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Berlin: Umzug in die Realität

Warum es richtig ist, alle Bundesministerien zügig nach Berlin zu verlegen

Von Renate Künast Berlin ist die Hauptstadt. Es war klug, nach der Wiedervereinigung ein Zeichen zu setzen, für diese Hauptstadt einer veränderten Republik mitten in einem sich verändernden Europa. Klug war es auch, den Umzug behutsam zu vollziehen. Der wichtigste Grund dafür war der Wunsch, Bonn und seinen Menschen wirtschaftlich nicht zu schaden. Dieses Ziel ist erfüllt. Bonn ist ein veritabler Wirtschaftsstandort mit Dax-Größen wie der Telekom und der Deutschen Post, ebenso wie eine internationale UN-Stadt sowie Heimat vieler wichtiger Nichtregierungsorganisationen. Dies alles ist auch ein Ergebnis der hochprofessionellen Ansiedlungspolitik der Bonner Oberbürgermeisterin.

Jetzt aber ist die Zeit, den Übergang, der in der Realität bereits abgeschlossen ist, auch formal zu vollenden. Regiert wird die Republik in Berlin. Selbst Ministerien, die ihren Hauptsitz in Bonn haben, werden in Berlin geleitet. Hier tagt das Parlament mit seinen Ausschüssen, hier koordiniert das Kabinett, hier sitzt der Bundesrat. Berlin hat einen Sog, der immer mehr Beamte und Angehörende zu Terminen zieht. Wo er künstlich gebremst wird wie im Bonn-Berlin-Gesetz kommt es zu (arbeits-)zeitraubender und klimaschädlicher Riesen-Reiserei. Da reisen Referenten zu kurzen Ausschusssitzungen präventiv nach Berlin, nur für den Fall, dass sie möglicherweise gebraucht werden. Auch bei einer Vertagung des Themas geht es unverrichteter Dinge wieder zurück. Währenddessen stapeln sich in Bonn die Vorgänge. Oder es kommt zu halbgaren Ergebnissen, weil Teilnehmer noch schnell den Flieger kriegen müssen. Wer einwirft, das ginge auch anders, übersieht zwei Dinge: Das politische Geschäft ist nicht minutiös planbar. Der flexible Zugriff auf den Beamtenapparat ist unbedingt notwendig, um auf unvorhergesehene Ereignisse (der politische Normalfall!) reagieren zu können. Und von Angesicht zu Angesicht bespricht es sich effizienter; gerade bei Grundsatzfragen und langfristigen Planungen.

Laut Aussage der Regierung führt die Zweiteilung jährlich zu 132 000 Flügen der Beamtinnen und Beamten. Der dadurch verursachte CO2-Ausstoß entspricht etwa der jährlichen Belastung durch 8500 Autofahrer oder 170 000 Kühlschränke.

Dieser Irrsinn ließe sich einfach auflösen: Wir müssten durch Änderungen am Bonn-Berlin-Gesetz die Realität endlich nachvollziehen. Alle Ministerien komplett verlegen, und zwar zügig. Ebenso richtig ist es, im föderalen Staat Bundesbehörden auf die Republik zu verteilen. Eine Hauptstadt mit komplettem Regierungssitz mitten in einem föderalen Land, mitten in einem weiter zusammenwachsenden Europa. Aber auch Berlin muss dem gerecht werden. Nicht protzend, großmäulig darf es sein. Stolz sollte es eine dienende Hauptstadt sein. Eine Hauptstadt, die die ganze Republik abbildet, für ihre Bewohnerinnen und Bewohner aber auch Ort des guten Lebens ist und gleichzeitig Modellstadt für Leben in der Zukunft. Berlin muss endlich ganz Regierungssitz sein, aber Berlin muss auch zurückgeben.

Die Autorin ist Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90 / Die Grünen im Bundestag.

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