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Seit 40 Jahren lebt Juppy seinen Traum in der Ufa-Fabrik. Seinen bürgerlichen Namen Hans-Josef Becher hat er seit langem abgelegt.

© Thilo Rückeis

Ufa-Fabrik in Berlin: Chefkommunarde Juppy wird 70

Auch an seinem Geburtstag denkt Juppy nicht ans Stillsitzen. Er und das ehemalige Besetzerprojekt in Tempelhof sind sich treu geblieben.

Nie ohne meinen Hut. Juppys Markenzeichen. Dieses flache Torero-Hütchen, unter dessen Krempe er zuweilen mit seinen kleinen Augen wie Django hervorlugt, bevor er wieder einen Spruch aus der Hüfte raushaut. Mit seinen zottligen Haaren, die früher mal rot waren und inzwischen fahl geworden sind, steht Juppy auf dem Gelände der Ufa-Fabrik in der „Straße des 9. Juni“, die den Besucher spontan und etwas irreführend an die Revolte in der DDR von 1953 erinnert.

Um Revolte, freilich ganz anderer Art, ging es auch einstmals in der Tempelhofer Viktoriastraße, nur einen Steinwurf entfernt vom Ullstein-Gebäude. Das Straßenschild neben dem Café erinnert an den 9. Juni 1979, als rund 100 junge Menschen das seit Jahren ungenutzte und heruntergekommene Gelände der einstigen Ufa-Film besetzten – eine „friedliche Inbetriebnahme“, wie auf dem Straßenschild betont wird.

In dem früheren Kopierwerk der deutschen Traumfabrik erfüllen sie sich seit nun fast 40 Jahren ihren Traum vom selbstbestimmten Leben und arbeiten: solidarisch, gleichberechtigt, und ohne Hierarchien. Juppys Traum, den er bis heute lebt. Wo er „Seelsorger, Künstler, Psychologe, Geschäftsmann, Sheriff, Feuerwehrmann“ ist, wie er von sich sagt – „einer, der versucht, die Sorgen und Probleme der Bewohner in unserem Ufa-Land zu erfassen“.

Er kennt alle, die in der Hauptstadt was zu sagen haben

Das ist längst nicht alles. Ein begnadetere Kommunikator und Lobbyist ist der unumstrittene Chefkommunarde, der am Sonntag 70 Jahre alt wird, auch noch. Kein gesellschaftliches oder politisches Ereignis, vom Sommerfest der Berliner Landesregierung bis zum CDU-Parteitag, bei dem Juppy nicht auftaucht. Er kennt sie alle, die in der Hauptstadt was zu sagen haben. Und selbst jene, die er noch nicht kennt, werden sofort konsequent geduzt.

Richard von Weizsäcker war präsidial wohlwollend, Klaus Wowereit kaufte schon am Anfang seiner Karriere als Tempelhofer Stadtrat sein Brot in der Ufa-Fabrik, für Walter Momper machte sich Juppy auf dem SPD-Parteitag als Regierenden Bürgermeister stark, und selbst der allseits als dröge eingestufte Ex-Regierende Eberhard Diepgen (CDU) taute unter Juppys Herzmassage auf. Michael Müller selbstverständlich auch. Auf wen Juppy nichts kommen lässt, ist ausgerechnet Rüdiger Landowsky, der frühere CDU-Strippenzieher und böse Bube im Berliner Bankenskandal. Kein anderer Mächtiger habe so ein offenes Ohr für alle Anliegen gehabt, schwärmt Juppy immer noch.

Juppy selbst bezeichnet sich augenzwinkernd als Revoluzzer. Wobei Revolution für Juppy nie etwas zu tun hatte mit dem beinharten Gebaren der kommunistischen Kadergruppen, denen es nicht wie ihm um die Menschen ging, sondern die nur die Sache liebten. Kein Wunder deswegen auch, dass er Abstand hielt gegenüber den menschenverachtenden Terroristen von RAF und „2. Juni“, von denen er einige persönlich kannte. Nicht, dass er sich nicht selbst angelegt hätte mit der Staatsmacht. Sechs Jahre lebte er illegal als mit Haftbefehl gesuchter Betrüger, weil er die Post mit dilettantisch gefälschten Sparbüchern abkassiert hatte. Oder er schmuggelte auf halsbrecherisch naive Weise Drogen aus dem Libanon nach Deutschland.

Hans-Josef Becher hat er an der Mosel zurückgelassen

In seiner etwas heiseren Stimme schwingt auch nach über vier Jahrzehnten in Berlin unüberhörbar der Dialekt seiner Heimat Trittenheim an der Mosel mit. Es waren die Schläge des Direktors des katholischen Internats, weil der junge Hans-Josef Becher verbotenerweise die Beatles hörte. Der damalige Ministrant beschloss, sich nie wieder etwas gefallen zu lassen und aufzubegehren, wenn es ungerecht zugeht. Was seine Internatskarriere früh beendete. Und den Namen Hans-Josef Becher, den er sowieso nicht mochte, hat er an der Mosel gleich zurückgelassen. Seitdem heißt er Juppy, was seit etlichen Jahren auch als Künstlername in seinem Ausweis steht.

