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Demonstrant mit Transparent: "Immobilienzocker: Wohnen ist keine Ware!"

© imago/IPON

Umstrittener Volksentscheid: Kann die Deutsche Wohnen enteignet werden?

Die Berliner Linke unterstützt die Verstaatlichung des privaten Vermieters Deutsche Wohnen – aber geht das rechtlich überhaupt?

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Die Verstaatlichung privaten Eigentums ist kein Akt kommunistischer Willkür, sondern unter bestimmten Bedingungen durch das Grundgesetz gedeckt. Aus verfassungsrechtlicher Sicht haben die Initiatoren des Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ für ihre Kampagne gegen große Immobilienfirmen in Berlin durchaus Aussicht auf Erfolg. Allerdings brauchen sie einen langen Atem, denn die Enteignung von Grund und Boden landet nicht selten vor Gericht.

Das ist kein Wunder, denn bei Enteignungen stoßen öffentliche Interessen und private Wirtschaftsmacht frontal aufeinander. Immer wieder gibt es Grundsatzentscheidungen des Bundesgerichtshofs oder des Bundesverfassungsgerichts. Der Artikel 14 Grundgesetz ist zwar einfach formuliert, aber sehr auslegungsfähig: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.“ Art und Ausmaß der Entschädigung müssen gesetzlich geregelt werden, und zwar „unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten“. Zwar beruft sich die Berliner Initiative auf Artikel 15 Grundgesetz ("Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung... in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden"), doch ohne die Entschädigungsregelung in Artikel 14 geht nichts.

Es geht ums Gemeinwohl - und leistbaren Wohnraum

Die Aktivisten in Berlin haben sich offenbar nicht nur das Grundgesetz, sondern auch die höchstrichterlichen Urteile zum Thema Enteignung genauer angesehen, bevor sie ihren Gesetzentwurf erarbeitet haben. Auf den ersten Blick erfüllt er jedenfalls alle Kriterien, die verfassungsrechtlich vorgegeben sind. Die Unternehmen, die vergesellschaftet werden sollen, werden ziemlich genau definiert. Alle Firmen „mit Gewinnerzielungsabsicht“ und mindestens 3000 Wohnungen im Bestand wären betroffen. Einschließlich Tochterunternehmen, an denen der Konzern mit mindestens 20 Prozent beteiligt ist.

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Die Entschädigung soll, wie im Grundgesetz gefordert, per Gesetz geregelt werden. Es soll eine Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) gegründet werden, in die das Land Berlin 20 Prozent der Entschädigungssumme als Eigenkapital zuschießt. Die AöR soll die vergesellschafteten Wohnungsbestände verwalten und für die restlichen 80 Prozent der Entschädigungsforderungen Kredite aufnehmen, für die Berlin bürgt. Ziel der neuen Anstalt ist „die Versorgung der Stadtbevölkerung mit Wohnraum zu leistbaren Mieten“. Damit ist das Gemeinwohl definiert. Mögliche Jahresüberschüsse aus Mieteinnahmen sollen in der AöR bleiben. Die Anstalt soll auf „Grundsätze guter Arbeit“ verpflichtet und ein Gesamtmieterrat eingerichtet werden.

Mindestens 200.000 Wohnungen sollen dem privaten Markt entzogen werden

„Es ist klar, dass wir damit juristisches Neuland betreten“, sagt Michael Prütz, einer der Aktivisten des Enteignungsprojekts. Ziel des Volksentscheids sei es, mindestens 200.000 Wohnungen in Berlin dem privaten Markt zu entziehen. In einem Beschluss, den ein Landesparteitag der Linken am Wochenende fasste, heißt es ergänzend: „Uns ist bewusst, dass eine möglicherweise erfolgreiche Volksabstimmung nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einer rechtssicheren Vergesellschaftung der großen Wohnungsbestände ist“. Alle politischen Akteure und Initiativen müssten ihre gesammelte Expertise einbringen.

Auch in der SPD gibt es Sympathien für den Volksentscheid, der demnächst mit einer Unterschriftensammlung starten soll. „Unser erklärtes Ziel muss eine Vergesellschaftung des Wohnraums sein“, steht in einem Beschluss der Jungsozialisten, der im SPD-Landesverband allerdings nicht mehrheitsfähig ist. Auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe forderte parteiintern, die Initiative zu unterstützen. So revolutionär, wie es sich auch anhören mag – die Enteignung von Grund und Boden ist auch in Deutschland nicht ungewöhnlich. In der Regel geht es aber um Einzelimmobilien, die einer Straße, einer Bahnstrecke oder Stromleitung im Wege stehen.

Seit 2012 wurde in Berlin 104 Enteignungen eingeleitet

Vergessen werden sollte auch nicht, dass im Zuge der großen Finanzkrise vor zehn Jahren sogar in Großbritannien und den USA Banken enteignet oder teilverstaatlicht wurden. Rechtsexperten sind sich aber einig, dass die Vergesellschaftung von Privateigentum im Einzelfall dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen muss und nur „ultima ratio“ sein darf, wie es der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, formulierte. Andererseits gebe der ebenfalls im Grundgesetz verankerte Schutz des Privateigentums „dem Eigentümer nicht das Recht, gerade diejenige Verwertungsmöglichkeit zu verwirklichen, die ihm den größten wirtschaftlichen Vorteil verspricht“, schrieb der Verfassungshistoriker und Rechtsprofessor Joachim Lege.

In Berlin wurden seit 2012 immerhin 104 Enteignungsverfahren eingeleitet. Es ging um einzelne Grundstücke, die öffentlichen Bauplanungen entgegenstanden. Zur Abwicklung dieser Verfahren, die rechtlich sehr komplex sind und regelmäßig vor Gericht landen, gibt es eine Enteignungsbehörde des Landes Berlin. Nach Auskunft der Bauverwaltung des Senats nimmt die Bearbeitungsdauer wie auch die juristische Überprüfung „jeweils mehrere Jahre in Anspruch“.

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