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Berlin: Unbequeme Versöhnerin

Ihre Großmutter, bei der sie aufgewachsen war, nahm sich 1942 das Leben, um der Deportation zu entgehen. Sie war Jüdin.

Ihre Großmutter, bei der sie aufgewachsen war, nahm sich 1942 das Leben, um der Deportation zu entgehen. Sie war Jüdin. Hildegard Hamm-Brücher war tief schockiert, als bei den Nürnberger Prozessen das ganze Ausmaß des nationalsozialistischen Terrors, dem auch ihre Großmutter zum Opfer gefallen war, ans Licht kam. „Dass es jemals wieder jüdisches Leben in Deutschland geben könnte, hätte ich damals nicht in meinen kühnsten Träumen geglaubt“, sagte die frühere FDP-Politikerin gestern. Dass heute über 100 000 Juden hier leben, sei für sie ein richtiges Wunder.

Sie hat viel dazu beigetragen, damit das möglich wurde. Als Journalistin, als Bundestagsabgeordnete und Staatsministerin hat sie nie aufgehört, für Toleranz und Versöhnung zu kämpfen, auch dann, wenn es unbequem war. Hass folge immer der Trägheit des Herzens und sei billig, Liebe hingegen sei ein Wagnis, habe ihr Theodor Heuss Ende der 40er Jahre gesagt. Sie hat sich für Letzteres entschieden. Gestern wurde sie mit dem Heinz-Galinski-Preis ausgezeichnet.

Sie sei sehr bewegt, sagte die 84-jährige Dame, als sie auf das Podium im Festsaal der Jüdischen Gemeinde in der Fasanenstraße stieg. Die deutsch-jüdischen Beziehungen stünden immer noch auf einer „labilen Grundlage“, sagte sie in ihrer Dankrede. Wenn jüdische Einrichtungen von der Polizei geschützt werden müssen, sei man von Normalität weit entfernt: „Die gefährliche Mixtur, die sich aus einem meist aus islamischen Ländern importierten Antijudaismus, aus Antisemitismus und Antiamerikanismus bildet, sollte uns besorgen und herausfordern.“ Als Jürgen Möllemann 2002 mit „dubiosen antisemitischen Anspielungen Zustimmung am rechten Rand einzufangen versuchte“, wie sie sagt, ist Hamm-Brücher aus der FDP ausgetreten.

Von einem riesigen Schwarzweißfoto herab lächelte ihr bei der Rede Heinz Galinski zu, der 1992 verstorbene Gemeinde- und Zentralratsvorsitzende. In der ersten Reihe verfolgte seine Witwe Ruth Galinski die Preisverleihung. Hamm-Brücher sei eine der wenigen Personen im politischen Leben gewesen, der Galinski vertraut habe, so sehr, dass er mit ihr zusammen das Vernichtungslager Auschwitz besuchte, hieß es.

Etwa 200 Gäste waren zur Preisverleihung gekommen, darunter der israelische Botschafter Schimon Stein, Dieter Lenzen, der Präsident der Freien Universität, und TV-Moderatorin Sandra Maischberger. Laudator Ernst Cramer, Journalist und langjähriger Wegbegleiter Axel Springers, kennt die Preisträgerin schon seit den ersten Nachkriegsjahren. Damals hat sie – noch als Hildegard Brücher – für „Die Neue Zeitung“ in München über Entwicklungen in der Wissenschaft berichtet. Feuilletonchef der Zeitung, die die Amerikaner gegründet hatten, war der Schriftsteller Erich Kästner, stellvertretender Chefredakteur sein Kollege Alfred Andersch.

Applaus erntete Hamm-Brücher auch für ihre Aufforderung an die Berliner Gemeindemitglieder, „im Glauben Ihrer Väter zusammenzufinden und zusammenzutreiben“. Zuvor hatte Ernst Cramer darauf hingewiesen, wie sehr sich Heinz Galinski schämen würde, wenn er erlebt hätte, welchen „unwürdigen Krieg sich die Vorstandsmitglieder lieferten“. Galinski habe die wahren preußischen Tugenden Anstand, Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit geliebt und gelebt, weil es die Tugenden des Judentums seien. Nach der Preisverleihung sammelten Gemeindemitglieder Unterschriften für einen Antrag auf Neuwahl in der Gemeinde. Angeblich sind bereits 800 Stimmen zusammen, 2000 sind nötig.

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