutsch-russischen Tragödie». Das Zusammenspiel der unterschiedlichen Kulturen gerate zu einem «Trauerspiel».

Die Schlagzeilen um den Gemeindevorstand stehen im Kontrast zu dem seit einigen Jahren wieder blühenden jüdischen Leben in der Haupstadt. Dort gibt es mittlerweile unter anderem sieben Synagogen, jüdische Cafés und Restaurants, Kultur- und Fördervereine, ein College, jüdische Presse und nicht zuletzt das Jüdische Museum von Daniel Libeskind. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit preist in einem Grußwort zu den Jüdischen Kulturtagen das «Selbstbewusstsein einer wachsenden jüdischen Gemeinde, die sich in Berlin heimisch und sicher fühlen kann». Ob diese neue Leben nun Schaden nimmt? Der Publizist Rafael Seligmann sah es gelassen: «Ich mache mir auch keine Sorgen um Deutschland, wenn ein SPD-Vorsitzender aufhört.» Und Meyer glaubt, dass die Gemeinde «auch diese Krise» überstehen wird. (tso/dpa)

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