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Berlin: Unabhängige Experten: Gericht stoppt Schönefeld nicht

Planungsrechtler sehen in Einwänden der Ausbau-Gegner keine K.o.-Kriterien. Zu erwarten seien höchstens Auflagen der Bundesverwaltungsrichter

Das Leipziger Bundesverwaltungsgericht wird den Bau des in Schönefeld geplanten Großflughafens Berlin-Brandenburg International (BBI) wohl nicht stoppen. Zu diesem Ergebnis kommen mehrere renommierte Planungsrechtler, die der Tagesspiegel um eine Stellungnahme gebeten hat. Die Gegner des BBI haben ihre Einwände in einem Katalog so genannter K.o.-Kriterien zusammengefasst, der nach Ansicht der Klägeranwälte so viele schwerwiegende Einwände enthält, dass das Bundesverwaltungsgericht das Projekt stoppen müsse.

Renommierte, auf Planungsrecht spezialisierte Kanzleien teilen diese Interpretation jedoch nicht. Der Tagesspiegel hatte die Unterlagen der gemeinsamen Landesplanungsabteilung von Berlin und Brandenburg ebenso analysiert wie die Einwendungen der Kläger gegen die Flughafenplanung und die Juristen dann um eine Stellungnahme gebeten. Berücksichtigt wurden dabei nur Experten, die entweder überhaupt nicht oder nur am Rande in das Planungsverfahren involviert waren. Um ihnen mögliche zukünftige Aufträge in diesem Zusammenhang nicht zu verbauen, behandeln wir ihre Namen vertraulich

Die Juristen verweisen zunächst darauf, dass die Gerichte der Politik in allen Strukturfragen gemeinhin großen Entscheidungsspielraum ließen. Zudem müsse nicht wegen eines jeden Planungsfehlers das gesamte Bauvorhaben gekippt werden. In der Regel machten die Gerichte in solchen Fällen Auflagen, um die Versäumnisse zu „heilen“, wie es in der Fachsprache heißt. Flughafengegnern gelinge es vor Gericht zwar oft, ein Bauvorhaben durch Auflagen, etwa im Lärmschutz, deutlich teurer zu machen. Es sei aber kein Fall bekannt, in dem eine Flughafenplanung etwa wegen fehlenden Lärmschutzes untersagt worden sei.

Im Einzelnen werden die verschiedenen „K.o.-Punkte“ von den Planungsrechtlern wie folgt analysiert:

Erster Einwand: Durch die deutlich erhöhte Flughafenkapazität steige das Risiko von Flugzeugabstürzen und damit die Gefährdung der umliegenden Gemeinden. Die Bewertung: Ein sehr abstraktes Risiko, für das es keine konkreten Anhaltspunkte gibt. Daher ohne Bedeutung.

Zweiter Einwand: Die geplante Absenkung des Grundwassers bedrohe geschützte Gebiete, gefährde die Trinkwasserversorgung und führe zur Veränderung des Untergrundes. Die Bewertung: Zwar sei der Schutz des Grundwassers zu Recht „eine heilige Kuh“ des Verwaltungsrechts. Aber das verplante Gelände sei kein Trinkwasserschutzgebiet. Vorübergehende ebenso wie dauerhaft drohende Absenkungen des Grundwasserspiegels könnten durch Ingenieurtechnik ausgeglichen werden. Gleiches gelte für Eingriffe in den Naturhaushalt, etwa wenn geschützte Gebiete bedroht seien. Insgesamt kein Grund, die Planung zu stoppen.

Dritter Einwand: Nicht-militärische Altlasten gefährdeten Personal und Reisende. Die Bewertung: Ob es solche Altlasten überhaupt gibt, müsse geprüft werden. Man kann sie beseitigen. Zudem sind große Teile des Bodens bei einem Flughafen ohnedies versiegelt, weil es sich um Verkehrsflächen handelt. Das Risiko sei minimal. Kein Grund für einen Planungsstopp.

Vierter Einwand: Das Gelände sei nicht systematisch auf militärische Altlasten untersucht worden. Die Bewertung: Das muss, wenn es nicht schon geschehen ist, nachgeholt werden. Altlasten wie Munition können und müssen dann beseitigt werden. Das ist aber kein Grund, den Flughafenbau selbst zu verbieten.

Fünfter Einwand: Die Grenzwerte für Luftschadstoffe würden überschritten. Die Bewertung: Ein sehr theoretisches Risiko. An diesem Thema sei noch nie eine Flughafenplanung gescheitert.

Sechster Einwand: Der Lärmschutz sei unzureichend, zahlreiche Anwohner würden in ihren Rechten verletzt. Die Bewertung: Das ist das Schlüsselthema, hier wird es vor dem Leipziger Bundesverwaltungsgericht vermutlich zu „Sachverständigenschlachten“ kommen. Das Gericht kann verlangen, dass der passive Lärmschutz (Schalldämmung an Häusern) ausgedehnt wird; dass bestimmte, zu laute Flugzeugtypen Schönefeld nicht oder nicht zu bestimmten Zeiten anfliegen dürfen (aktiver Lärmschutz). Die BBI-Planer verweisen darauf, dass sie geplante Verschärfungen der Lärmschutzverordnung bereits berücksichtigt hätten. Fazit: Lärmschutz kann den Flughafenneubau teurer machen. Verhindern wird es ihn nicht.

Siebter Einwand: Es handele sich um eine Vorratsplanung, der BBI beanspruche weit mehr Gelände als wirklich benötigt werde. Die Bewertung: Dies wäre nur relevant, wenn es zu Enteignungen gekommen wäre. Das ist aber nicht der Fall. Die zwei Start- und Landebahnen seien in jedem Fall angemessen. Zudem zeigten einerseits die Folgen des 11. September, wie sich die Passagierzahlen negativ, andererseits die Billigflieger, wie sie sich expansiv entwickeln könnten. Insgesamt kein Hinderungsgrund.

Achter Einwand: Es seien keine Standortalternativen untersucht worden. Die Bewertung: Der gemeinsame Berlin-Brandenburger Landesentwicklungsplan zur Flughafenstandortentwicklung (LEP FS) begründet, warum ein stadtnaher Standort vorzuziehen sei – unter anderem mit den Argumenten der besseren Auslastung und des zu erwartenden Anstiegs der Zahl der Arbeitsplätze. Der Flughafen als Jobmaschine sei in Zeiten großer Arbeitslosigkeit ein gewichtiges Argument. Der LEP FS schreibe auch fest, dass es künftig in der Region nur noch einen international angebundenen Flughafen geben solle. Flughafenplanung, so die befragten Juristen, sei wie jede Strukturentscheidung letztlich eine politische Abwägung. Das aber würden die Gerichte akzeptieren.

Die vorgeblichen K.o.-Punkte sind aus Sicht der befragten Planungsrechtler also keine. Der BBI könne gebaut werden – wenn in der Planungsphase von den Behörden keine gravierenden Fehler gemacht worden sind, die erst im Prozess aufgedeckt würden.

Gerd Appenzeller

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