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Berlin: Ulrich Franze (Geb. 1955)

Stolz trug er seinen Blaumann auf der Kastanienallee. Denn wenn einer hierher gehörte, dann er

Wenn Uli Franze an den Cafés und Boutiquen der Kastanienallee in Prenzlauer Berg entlanglief, wirkte er wie einer vom anderen Stern zwischen all den jungen Leuten in ihren Hipster-Klamotten. Aber die Mehrheit hatte ihn noch nie interessiert und Trends schon gar nicht. Stolz und aufrecht trug er seinen Blaumann. Denn wenn einer hierher gehörte, dann er. An der Prenzlauer Allee war er aufgewachsen, in den Kneipen von Prenzlauer Berg kannte er zur DDR-Zeit Hinz und Kunz, hier schloss er die lebensnotwendigen Tauschgeschäfte ab.

Ganz früh musste er mal für eineinhalb Jahre ins Gefängnis – dabei hatte er sich den Plattenspieler nur ausleihen wollen, um seine geliebte Musik zu hören, denn was nutzten ihm seine Platten, wenn er sie nicht abspielen konnte. Fortan war er auf der Hut, zog sich ins Private zurück in eine Wohnung in der Invalidenstraße, gemeinsam mit seiner Freundin, mit der er ein Kind bekam. Aber lange währte das Familienglück nicht, plötzlich gab es einen anderen Mann, der wollte das Kind adoptieren, und danach war der Kontakt nicht mehr erwünscht. Seinen Sohn hat Uli nie wieder gesehen.

Dafür trat im „Schwedter Eck“ eine neue Frau in sein Leben. Birgit hatte sich den Mann mit den schönen langen Haaren ausgeguckt und schnell gewusst, dass er der war, mit dem sie „die Rente holen“ wollte. Ganz reichte es nicht, aber fast 30 gemeinsame Jahre wurden es, Katze und Kater, die sich nur selten stritten. Wenn es mal laut wurde, dann nur kurz. War ja nicht so gemeint.

Zusammen mit Birgits Sohn wohnten sie in der Schwedter Straße 47, gut hundert Meter entfernt nur von der Mauer am Ende der Straße, aber weit genug, dass das Haus frei bezogen werden durfte, also nicht von Stasi-Mitarbeitern. Dass sie die Wohnung mit Dusche bekamen, hatte nicht nur mit Glück zu tun, sondern auch mit Ulis Tätigkeit als Transportfahrer bei der Wohnungsbaugenossenschaft. Ein Jahr vor dem Mauerfall zogen sie um in die Kastanienallee, und da wollte er bleiben. Warum sollte er in den Westen abhauen wie so viele andere? Hier war er zu Hause, von einer Flucht versprach er sich nichts.

Als nach der Wende die Kneipen zu Cafés und Arbeiter zu Arbeitnehmern wurden, zeigte sich, dass auch mit dem Kapitalismus und Uli Franze zwei Systeme aufeinanderstießen, die nicht so recht zusammenpassten. Profitstreben und Standesbewusstsein auf der einen Seite, Freundschaft und Arbeiterstolz auf der anderen, beide in ihren Prinzipien unerschütterlich, ungleich nur in ihrer Durchsetzungskraft. Erneut machte Uli ungute Erfahrungen mit Ämtern und Institutionen. Sie steckten ihn in Schulungen und Bewerbungstrainings, deren Sinnlosigkeit nicht nur für Uli offenbar war. Eine Arbeitsstelle fand sich auch für den Neugeschulten nicht mehr.

Genug zu tun hatte er trotzdem. Für Birgit kochte er das Essen und hielt die Wohnung sauber, und als Hausmeister sorgte er schnell und zuverlässig dafür, dass im Haus alles in Ordnung blieb. Aber er war alles andere als ein Blockwart; jeder sollte unbehelligt und nach seiner Fasson glücklich werden.

Auch er selbst schuf sich seine Inseln des Glücks. Jeden Freitag kam sein Freund Danni, den er „das Kind“ nannte und der ihn vielleicht an sein eigenes, verlorenes erinnerte. Laut schallten dann Led Zeppelin oder die Stones in den Hof; das notwendige Abspielgerät war längst vorhanden – im neuen Land war ja nicht alles schlecht. Im Sommer saßen sie im hintersten Hof in der hintersten Ecke, die die seine war, und mit der Zeit gesellten sich andere Hausbewohner dazu, sogar welche, die aus dem Westen stammten. Wenn sie über das Leben und seine Tücken philosophierten oder über eine Sendung, die er auf Arte gesehen hatte, und dabei ein kleiner neuer Hausbewohner auf seinen Knien schaukelte, dann kam das seiner Vorstellung vom guten Leben ziemlich nah. Und als ihn einer „die Seele des Hauses“ nannte, machte ihn das fast schon glücklich.

Einer gesunden Lebensweise hatte er nie große Bedeutung beigemessen, aber irgendwann trank er bloß noch freitags Alkohol, und als ihm das Qualmen den Atem raubte, ließ er von einem Tag auf den anderen die Finger von den Zigaretten. Seine Rückenschmerzen hat er erst nicht ernst genommen, aber dann ging alles schnell. Gegen den Krebs halfen keine Prinzipien und auch nicht mehr sein starker Wille.

Cornelia Liedtke

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