zum Hauptinhalt
Das Heizkraftwerk Reuter West in Spandau belegt in Berlin den unrühmlichen ersten Platz der Berliner Luftverschmutzer.

© Kai-Uwe Heinrich

Umweltsünder in Berlin und Brandenburg: Heizkraftwerke sind die größten Luftverschmutzer in Berlin

Die Schadstoffe, die wir einatmen, stammen nicht nur vom Straßenverkehr. Das zeigt der neue Atlas der größten Umweltsünder in Berlin und Brandenburg.

Vor ein paar Jahren haben alle über Feinstaub geredet. Jetzt reden sie über Stickoxide. Hin und wieder geht es außerdem um den Klimaschutz, bei dem zumindest die Bundesregierung jeder Ehrgeiz verlassen hat. Und immer geht es um den Straßenverkehr: Abgase der mehr als 1,2 Millionen Autos. Zu Recht – oder geraten dadurch andere Umweltsünder aus dem Blick, die ebenfalls große Mengen Schadstoffe in die Luft pusten?

Ein Blick in den vom Umweltbundesamt (UBA) veröffentlichten, kürzlich für 2016 aktualisierten Verschmutzeratlas legt diesen Verdacht nahe: 67 Quellen listet das unter www.thru.de (benannt nach Thrude, der Göttin der Bäume und Blumen in der nordischen Mythologie) veröffentlichte Schadstoff- und Abfallregister für Berlin auf – von mehr als 5400 bundesweit. Bei den meisten fallen gefährliche Abfälle an, die bei korrekter Entsorgung kein Grund zur Beunruhigung sind. Typische Beispiele sind Industriebetriebe und die Recyclinghöfe der BSR.

Ein Wasser- und 14 Luftverschmutzer

Interessanter sind jene 15 Betriebe, die so große Mengen bestimmter Schadstoffe freisetzen, dass sie sie den Behörden melden müssen. Ein einziger davon, nämlich das Klärwerk Ruhleben, leitet die maßgeblichen Schadstofffrachten ins Wasser. Die anderen 14 sind Luftverschmutzer – zumeist Kraftwerke. Ausnahme ist das Galvanikunternehmen Diehl in Lichterfelde, das 291 Kilogramm hochgiftige Blausäure in die Luft abgab. Mit dieser Menge im Jahr 2016 war die Schwelle für die Meldepflicht – sie liegt bei 200 Kilo im Jahr – überschritten.

Solche Schwellenwerte sind in dem „Thrude“-Register europaweit für 91 Schadstoffe festgelegt, wobei die Unterschiede riesig sind, da sie sich an der jeweiligen Gefährlichkeit orientieren. So müssen in die Luft freigesetzte Schwefeloxide erst ab 150 Tonnen im Jahr gemeldet werden, Cadmium und Quecksilber dagegen schon ab zehn Kilogramm. Außerdem sollen die Schwellenwerte so beschaffen sein, dass rund 90 Prozent der jeweiligen Emissionen registriert werden – also alle relevanten Quellen in dem Register auftauchen, aber die vernachlässigbaren Verursacher unbehelligt bleiben. Einige Emissionen werden gemessen, andere berechnet.

Berlins Verschmutzer und ihre Schadstoffe. Ein Klick auf das Bild vergrößert die Ansicht.
Berlins Verschmutzer und ihre Schadstoffe. Ein Klick auf das Bild vergrößert die Ansicht.

© Tsp

Die Grafik zeigt, welcher Betrieb wie viele Schadstoffe in die Berliner Luft geblasen oder ins Wasser geleitet hat. Auffällig ist dabei der unrühmliche Spitzenplatz des Heizkraftwerks Reuter West. Die mehr als 2,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid mögen lokal unproblematisch sein, aber entsprechen fast 15 Prozent der gesamten Berliner Treibhausgasemissionen. Aber was ist mit den 2000 Tonnen Stickoxiden aus dem Kraftwerksschlot? Mit den 13,6 Kilogramm Quecksilber aus der Kohle und den bei der Verbrennung freigesetzten 57 Tonnen Feinstaub? Sind 32 Kilo Arsenverbindungen viel, wenn doch schon ein zehntel Gramm einen Menschen töten kann?

