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Treu in Übersee. Unter der rot-weißen Union-Flagge zapft Torsten Meier in seinem Restaurant Bier und serviert Gulasch und Pizza.

© Glenn R. Specht

Union-Fan in Ecuador: Dieser Unioner am Pazifik verpasst kein Spiel

Einst war er in Berlin Hausbesetzer – jetzt ist Torsten Meier in seinem Lokal in San Clemente ein eiserner Union-Fan. An der Bar fiebern Touristen aus aller Welt mit. Ein Besuch.

Schöner könnte die Kulisse kaum sein für Meiers glühendes Bekenntnis zum 1. FC Union. Glutrot versinkt die Sonne im Pazifik, sanft schäumen die Wogen am Strand von San Clemente in Ecuador – da dreht sich Meier vom Zapfhahn seines Lokals an der „Punta Bikini“ weg, weist schwungvoll zur Bar, dorthin, wo er gut sichtbar über den hochprozentigen Flaschen die rot-weiße Fahne seines Fußballclubs angepinnt hat – und lässt keinerlei Zweifel an seiner Zuneigung. „Ick meene“, sagt er, während im Hintergrund das Meer leise rauscht, „Ick meene“, bekräftigt Meier, „Eenmal Unioner, immer Unioner. Det kannst 'de doch wirklich überall sein!“

Und er schwört Stein und Bein, dass er in den vergangenen Jahren kein einziges Union-Match verpasst hat. Seine Elf holt er digital auf den TV-Schirm an der Bar. Dann feuert er die Jungs an, oft zusammen mit gleichgestimmten Fans. Zweimal 45 Minuten wird es nach dem Anpfiff laut bei „Meier's“, vor allem, wenn der Gegner rausfliegt und sich „Eisern Union“ mit dem Sound des Pazifiks vermengt.

Der Union-Clubsprecher sendet "eiserne Grüße"

In der Berliner Clubzentrale war der enthusiastische Anhänger im fernen Ecuador bislang gar nicht bekannt. Bis der Tagesspiegel anrief und Meiers schöne Grüße ausrichtete. „Toll“, freute sich Clubsprecher Christian Arbeit. „Eiserne Grüße zurück. Wir melden uns bei ihm!“ Bisher kannten die Unioner nur Exklaven ihres Clubs in Mui Ne, einem Strandressort am südchinesischen Meer in Vietnam, sowie auf einem Sportplatz in Oudtshoorn am Westkai Südafrikas, genannt „Alte Försterei 2“.

Torsten Meier kam im Krankenhaus Köpenick zur Welt, er ist am Boxhagener Platz in Friedrichshain groß geworden und hat schon als Junge bei Union-Fanturnieren gekickt. Berlinert, sagt der heute 50-Jährige, habe er schon als Kind. „Det hab' ick mit de Muttermilch uffjesoogen, so wat sitzt.“

Wer ihn heute besuchen will, muss allerdings um den halben Globus reisen. Knapp 11000 Kilometer weit – vom Traditionsstadion des 1. FC Union an der Alten Försterei in Köpenick über den Atlantik und die Anden hinweg bis San Clemente an der Küste von Ecuador. Auf der letzten Etappe quert die Landstraße Garnelenzuchtfarmen und Reisfelder, dann geht's hinein in die Gassen des Fischerdorfs bis zum Wendehammer am Strand, wo die Wohnmobile der Camper parken und links, an der Backsteinwand, auf einem großen Holzschild unübersehbar „Meier's“ steht.

Genau besehen ist das Lokal ein einziger, gemütlicher Biergarten, weil es in San Clemente ja nahezu immer sonnig und warm ist. Hier serviert Torsten, den alle, sogar die Einheimischen, nur Meier rufen, außer Pizzen seine Klassiker: Kesselgulasch und Thüringer Bratwürste. Dazu zapft er cerveza alemana. Das braut ein gleichfalls ausgewanderter Deutscher im nahen Städtchen Portoviejo unter dem Label „Bonanza“.

Endlos schön. Der Pazifikstrand von San Clemente. Nur ein paar Schritte von hier entfernt findet man "Meier's"-Restaurant.
Endlos schön. Der Pazifikstrand von San Clemente. Nur ein paar Schritte von hier entfernt findet man "Meier's"-Restaurant.

© Christoph Stollowsky

Torsten Meier, 1,96 Meter groß, dunkler Bart, lange Haarsträhne, die bis zur Schulter herabbaumelt, ist unübersehbar. Sogar in den Dumont-Reiseführer „Ecuador“ hat er es schon geschafft. Außerdem auf die Plattformenn der Globetrotter- und Backpacker-Communities im Netz. „Ein verstecktes Juwel am Strand“, lobt ihn ein Weltenbummler. Und im Reiseführer avanciert er zum „bekanntesten Wahlbürger“ des Ortes. „Ein alter Häuserkämpfer aus Friedrichshain“, stellt ihn Dumont vor, „der sich nach San Clemente verirrte, hier seine Liebe fand und ein einfaches Restaurant mit einem sensationellen Schwertfisch führt – alles zu Hausbesetzer-Solidaritätspreisen.“

Von Ungarn machte er rüber in den Westen

Meier, jetzt erzähl mal genauer. Wie gerät man eigentlich als Berliner in so einen entlegenen Ort?

