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Berlin: Ungeklärt: Das Spiel unter Freunden endete tödlich

Wie von unvorstellbaren Schmerzen gequält sitzt Artur L. zusammengesunken auf der Anklagebank.

Wie von unvorstellbaren Schmerzen gequält sitzt Artur L. zusammengesunken auf der Anklagebank. Totschlag lautet die Anklage, wegen der er sich vor dem Landgericht verantworten muss. Die Staatsanwaltschaft legt dem 25-jährigen Polen zur Last, am 23. März dieses Jahres, im Verlauf eines Streits seinen gleichaltrigen Landsmann Jaczek O. erstochen zu haben.

Immer wieder lässt der hagere Mann mit den kurz geschorenen dunklen Haaren den Kopf auf den Tisch sinken, um Richtern und Schöffen zu zeigen, dass er ein vom Schicksal geschlagener Mensch ist.

Nein, ein Totschläger sei er nicht. Wie das Messer in die Brust von Jacek O. gekommen ist, Herzkammer und Lunge durchstieß, so dass dieser binnen weniger Minuten verblutete, kann er sich nicht erklären. Kopfschüttelnd betrachtet er seine Hände, wie ein paar unartige Kinder, die manchmal machen, was sie wollen. "Nein, dass diese Hände... dass ich so etwas gemacht haben soll..."

Vor zwei Jahren war Artur L., ein arbeitsloser Installateur, aus der polnischen Provinz nach Berlin gekommen. Hier fand er all das, was er in der heimatlichen Kleinstadt vermisst hatte: Gleichgesinnte, die Punkmusik liebten, freiwillig zerlumpt herumliefen und sich die Haare bonbonrosa färbten. Schon bald stieß er auf eine Gruppe polnischer Punks, die ihm zeigten, wie man an stark befahrenen Kreuzungen die Ampelphasen nutzt, um sich mit dem Putzen von Autoscheiben ein paar Mark zu verdienen. Gemeinsam mit Macek, Rafael und Ciba haust er fortan halblegal im Dachgeschoss eines Abbruchhauses in der Friedrichshainer Simon-Dach-Straße. Bis zum 23. März.

Jacek O., ebenfalls obdachlos, hängt häufig bei seinen Kumpels in der Simon-Dach-Straße herum. Auch an diesem Abend. Jacek ist Alkoholiker. Einer der schon mal Brennspiritus trinkt, wenn er nichts anderes kriegen kann. Jacek ist aggressiv.

Artur L. der an diesem Abend eigenen Angaben zufolge ein paar Bier getrunken hatte, kann sich nur noch daran erinnern, dass er mit Jacek in Streit geriet, weil der mit ihm "Händeklatschen" spielen wollte. Dieses Spiel soll so etwas wie ein Hobby des Getöteten gewesen sein, mit veränderten Regeln: Jacek war dafür bekannt, dass er im Verlauf dieses "Spiels" seinem Gegenüber statt auf die Hände ins Gesicht schlug oder ihm Kopfstöße versetzte.

Als sich Artur L. weigerte mitzuspielen, habe ihm der stark Alkoholisierte einen Kopfstoß verpasst. Im Verlauf des folgenden Gerangels habe Artur L. versucht, an eine der in der Küche herumstehenden Flaschen heranzukommen, um sich seinen Widersacher damit vom Leibe zu halten. Und dann habe er das Messer da liegen sehen. Direkt neben den Flaschen...

"Jacek warf sich auf mich und hielt meine Hände fest. Plötzlich war er ganz schlaff." Als einer seiner Mitbewohner herumschrie "Jacek ist tot!" habe er es gar nicht glauben können. Marek, Rafael und Ciba, seine drei Mitbewohner seien sofort geflüchtet. Er sei in den Zug gestiegen, um nach Leschnow zu seiner Mutter zu fahren. Als er nach Deutschland zurückkehrte, um sich nach seinen Angaben den Behörden zu stellen, wurde er an der Grenze festgenommen.

Marek ist eigens aus Hamburg angereist, um vor dem Landgericht auszusagen.

"Wer hat denn mit dem Streit angefangen?", fragt der Richter.

"Der Kumpel, der da sitzt. Weil er den, der jetzt tot ist, beschimpft hat", sagt der Zeuge. Er erinnert er sich noch daran, dass "der, der da sitzt" zu ihm ins Zimmer kam und sich beschwerte, weil "der Kumpel, der tot ist" ihm einen Kopfstoß verpasst habe. Mit den Worten: "Den bring ich um!", habe Jacek L. ein Küchenmesser gepackt, das - anders als L. behauptet - nicht in der Küche, sondern bei ihm im Zimmer herumlag und sei damit hinausgestürmt.

Was wirklich am Abend des 23. März in der Simon-Dach-Straße geschah, wird wohl nie genau geklärt werden. Fest steht, dass ein Mann starb und Artur L. seine Tat offenbar bereut. Die Kammer unter dem Vorsitzenden Richter Ralph Ehestädt hat ihn zu vier Jahren Gefängnis verurteilt.

Peter Murakami

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