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Auf der Kinderklinik der Charité auf dem Virchow-Campus in Berlin-Wedding.

© Kitty Kleist-Heinrich

Überlastete Rettungsstellen in Berlin: Kinderärzte helfen Kinderärzten

In Berliner Notaufnahmen sind 70 Prozent der Patienten keine Notfälle. Bekommt die Stadt das Problem in den Griff? In Wedding könnte das klappen.

Im Schnitt geht jeder dritte Berliner einmal im Jahr in eine Notaufnahme. In einigen Wartesälen sitzen vielköpfige Familien, weil der Sohn sich beim Spielen gekratzt hat – und es gibt Männer und Frauen, die regelmäßig kommen, weil sie unter Einsamkeit leiden. Bis zu 70 Prozent der jährlich 1,2 Millionen Fälle in den Rettungsstellen, so die Senatsgesundheitsverwaltung, könnten ambulant versorgt werden – in einer Praxis um die Ecke, nicht unbedingt in einer Klinik.

Immer mehr niedergelassene Ärzte helfen den überlasteten Rettungsstellen. Am Donnerstag hieß es aus dem Gesundheitswesen gar, es sei langfristig Besserung in Sicht. Anlass für die Hoffnung war ein Treffen zwischen Ulrich Frei, ärztlicher Direktor der Charité, und Burkhard Ruppert, der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin (KV). Sie verlegen die Kinder-Notpraxis von der DRK-Klinik in der Drontheimer Straße auf den nahen Charité-Campus. Und zwar weil dort im Virchow-Klinikum 36.000 Kinder im Jahr versorgt werden, dieser Ort also dringender Hilfe von außen braucht.

Endlich Entlastung für die Mediziner

Dem sonst so nüchternen Charité-Direktor Frei war die Freude anzusehen: endlich Entlastung für seine Mediziner. Und so nannte Frei die Arbeit mit KV-Chef Ruppert „ermutigend“ – ein Seitenhieb auf dessen Vorgänger. Die früheren KV-Chefs wollten nicht in die Niederlassungsfreiheit ihrer Zunft eingreifen, die Ärzte also nicht auf eine Arbeit neben Rettungsstellen verpflichten. Die KV ist als öffentlich-rechtliche Organisation für die ambulante Versorgung gesetzlich Versicherter zuständig.

Jede Sekunde zählt. Zumindest manchmal. Oft wären Patienten im Wartezimmer einer Praxis besser aufgehoben.
Jede Sekunde zählt. Zumindest manchmal. Oft wären Patienten im Wartezimmer einer Praxis besser aufgehoben.

© imago/snapshot

Die neue Praxis ist in der Virchow-Kinderrettungsstelle in Haus 8 untergebracht – wer von den Notfallärzten nicht als Notfall eingestuft wird, kann also gleich ins Zimmer nebenan. Nächstes Jahr sollen zwei neue KV-Praxen für Erwachsene öffnen. Ziel sind stadtweit letztlich 13 solcher Einrichtungen. Bislang gibt es sechs davon: Für Kinder neben der erwähnten Virchow-Praxis noch je eine in Lichtenberg, Charlottenburg und Tempelhof; für Erwachsene eine Praxis am Unfallkrankenhaus in Marzahn und die erst in diesem Sommer eröffnete KV-Praxis im Jüdischen Krankenhaus.

In die Rettungsstellen der Stadt strömen seit jeher massenhaft Patienten – sei es, weil sie keinen Termin beim Praxisarzt in ihrem Viertel bekommen haben. Sei es, weil es bequemer ist, schließlich gibt es 38 dauergeöffnete Notaufnahmen in der Stadt. Sei es, weil die Patienten aus ihren Heimatländern eher Kliniken statt Praxen kennen (was nicht nur Einwanderer aus dem Nahen Osten, sondern auch aus Amerika betrifft).

Dilek Kolat: Wenn's nicht gelingt, Zuständigkeiten überdenken

Kliniken, Senat und Kassenärzte stritten darüber, wer die weniger akut erkrankten, zuweilen bloß larmoyanten Berliner nun zu versorgen habe: die mit Spitzentechnik ausgerüsteten Rettungsstellen – oder die niedergelassenen Ärzte, die laut Gesetz für ambulante Fälle zuständig sind? Der Druck auf die KV stieg. Sie begrüße die aktuelle Einigung mit der KV in Wedding, sagte Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD), nun müsse die sich praktisch bewähren: „Ich erwarte verlässliche Standards für alle Patientinnen und Patienten.“
Sie hoffe, sagte Kolat, dass auch die neue Nummer 116 117 bekannter wird, unter der ein KV-Bereitschaftsdienst erreichbar ist. Und die Senatorin gibt sich streng: „Wenn das nicht gelingt, müssen wir die Zuständigkeiten überdenken.“ Vielleicht werden Historiker dereinst über den Herbst 2018 sagen, dass das Berliner Gesundheitswesen damals den entscheidenden Schub erhalten hat.

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