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Auf dem Dach des Hostels in der Gürtelstraße haaren seit Tagen Flüchtlinge aus.

© dpa

Umgang mit Flüchtlingen in Berlin: Integrationsbeauftragte Lüke kritisiert eigenen Senat

"Die Flüchtlinge haben nicht mehr als vor 18 Monaten": Im Interview spricht Integrationsbeauftragte Monika Lüke über die Lage der Flüchtlinge, den Wettstreit der Gutachten und eine mutlose Ausländerbehörde.

Von Fatina Keilani

Frau Lüke, in der Gürtelstraße protestieren Flüchtlinge auf dem Dach ihres Hostels – was haben sie noch zu erhoffen?

Ein faires Verfahren, das die besondere Situation des Oranienplatzprotests und der Verhandlungen mit dem Senat berücksichtigt. Der Staat ist nicht erpressbar. Es wurde kein endgültiges Bleiberecht in Berlin zugesagt, und das können sie auch nicht erzwingen. Es wäre auch unfair gegenüber den vielen anderen Flüchtlingen, die sich anstellen und in lang dauernde Verfahren begeben.

Bisher wurden alle 150, die im Einzelverfahren waren, abgelehnt. Nun erheben manche gegenüber dem Senat Betrugsvorwürfe.

Das geht zu weit. Das ist eine strafrechtliche Kategorie, da braucht man eine Schädigungsabsicht. Dennoch ist es bemerkenswert, dass keiner der schon entschiedenen Anträge erfolgreich war. Ich hätte mir gewünscht, die Ausländerbehörde wäre mutiger. Sie sollte ihr Ermessen zugunsten der Antragsteller ausüben und davon vollständig Gebrauch machen. Wir haben ja durch unser Gutachten versucht, sie bei kreativen, der Situation angemessenen Lösungsvorschlägen zu unterstützen.

Daraufhin gab es ein Gegengutachten, das die Innenverwaltung in Auftrag gegeben hat und das keinerlei Ansprüche der Flüchtlinge erkennen kann.

Dieses Gutachten berücksichtigt nicht die besonderen Umstände, die die Situation um den Oranienplatz mit sich gebracht hat. Dadurch wird nur formaljuristisch argumentiert, was in dieser Situation total unangemessen ist.

Berlins Integrationsbeauftragte Monika Lüke
Berlins Integrationsbeauftragte Monika Lüke.

© dpa

Und jetzt hat man zwei Gutachten und ist keinen Schritt weiter, oder?

Die Gutachten sind ja nur Hilfsmittel und entheben die Verantwortlichen nicht der Entscheidung.

Sie jedenfalls raten den Abgelehnten dazu, Rechtsmittel einzulegen.

In meiner Funktion als Ombudsfrau für die Rechte der Flüchtlinge rate ich dazu.

Ist die politische Behandlung des Flüchtlingsthemas nicht vom ersten Tage an missglückt? Erst das lange Dulden der Flüchtlinge auf dem Platz, jetzt auf dem Dach?

Nein, das ist ein Unterschied. Die Tolerierung der Situation auf dem Platz über 18 Monate war der Versuch Berlins, ein Zeichen zu setzen. Senat und Bezirk haben die Menschen dort belassen und geduldet und ihnen Platz für ihren Protest gegeben. Ergebnis der anschließenden Verhandlungen war die Vereinbarung mit den Flüchtlingen. Aber deren Umsetzung ist gescheitert.

Kein einziger Flüchtling ist seinem Ziel heute näher als vor 18 Monaten.

Insgesamt kann das derzeitige Ergebnis keinen zufriedenstellen. Man hat jetzt diese Polizeipräsenz, die Menschen auf dem Dach, die besetzte Schule, eine Haushaltssperre im Bezirk, und die Flüchtlinge haben nicht mehr, als sie vor 18 Monaten hatten.

Was muss jetzt passieren?

Ich wünsche mir, dass die Flüchtlinge das Dach unversehrt verlassen. Ich kann aber auch verstehen, dass sie enttäuscht sind, dass sie kein Vertrauen mehr in unsere staatlichen Institutionen haben. Ich habe immer noch die Hoffnung, dass der Oranienplatz als Kristallisationspunkt die Schwierigkeiten der europäischen Flüchtlingspolitik verdeutlicht und dass sich zumindest mittelfristig europapolitisch was tut: flexiblere Zugänge hierher außerhalb des Asylverfahrens zu schaffen.

Das Gespräch führte Fatina Keilani.

Monika Lüke (45) ist Völkerrechtlerin und seit September 2012 Integrationsbeauftragte des Landes Berlin. Sie untersteht der Verwaltung von Senatorin Dilek Kolat (SPD).

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