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Berlin: Überlebt, eingelebt – und weggeschickt

Die meisten türkischen Erdbebenopfer mussten Berlin wieder verlassen. Für Elif ist Adoption die einzige Chance

Die achtjährige Elif Hergünöz, die 1999 als Halbwaise aus dem türkischen Erdbebengebiet nach Berlin kam, kann darauf hoffen, von ihren Pflegeeltern adoptiert zu werden – dann könnte sie bleiben. Doch die meisten der Erdbebenopfer, die hier bleiben wollten, mussten wieder zurück. Dabei hatten viele in der alten Heimat ihre Existenzgrundlage verloren und konnten sich in Berlin mit Hilfe von Verwandten ein neues Leben aufbauen.

„Die wenigsten von ihnen sind Kinder“, sagt die Ausländerbeauftragte Barbara John. Sie schätzt, dass mehrere hundert Türken nach dem Beben vor dreieinhalb Jahren zu Verwandten hierher gekommen sind. Das Erdbebengebiet lag in der Nähe von Istanbul, viele der 180000 Türken in Berlin haben dort Angehörige, sagt John. Weil man schnell helfen wollte, hätten sich die Behörden damals darauf verständigt, dass die Betroffenen mit einem Touristenvisum kommen können, auch weil man glaubte, dass die meisten nur kurzfristig bleiben wollen.

Die meisten seien auch längst wieder zurückgereist. Nicht wenige aber wollen dauerhaft hier bleiben, auch wenn sie das nicht von Anfang geplant hätten. Viele Verfahren seien noch nicht abgeschlossen, etlichen drohe die Abschiebung, sagt John. „Vieles im Leben entwickelt sich, gerade das Leben eines Kindes lässt sich nicht vorplanen.“

Ob sich jemand hier eingelebt hat, wie Elif fließend Deutsch spricht, hier Freunde oder einen Ausbildungsplatz gefunden hat, spiele bei der Frage einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung aber „leider keine Rolle“. Wer mit Touristenvisum kommt, muss zurück und im Ausland einen Antrag auf dauerhaften Aufenthalt stellen, so stehe es im Gesetz.

„Immer wird gefordert, dass sich die Leute hier integrieren sollen“, sagt Özcan Mutlu, der migrationspolitische Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, „und für die Aufenthaltsgenehmigung spielt es dann doch keine Rolle“. Das sei ein Widerspruch, der auch nicht aufgelöst werde, wenn es sich um Kinder handle, die in der Schule sind oder Jugendliche, die einen Ausbildungsplatz gefunden haben. Natürlich sei es schwierig abzuschätzen, wann sich jemand hier eingefunden hat. Dennoch wundert sich Mutlu, dass die Innenverwaltung nicht öfter Fälle von der Ausländerbehörde an sich zieht und politisch entscheide, „anstatt immer ein Auge zuzudrücken, wo das Amt rein formal juristisch zu Ungunsten der Betroffenen urteilt.“

Die flüchtlingspolitische Sprecherin der PDS weist darauf hin, dass im Koalitionsvertrag vereinbart worden sei, bei Ermessensfragen wie dem von Elif Hergünöz zugunsten der Betroffenen zu entscheiden. „Das ist eine gute Formel, ob sie umgesetzt wird, hängt von der Mentalität des jeweiligen Behördenmitarbeiters ab“, sagt Karin Hopfmann.

Ob jemand Deutsch spricht, ob er fähig und willig ist, Deutsch zu lernen und ob jemand hier Arbeit findet, spiele durchaus eine Rolle, heißt es in der Ausländerbehörde. Wenn Kinder aus dem Ausland zur hier lebenden Mutter nachziehen, sei das sogar ein entscheidendes Kriterium.

Im Fall von Elif hatte die Ausländerbehörde am Donnerstag in letzter Minute die Duldung um einen Monat verlängert. Bis dahin ist das Adoptionsverfahren, das Tante und Onkel in der Türkei beantragt haben, womöglich abgeschlossen. Dann hätte Elif ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht. Ihre Mutter war beim Beben ums Leben gekommen.

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