Die Welt kannst du nur mit Kultur verbessern, sagt Juppy, und seine kleinen Augen über einer geknickten Boxernase sprühen noch vor Neugier. Flotte Sprüche, die bringt Juppy, in seiner trockenen Art, als würde er dafür nach Akkord bezahlt. Und glaube niemand, da stecke nichts dahinter und alles sei nur eine gute Verkaufe. Wobei, Juppy macht es einem nicht so ganz leicht, den nachdenklichen Kerl zu entdecken. Da bleibt er hinter seinen Sprüchen immer ein wenig in der Deckung, und mancher Frage weicht er auf unauffällige Weise aus, indem er noch und noch ein Döneken erzählt.

Von den Reisen mit der Ufa-Fabrik nach Asien oder Moskau, von der Freundschaft mit dem legendären Kabarettisten Wolfgang Neuss, vom jahrelangen Engagement als Stadionsprecher beim Berliner Traditions-Fußballverein TeBe oder davon, wie er als Jugendlicher 1966 nach London trampte und tatsächlich beim Endspiel der Weltmeisterschaft zwischen England und Deutschland im Wembley-Stadion war. Unter den siegreichen Engländern.

Gemeinsamer Wiederaufbau

Willi, der früher im Ufa-Zirkus durch Ringe sprang und auf Herrchens Kommando einen Salto machen konnte, ist natürlich an Juppys Seite. Das mit dem Salto geht nicht mehr. Willi ist jetzt 14 Jahre alt, ein ziemlich langes Hundeleben. Vor Willi gab es noch andere Vierbeiner – der erste war Tony Turnschuh, ein Schäferhund, der sich sofort die Sympathien der Polizisten erwarb, die anfangs noch regelmäßig ein Auge auf die besetzte Ufa-Fabrik mit diesen höchst verdächtigen jungen Menschen hatten.

Deren stärkste Waffe war die ausgestreckte Hand. Deswegen stand „Herzlich Willkommen“ über dem Eingangstor, als Einladung an die ganze Stadt – wobei es sich damals nur um das eingemauerte West-Berlin handelte, wo sich 1979 niemand vorstellen konnte, dass zehn Jahre später die Kraft der friedlichen Beharrlichkeit die Mauer und einen ganzen Staat zum Einsturz bringen sollte.

Juppy und all die anderen Kommunarden, die sich daran machten, die undichten Hallendächer und maroden Säle wieder instand zu setzen, überwältigten die Stadt mit Freundlichkeit und einem unglaublichen kulturellen Angebot. Deswegen erhielten die Besetzer schon nach wenigen Monaten vom damaligen SPD-geführten Senat eine Duldung, während wenige Monate später der CDU-Innensenator Heinrich Lummer mit Polizeigewalt und Räumungsorgien auf Besetzungen reagierte. Heute besitzt die Ufa-Fabrik einen noch 50 Jahre laufenden Erbbaupachtvertrag.

Was ist schon Geld an diesem Ort

Revoluzzer sein hält jung, der Eindruck drängt sich auf, wer Juppy mit flotten Schritten übers weitläufige Gelände huschen sieht. Sein Sohn Hannes ist 23 Jahre alt und wohnt nicht mehr auf dem Gelände; und Opa ist Juppy auch schon. Dass er Rentner ist, dem die Rentenkasse monatlich 680 Euro zahlt, darüber kann Juppy nur herzlich lachen.

Was ist schon Geld an diesem Ort, der ohne den gemeinsamen Glauben an eine egalitäre Gesellschaft und zugleich an individuelle Talente, ohne sympathische Selbstüberschätzung und unglaubliches Engagement nicht existieren würde. Sie haben Wohnräume und den Kinosaal, wo einst Marlene Dietrich und Fritz Lang arbeiteten, renoviert, sie haben Läden eingerichtet und eine freie Schule gegründet, sie haben sich mit Mülltrennung, Dachbegrünung, Regenwassernutzung und Solartechnik beschäftigt, als „Ökologie“ im Rest der Republik noch ein Fremdwort war. Nur das mit der gemeinsamen Kasse ist irgendwann auf der Strecke geblieben.

Über die Jahre ist die Fabrik immer mehr gewachsen, ist ein multikulturelles Mehr-Generationen-Projekt geworden. Zudem eine soziale Begegnungsstätte und ein internationales Kulturzentrum mit jährlich hunderten Veranstaltungen. Über 30 Menschen wohnen direkt auf dem Gelände, darunter einige Kinder, und über 200 Menschen arbeiten dort täglich von der Kita und Schule bis zum Café oder Theater.

Längst weit über das Ufa-Gelände hinausgewachsen ist das einst von den Kommunarden gegründete Nachbarschaftszentrum mit heute rund 320 festen Arbeitsplätzen. Davon konnte bei der Besetzung nicht einmal der notorische Optimist träumen. Auch an seinem 70. Geburtstag ist stillsitzen nicht angesagt. Da steht Juppy beim ufa-Kinderzirkusfestival auf der Bühne.

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