Also, bis zum 22. Lebensjahr arbeitete er als Mechaniker in einer Kugellagerfabrik in Lichtenberg. Doch 1989, kurz bevor die Mauer fiel, „machte er rüber“ über Ungarn in den Westen. Erst entdeckte er die alte Bundesrepublik, dann ging er nach Berlin, stürzte sich in den Häuserkampf, sang „Keine Macht für Niemand – Ihr kriegt uns hier nicht raus!“ Aber selbst der legendäre „Ton, Steine, Scherben“-Song hielt ihn nicht auf Dauer. Es zog ihn unbändig nach Südamerika.

Siesta bei Meier. Relaxt geht's auf dem Spielplatz seines Lokales zu.
Siesta bei Meier. Relaxt geht's auf dem Spielplatz seines Lokales zu.

© Christoph Stollowsky

Zuerst schaute er sich die Grenze zwischen Mexiko und den USA an. „Ick wollte mal ’ne andere Mauer sehen“, sagt Meier. „Unsere war ja endlich weg.“ Tatsächlich war die mexikanische Nordgrenze schon in den frühen 90ern streckenweise vermauert. Er wand sich mit Grausen, tourte nun jahrelang durch den südamerikanischen Kontinent. Kolumbien, Chile, Venezuela ... Mancherorts blieb er monatelang und jobbte zwischendurch. Meier lacht. „Bis ich 1995 erstmals in San Clemente aufschlug.“ Den pittoresken Ort erkor er zu seinem Hauptquartier. Von dort zog er immer wieder kreuz und quer los, bis er sich 2003 endgültig in San Clemente und eine junge Dorfbewohnerin verliebte. Heute ist Cecilia Bermuda-Meier (42) längst seine Frau, beide betreiben neben der Wirtschaft eine kleine Pension, sie haben zwei Kinder, Kiara Gesina (6) und den einjährigen Thorsten Joachim. Seiner Familie bleibt Meier nun, trotz aller Reiselust, so eisern treu wie dem 1. FC Union.

Zum Anpfiff klingelt der Wecker manchmal früh um Sieben

Selbst die Zeitverschiebung hält einen wahren Fan nicht auf. Stürmt seine Mannschaft am Wochenende um 13 Uhr los, um in der Zweiten Liga aufzusteigen, dann klingelt bei Meier halt der Wecker in aller Frühe. Man muss die Uhr ja gut sechs Stunden zurückstellen. Werktags, wenn der Anstoß in der Regel um 20.30 Uhr erfolgt, läuft alles relaxter. Selbst Ecuadorianer gehören dann zum Fanblock an der Punta Bikini. „Klar, die ähneln uns Deutschen!“, sagt Meier. „Die lieben Bier, Grillen und Fußball.“ Doch auch die zugezogenen Rentner aus den USA und Kanada fiebern am TV mit. Er hat sie mit seiner Leidenschaft angesteckt. Emigrierte Pensionäre gibt es in San Clemente jede Menge, sie genießen am Pazifik ihren Lebensabend oft monatelang – und viel billiger als in der Heimat.

Und Touristen aus Ost-Berlin? Rund sechzig, darunter etliche Unioner, schätzt Meier, habe er in den vergangenen zehn Jahren bewirtet. Ist einer da, rückt die Vergangenheit näher. „Weeste noch“, blicken sie gemeinsam zurück. „Weeste noch“ - damals, als im Fischladen an der Simon-Dach-Straße in Friedrichshain die Salzheringe aus dem Fass geangelt wurden. Als wir am Boxi, also am Boxhagener Platz, unsere Schlittschuhe anschraubten, weil's dort im Winter eine gespritzte Eisbahn gab.

Alle Berliner, selbst die Herthaner, freuen sich natürlich über die Clubfahne mit dem kleinen Bären von der Spree... und löffeln zu Reggae-Rhythmen begeistert Meiers Gulasch. Er selbst gönnt sich übrigens auch gerne mal „’ne Berliner Currywurst“. Wo gibt’s denn die in Ecuador? „Nicht bei ihm, sondern bei „Cherusker“. Das ist eine ecuadorianische Brauerei mit deutschem Craft-Bier und zwei Lokalen in Quito und Baños. „Dort jibt’s die beste Currywurst plus Sauce im Land, einfach perfekt", schwärmt Meier. „So wat Jutes kannst 'de in Berlin suchen.“

Mehr Infos im Netz: http://Restaurant-Pizzeria-Meiers.Business.Site und www.cherusker.com

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