Stickstoffdioxid NO2 überschreitet den Grenzwert an Verkehrsstraßen

Einen Teil der Antwort liefern die von der Berliner Umweltverwaltung gemessenen Luftdaten. Die aktuellste verfügbare Jahresbilanz weist für 2016 Jahresmittelwerte von knapp einem Nanogramm (= milliardstel Gramm) pro Kubikmeter Luft für Arsen aus. Der „Zielwert“ liegt bei sechs Nanogramm.

Beim Cadmium ist die Belastung mit 0,2 Nanogramm (Zielwert: 5 ng) noch geringer. Bei Nickel waren es an einer Messstelle 2,1 und an einer anderen 4,5 Nanogramm (Zielwert: 20 ng). Beim Blei, für das im Unterschied zu den anderen Schwermetallen ein verbindlicher Grenzwert von 500 Nanogramm pro Kubikmeter Luft gilt, lag die Belastung knapp über sechs Nanogramm, also ebenfalls im unkritischen Bereich. Erfasst wurden die Schwermetalle als Bestandteile des Feinstaubes.

Was aus den Schloten und Auspuffrohren kommt, wird also so sehr verdünnt, dass nach aktuellem Wissensstand kein Grund zur Sorge besteht. Ohnehin ist die Belastung mit den meisten Schadstoffen im Langfristvergleich teils deutlich gesunken. NO2, das durch den Diesel-Skandal bekannt gewordene Stickstoffdioxid, ist eine Ausnahme.

Bei ihm zeigt sich schon am Unterschied zwischen Straßenmessstellen (durchweg über dem Grenzwert) und Stationen in Wohngebieten und Wäldern (durchweg unter dem Grenzwert), dass es hauptsächlich aus dem Autoverkehr stammt. Laut einer Ursachenanalyse der Umweltverwaltung stammen an einer typischen Berliner Hauptverkehrsstraße nur etwa zwei Prozent der NO2-Belastung aus hiesigen Industrieanlagen. Der auswärtige Anteil sei vernachlässigbar; NO2 ist ein sehr lokales Problem.

Beim Feinstaub und insbesondere bei dessen besonders schädlichem, PM 2,5 genannten Anteil feinster Partikel, ist die Sache anders: Knapp zwei Prozent stammen aus lokalen Industrieanlagen, knapp 20 Prozent aus auswärtigen – je nach Wetterlage mal mehr, mal weniger.

Jänschwalde übertrifft Gesamt-Berlin um 4,1 Millionen Tonnen CO2

Damit wird ein Blick nach Brandenburg fällig. Dort dominieren Betriebe der Massentierhaltung die Liste, die die Luft mit Ammoniak verschmutzen. Ein typischer und in anderen Bundesländern noch gravierenderer Befund. Davon abgesehen ist der mit Abstand größten Einzelposten im Brandenburger Verschmutzeratlas das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde bei Cottbus.

Mit 24,1 Millionen Tonnen CO2 übertrifft es die gesamten Emissionen der Stadt Berlin, die zuletzt laut Statistikamt bei knapp 20 Millionen Tonnen lagen. Zum Klimaeffekt des CO2 kommen die lokalen Schadstofffrachten: 541 Tonnen Feinstaub, 19 000 Tonnen Stickoxide, mehr als zweieinhalb Tonnen Blei, eine Tonne Kupfer, 743 Kilo Quecksilber, sowie jeweils rund 300 Kilo Arsen-, Nickel- und Chromverbindungen. Den unrühmlichen zweiten Platz belegt das Braunkohlekraftwerk Schwarze Pumpe bei Spremberg.

So gewaltig all diese Emissionen auch sein mögen: Sie sind legal. Und sie sorgen dafür, dass das Land mit Strom, Wärme und Industrieprodukten versorgt wird – und dafür, dass die Hinterlassenschaften der Zivilisation beseitigt oder gereinigt werden. Zugleich liefert die Liste ein Indiz für neue Möglichkeiten:

So dürfte der zweitgrößte Verschmutzer von Berlin, das Heizkraftwerk Klingenberg, dank der Umstellung von Braunkohle auf Erdgas im Jahr 2017 künftig deutlich besser dastehen – sowohl beim Klimakiller CO2 als auch bei den Giften, die schlecht sind für die Nachbarschaft.

Zur Startseite