zum Hauptinhalt
Ein entspannter Spaziergang im Wald.

© dpa

Umfrage: Hauptstadt der Baumstellen

Ein Münchner Professor hat die Berliner zu ihrem Wald befragt. Ergebnis: Die meisten lieben ihn und würden ihn um keinen Preis verkaufen. Berlin ist und bleibt also Deutschlands größter kommunaler Waldbesitzer. Und damit einmalig.

Zur Feier ihres 100. Jubiläums im vergangenen Sommer haben die Berliner Forsten bei Michael Suda einen Vortrag bestellt. Der Professor für Wald- und Umweltpolitik von der TU München sollte irgendwas über die Deutschen und ihren Wald erzählen. Ob die Berliner und ihr Wald nicht spannender wären, fragte Suda zurück. Er sollte recht behalten. Zu siebt machten die Bayern sich auf den Weg, um die Berliner nach ihrem Verhältnis zum Wald zu befragen. Die Ergebnisse der 340 geführten Interviews sind jetzt von der Bayrischen Landesanstalt für Land- und Forstwirtschaft veröffentlicht worden – rechtzeitig zum Frühlingserwachen zwischen Baum und Borke.

Erste Erkenntnis: Beim Thema Wald wird die Berliner Schnauze zur Plaudertasche, die in zwei Dritteln der Fälle spontan ein Loblied anstimmt. Der Wald ist konsumfreie Zone und deshalb auch ohne Geld zu genießen. In ihm sind alle Menschen gleich. Die einen schwärmen vom Rausch der Sinne samt Vogelgezwitscher und frischer Luft, andere von Aktivität und wieder andere von der Ruhe. Die „Waldblinden“, wie Suda sie nennt, verfehlen knapp die Fünf-Prozent-Hürde. „Dabei hätte ich viel mehr solche Leute erwartet, die sagen: ,Lasst mich mit eurem Wald in Ruhe!‘“ Suda erklärt das mit der Berliner Besonderheit der auf viele Stadtteile verteilten Wälder. In München, wo der Forst für die meisten eine S-Bahn-Fahrt entfernt ist, sei die Quote der „Waldblinden“ höher. Noch erstaunlicher wird das Ergebnis für Suda, wenn er die Orte der Befragung bedenkt: „Wir waren zum Beispiel am Olympiastadion. Ich hätte gedacht, nach dem Hertha-Spiel gegen Bochum wäre mit Wald erst mal gar nichts, aber auch die Fußballfans waren sofort dabei.“

Im Gegensatz zu fast allen anderen Lebensbereichen hatten die Befragten durchweg ihr eigenes Bild vom Wald – denn den kennen sie im Gegensatz beispielsweise zu Politikbetrieb und Klimawandel nicht aus den Medien, sondern aus eigenem Erleben. Entsprechend lokalpatriotisch fielen die Antworten auf die Frage nach dem schönsten Wald aus: Je nach Stadtteil lagen Grunewald, Tiergarten, Tegeler Forst und Müggelwald vorn. Wobei der zweite Platz in der Gesamtwertung für den Tiergarten zeigt, dass „Wald“ nichts wissenschaftlich Definiertes sein muss, sondern „eher ein Intermezzo zwischen einem Menschen und einem grünen Etwas“, wie Suda es nennt.

Was so geliebt wird, gilt es zu verteidigen: gegen Vermüllung, gegen Hunde samt deren Besitzer („Der will doch nur spielen!“), gegen die manchmal schlicht zu zahlreichen Mitmenschen und, mit deutlichem Abstand allerdings, gegen rücksichtslose Radfahrer und Jogger. Dazu kann Suda eine eigene Erkenntnis beisteuern: Bei seinen Touren durch den Grunewald habe er erstaunliche 70 Hunde gezählt. Dagegen seien Jogger und Radler klar in der Minderheit gewesen. „Hunde reißen die Spaziergänger wie ein schriller Laut immer wieder aus dem grünen Schlaf“, resümiert der Professor. Die gute Nachricht bei all den Ärgernissen: Jeder Vierte hatte beim Thema Wald nichts zu meckern.

Bei der Frage nach potenziellen Gefahren lagen die Wildschweine mit 31 Prozent weit vor den Zecken (15 Prozent), vor bösen Mitmenschen (10 Prozent) und vor Hunden (8 Prozent). Regelrecht provoziert fühlten sich die Befragten von zwei Halbsätzen, die es zu vollenden galt: „Berlin ohne seinen Wald…“ wurde als Drohung mit einer trostlosen Betonwüste empfunden. Die häufigste Ergänzung lautete: „…wäre nicht Berlin.“ Noch empörter fiel die Reaktion aus, als die Forscher sagten: „Wenn Berlin seinen Wald verkauft, dann…“ Suda berichtet von einem Orkan der Entrüstung, von Parolen des Widerstandes und von Wegzugsdrohungen. Dabei hatte er nichts von Abholzen gesagt. Den Holzeinschlag als Teil des Försterberufs hat ohnehin nur eine Minderheit spontan auf dem Schirm.

Dank der Umfrage weiß der Senat nun, dass schon der Gedanke an einen Waldverkauf ein todsicherer Weg wäre, die nächste Wahl zu verlieren. Berlin ist und bleibt also Deutschlands größter kommunaler Waldbesitzer. Der knapp 20-prozentige Anteil an der Stadtfläche ist in Kombination mit den vielen Gewässern nach Ansicht von Suda in ganz Europa konkurrenzlos: „Berlin ist eine einmalige Hauptstadt“, lautet sein Fazit. Stefan Jacobs

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false