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Busspur in Berlin.

© Doris Spiekermann-Klaas

Berliner Unfall-Urteil: Wer ein Kind totfährt, verdient eine Gefängnisstrafe

Wo der Tod eines Kindes dem Unfallfahrer bloß eine Geldstrafe einbringt, ist eine Grenze überschritten. Das versteht niemand. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Werner van Bebber

Als bekennender Nicht-Jurist sollte man vorsichtig sein mit jeder Richterschelte. In einem nicht mehr ganz jungen, institutionell robusten Staat wie der Bundesrepublik ist so ziemlich jeder Straftatbestand vom Nachbarschaftsstreit bis zum Sexmord im Kokainrausch schon einmal durch alle Instanzen beurteilt worden – einschließlich des EU-Menschenrechtsgerichtshofs. Das ist im Grunde gut so, es schafft Vertrauen in den Staat, auch wenn man manchmal staunt, dass es für einen Totschlag bloß ein paar Jahre Gefängnis geben kann.

Sühne muss sein

Aber immerhin: Freiheitsentzug. Fremdbestimmung. Dauernde Verhaltenskontrolle. Und womöglich nicht bloß nette Leute als Nachbarn im Gang. Gefängnis eben. Strafe, Sühne muss sein, jedes Kind versteht das.

Das Gerechtigkeitsempfinden mag dehnbar sein, aber es hat Grenzen. Die liegen da, wo der Tod eines Kindes dem, der ihn verursacht hat, bloß eine Geldstrafe einbringt. Das versteht niemand. Es ist moralisch nicht akzeptabel.

Ein junger Mann fährt mit Tempo 70 über die Busspur – der Außenspiegel seines Autos trifft einen kleinen Jungen, der unbedacht auf die Straße läuft. Der Junge ist tot. Der junge Mann bekommt eine Geldstrafe, wie üblich auf der Grundlage von Tagessätzen, in seinem Fall: fünf Euro. Billiger kann man kaum davonkommen.

Eine Gefängnisstrafe würde ich auch hier für überzogen halten. Es war grobe Fahrlässigkeit und der Fahrer hat auch Reue gezeigt. Allerdings sollte das Fahrverbot eben deutlich länger ausfallen.

schreibt NutzerIn dinsdale

Von einer Sekunde auf die andere ein Leben zerstört, womöglich zwei: Ob die Mutter des Jungen über dessen Tod je hinwegkommen wird? Womöglich drei Leben: Vielleicht wird sich der Todesfahrer für den Rest seines Lebens immer wieder mit der Frage befassen, was ihn bloß angetrieben, was ihn so leichtsinnig gemacht hat.

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Raserei ist fahrlässige Tötung

Manchmal ist es so: Von einer Sekunde zur anderen ist alles anders. Niemand macht immer alles richtig, und gerade im Straßenverkehr ist Leichtsinn endemisch. Aber das kann nicht bedeuten, dass die Rechtsprechung zu etwas Mechanischem wird. Unrechtsbewusstsein? Geprüft, vorhanden. Reue? Geprüft, vorhanden. Wiederholungsgefahr? Gering. Hätte die Mutter den Jungen nicht an der Hand halten können? Macht zusammen soundso viel Tagessätze.

Was kostet ein Leben?

Es gibt Delikte, da sträubt sich jedes Gerechtigkeitsgefühl gegen Tagessätze. Man muss große Freude an juristischer Spitzfindigkeit haben, um eine fahrlässige Tötung zum Geldstrafendelikt zurechtzufilibustern. Die Raserei in den Städten ist längst zum Politikum geworden. Dass Richter ihr Amt auch gesellschaftspolitisch verstehen, haben die Verfahren gegen die beiden Ku’damm-Raser gezeigt. Die Angeklagten hätten „aus nichtigem Anlass“ mit dem Leben eines Menschen gespielt. Abermals soll nun der Bundesgerichtshof das Urteil prüfen.

Das Urteil des Landgerichts über die beiden Raser ist hart. Die beiden haben einen älteren Mann auf dem Gewissen und werden vermutlich ihre Jahre als junge Männer im Knast verbringen. Das harte Urteil hat Aufmerksamkeit erzeugt – und den Eindruck, dass Richter etwas gegen wahrnehmbaren Sittenverfall tun. Im Amtsgericht Tiergarten war man weniger sensibel. Hier weiß man, was ein Leben kostet.

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