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Umstrittener Finanzsenator: Frostiger Abschied von Sarrazin

Das Urteil des Finanzsenators über die soziale Erosion Berlins stößt bei Berliner Politikern auf breite Ablehnung und Empörung.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

„Bald haben wir auch das überstanden“, sagt der SPD-Landes- und Fraktionschef Michael Müller – und meint den GenossenThilo Sarrazin. Auch die Vorsitzende der Linksfraktion, Carola Bluhm, nimmt den Finanzsenator, der im Mai zur Bundesbank geht, „nicht mehr so ernst“. Trotzdem ist sie wütend über den „verbalradikalen“ Sarrazin, der bei den Erziehern und Lehrern das Portemonnaie zugehalten habe, sich aber jetzt über die Bildungs- und Sozialprobleme mokiere.

Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) wollte die These Sarrazins, dass es angesichts der wachsenden Zahl von „Hartz-IV-Kindern“ nichts bringe, mehr Geld in Kitas und Schulen zu stecken, nicht kommentieren. Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linke) dagegen wohl. „Das ist totaler Quatsch!“ Natürlich müsse man die soziale Wirklichkeit ehrlich analysieren, und es sei erlaubt, dies rhetorisch zuzuspitzen. Aber die Lösung der Probleme sei ein mühsamer Prozess, der einen langen Atem benötige. Den anderen Stadtstaaten gehe es auch nicht viel besser, sagte Knake-Werner dem Tagesspiegel. „Aus der komfortablen Lebenssituation eines Senators die Lage der Armen so zu beurteilen, wie es Sarrazin tut, ist doch verheerend.“

Der Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Swen Schulz warf dem Finanzsenator vor, „alles in den Dreck zu ziehen, ohne selber Lösungen anzubieten“. Sieben Jahre habe Sarrazin die Bildungs- und Jugendeinrichtungen Berlins unter Sparzwang gesetzt, um jetzt zu sagen: Es funktioniert alles nicht. Andere Staaten in Europa hätten es vorgemacht, dass Investitionen in Bildung und Integration gute Wirkung zeigen könnten, so Schulz.

Die Bildungsgewerkschaft GEW versuchte es mit Humor. „Wir fragen uns, wie es nach Thilo Sarrazins Weggang mit der Bildungspolitik überhaupt weitergehen kann“, sagte die GEW-Landeschefin Rose-Marie Seggelke. Dagegen reagierte die Vize-Landeschefin des DGB, Doro Zinke, richtig böse. „Wachsende Armut bekämpft man nicht, indem man die Armen beschimpft.“ Rot-Rot sei dafür verantwortlich, dass Thilo Sarrazin über Jahre im sozialen Bereich den Kurs vorgegeben habe. Scharfe Kritik kam auch von der Diakonie und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband.

Die CDU-Familienexpertin Emine Demirbüken-Wegner stieß ins gleiche Horn: „Hätte Sarrazin im Kinder- und Jugendbereich sowie in der Bildung nicht massiv gekürzt, müsste er jetzt nicht die Zustände beklagen, die er selber verursacht hat.“ Sein politischer Maßstab sei die soziale Kälte. In den Kitas mangle es nicht am Vorlesen oder Singen, sondern an der individuellen Förderung der Kinder. Auch in den Schulen müssten Lern- und Fördergruppen eingerichtet werden.

Berlin brauche durchaus mehr Geld für Jugend und Bildung. Das meinte auch die Grünen-Fraktionschefin Franziska-Eichstädt-Bohlig. Sie machte sich über die Rollenverteilung im Senat lustig. Sarrazin beschreibe mit dramatischer Geste die soziale Erosion Berlins. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sei unterdessen für den „Schönsprech“ zuständig und surfe auf dem guten Image der Stadt, anstatt sich den Problemen der Stadt zu stellen.

Einen Bündnispartner fand Sarrazin aber doch: Den FDP-Fraktionschef Martin Lindner. Sarrazins Analyse sei vollkommen richtig, es gebe in Berlin eine „Hartz-IV-Spirale“ und die Schulen seien überfordert. „Der Senat kommt mit den Grundproblemen der Stadt nicht zurecht“, urteilte Lindner.

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