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Berlin: Ungeteiltes Erinnern

Berlin soll ein Einheitsdenkmal für die friedliche Revolution von 1989 erhalten Der Standort in Mitte steht noch nicht fest – wir haben mögliche Orte besucht

Der Termin ist symbolisch. Am 9. November will der Bundestag beschließen, in Berlin ein „Freiheits- und Einheitsdenkmal“ zu errichten. Zur Erinnerung an die friedliche Revolution im Herbst 1989, heißt es im gemeinsamen Antrag von CDU/CSU und SPD. Wie dieses Denkmal aussehen und wo es stehen soll, bleibt offen. Zur künstlerischen Gestaltung wird es einen Wettbewerb geben, Bundesregierung und Senat sollen einen geeigneten Ort in Berlins Mitte finden. Erste Überlegungen konzentrieren sich auf fünf Orte. Die haben wir besucht.

Die Glienicker Brücke oder die Bornholmer Straße, in der in der Nacht des 9. November 1989 die ersten Schlagbäume gestürmt wurden, kommen kaum in Frage – zu weit weg vom Zentrum. Pariser Platz, Berlins Touristenattraktion Nr. 1. Hier kletterten die Leute nach dem 9. November 1989 auf die Mauer, hier kamen die Wasserwerfer, und hier stürmten sie das Brandenburger Tor. Heute traben munter die Rosse gen Osten – sollte dieses geschichtsträchtige Wahrzeichen Konkurrenz bekommen? Platz wäre genug, und ein Sockel ist auch schon da – Boteros Bronzepferd zeigt uns derzeit, welche Dimensionen ein neues Denkmal haben dürfte, ohne das Tor künstlich zu verkleinern. Ideal wäre der neue Rahmen: amerikanische und französische Botschaft, das Grandhotel Adlon, Kennedy-Museum, Liebermann-Haus, Akademie der Künste, drei Banken. All das hat es zu Mauerzeiten nicht gegeben. Der Platz war bewachtes Grenzgebiet, „Betreten verboten“. Heute schnattern die Touristen durch Berlins Historie oder lassen sich, eine NVA-Mütze auf dem Kopf, zwischen einem uniformierten Engländer und einem angeblichen Russen fotografieren. „Bitte, wo kommen Sie her?“ „From China“.

Der Platz des 18. März auf der Westseite des Tores wäre groß genug fürs Mahnmal, außerdem liegt es von allen Orts-Vorschlägen dem einstigen Mauerverlauf am nächsten – Autos fahren über die Doppelreihe der Kopfsteine, die hier den nicht mehr vorhandenen Betonwall markieren. Ganz in der Nähe rief Ronald Reagan Mister Gorbatschow zu, die Mauer niederzureißen. Und jedes Jahr am 18. März wird auf dem Platz an die Revolution von 1848 erinnert und „Die Gedanken sind frei“ gesungen. Freilich: Im feierwütigen Berlin scheint dieser Ort am Kopf der Fest- oder Demonstrationsmeile für Bühnen und Tribünen reserviert zu sein. Keine Chance für ein Denkmal.

Vor dem Reichstag dehnt sich ein Gelände, geradezu einladend für ein Mahnmal. Hier wurde am 3. Oktober 1990 die riesige Deutschlandfahne hochgezogen, es gab Jubel, Sekt und Feuerwerk. Und viele glückliche, vielleicht auch nachdenkliche Menschen. Über den Platz der Republik spannt sich des Volkes wahrer Himmel. Im Sommer Bolz- und Campingplatz, gestern war die Warteschlange vor der Fahrt zur Kuppel schon am Vormittag 80 Meter lang. „Hot wine, heißa Glühwein, für eins fuffzich“ ruft der Mann mit der Kanne. Gegen ein Denkmal hat er nichts, aber „hier jehört det nich hin, wir ha’m schon jenuch Monumentalet“. Sagts und zeigt hinüber zum Kanzleramt.

Auch der Schlossplatz steht zur Diskussion, jener Ort, den die „Deutsche Gesellschaft“ seit langem für ihr Denkmal-Projekt favorisiert. Der leere Sockel des einstigen Kaiserdenkmals gegenüber der Palast-Ruine wäre zwar geeignet, weil da schon einmal etwas stand – aber dieses Areal wird in den nächsten zehn Jahren ein Bauplatz sein, für das Humboldt-Forum und für die Spree-Unterquerung der U-Bahn. Zum stillen Gedenken läuten zwar die Glocken des Berliner Doms, aber kann man sie überhaupt hören in all dem Baulärm, wenn er denn ausbricht? Und sollte das Einheits-Denkmal dort stehen, wo einst des Preußen-Kaisers Statue protzte? Wer wollte solch historisch fragwürdige Kontinuität heraufbeschwören? Andererseits: Von hier marschierten wir am 4. November 89 zum Alex. Auch dort ertönt in den nächsten Jahren die Aufbau-Sinfonie. Bei aller Neubau- und Hochhauswut sollte man dort wenigstens an jene Kundgebung erinnern, bei der das Volk von Ost-Berlin fünfhunderttausendfach auf die Straße ging, um freie Wahlen und freie Worte einzufordern.

Der Leipziger Platz ist zwar näher an der einstigen Mauer, die den Potsdamer Platz 28 Jahre lang brutal durchschnitt und kaum noch zu erahnen ist, aber Platz fürs Denkmal? Auf der Grünfläche vor dem Mosse-Palais vielleicht. Man könnte es in die Mitte der Leipziger Straße stellen und den Verkehr herumleiten, eine Art Großer Stern mit dem Denkmal als Arc de Triomphe oder mit der Volks-Siegessäule in der Mitte, um die sich dann alles dreht.

Es lebe die Phantasie! Der Checkpoint Charlie wäre vielleicht ebenso möglich wie der Raum zwischen Bahnhof Friedrichstraße und „Tränenpalast“, über den jeder von uns traurige Geschichten erzählen kann. Oder gehört das Denkmal nicht an die Bernauer Straße? Auch am Gropius-Bau bröckelt noch der Beton, an der Topografie des Terrors. Berlin hat viele Mauer-Orte und neuen Diskussionsstoff.

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