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Istanbul im Blick. Gülriz Egilmez hat in Berlin Modedesign studiert, jetzt lebt sie in Istanbul und sorgt dafür, dass sich Designer beider Städte austauschen. In zwei Wochen zeigen vier türkische Designerinnen auf der Berliner Fashion Week ihre Kollektionen.

© Cornelia Reinauer

Unruhen in der Türkei: Protest auf dem Laufsteg

Gülriz Egilmez will Mode aus Istanbul nach Berlin bringen. Dafür hat sie vor zwei Jahren das Modenetzwerk "Linist" gegründet. Aber jetzt beschäftigt sie sich mit den Unruhen in ihrer Stadt.

„Nein“, sagt Gülriz Egilmez und schüttelt den Lockenkopf. „Ich hätte nicht mit den Protesten gerechnet. Sie kamen aus dem Nichts.“ Die 39-Jährige sitzt in einem Café am Hafen von Istanbul und erinnert sich, wie Ende Mai die ersten Leute im Gezi-Park demonstrierten. Sie hat die Unruhen von Anfang an miterlebt; vor einem Jahr ist sie nach Istanbul gezogen. Unter anderem wegen „Linist“, einem Netzwerk für Modedesigner, das sie 2011 gegründet hat.

Gülriz wurde 1973 in Izmir geboren und zog 1988 nach Berlin, wo sie erst Kulturwissenschaften studierte, dann an die Modeschule Esmod wechselte und drei Jahre ihr eigenes Label „Inat“ führte, was auf Türkisch „Dickköpfigkeit“ bedeutet. Als sie jedoch merkte, dass Design nicht ihr Ding ist und außerdem alle von Istanbul und Berlin schwärmten, aber man „modemäßig wenig übereinander wusste“, kam sie auf die Idee mit der Plattform. „Linist“ – eine Kreation aus BerLIN und ISTanbul – ermöglicht es seitdem jungen Designern an der Modewoche in der jeweils anderen Stadt teilzunehmen.

Deswegen war auch die Reise nach Istanbul geplant: Um mit Gülriz die türkischen Designerinnen Asli Filinta, Ece Gözen, Nazli Bozdag und Nevra Karaca zu besuchen, die am 5. Juli ihre Kollektionen in Berlin präsentieren werden. Wer die vier sind und was sie sich von dem Austausch erhoffen – ursprünglich sollte es in diesem Text darum gehen. Doch dann kam ein Stück türkische Geschichte dazwischen.

Am Samstagnachmittag wirkt alles friedlich in Istanbul. Am Taksim-Platz und auch im Gezi-Park. Die Demonstranten spielen Karten, trinken Tee, essen grüne Pflaumen. Ein Mann, der auf seinem Fahrrad wegen der Spaziergänger nicht vorankommt, ruft: „Vorsicht, ich bin ein Wasserwerfer!“ Die Leute lachen, kurz darauf bekommt Gülriz eine Facebook-Nachricht von einem Freund: „Der türkische Ministerpräsident Erdogan will sich auf einen Kompromiss einlassen.“ Puh, ein Glück. Dann ist bestimmt bald alles vorbei. Selbst Gülriz, die sonst tough erscheint, seufzt erleichtert.

Nur ein paar Stunden später attackiert die Polizei die Demonstranten mit Wasser und Tränengas. Gülriz ruft an und sagt: „Lass’ uns lieber nicht mehr zum Abendessen treffen heute. Wer weiß, wie sich das entwickelt.“ Die ersten drei Kanäle im Fernsehen zeigen Fußball und Spielfilme, aber keine Nachrichten. Das Internet ist schneckenlangsam. Kurz darauf stürmen Protestierende am Hotelfenster vorbei. Weißer Rauch. Polizeisirenen. Herzklopfen. Und die Frage: Gibt es gerade etwas Unwichtigeres als Mode?

„Im Moment ist es wirklich schwer, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Die Proteste beschäftigen hier mittlerweile jeden“, sagt Gülriz. Und dabei ging es doch anfangs nur darum, eine der wenigen Grünflächen in Istanbul vor dem Bau eines weiteren Shopping Centers zu bewahren, denn davon hat die Stadt inzwischen genug. In den letzten drei Wochen entwickelte sich daraus die Forderung, bei großen Entscheidungen wie diesen ein Mitspracherecht zu haben und es kam zu einer Widerstandsbewegung, die es so in der Türkei noch nie gegeben hat.

Die „Istanbul Next“ Show soll trotzdem in Berlin stattfinden, und als man mit Gülriz zwei der vier Designerinnen trifft, stellt sich heraus: Das Thema Mode ist gerade überhaupt nicht unwichtig.

Die 33-jährige Asli Filinta sitzt auf der Dachterrasse eines kleinen Hotels, bestellt Weißwein und stellt lachend die gleiche Frage, die man gerade noch selbst mit sich herumträgt: „Was machen wir drei hier eigentlich? Ich entwerfe einen Rock, Gülriz macht die PR dafür und du schreibst darüber. Wenn ich sehe, was gleichzeitig in meiner Stadt passiert, ist das absurd.“ Aber der Rock sei für sie eben mehr als nur ein Rock, mit ihren Entwürfen drückt sie aus, was sie denkt.

Asli schwärmt von den alten Architekten ihres Landes, von den Malern, den Schriftstellern. Ihre türkische Herkunft bedeutetet ihr viel, und das spiegelt sich auch in ihrer Mode wider. Ihre letzte Kollektion war zum Beispiel dem Moscheenbauer Sinan gewidmet, die neue ist von der Weltkarte des osmanischen Kapitäns Piri Reis inspiriert. „Gerade bin ich sehr stolz, Türkin zu sein. Es gibt mir das Gefühl, alles erreichen zu können, und im Herzen werden wir immer stärker.“

Auch Ece Gözen sagt: „Mode ist eigentlich total überflüssig, niemand braucht neue Kleidung.“ Die 23-Jährige möchte deswegen ihre Kollektionen nutzen, um auf aktuelle Themen hinzuweisen. Für die Entwürfe, die sie bald in Berlin zeigt, hat sie sich mit Graphen, einer besonderen Form von Kohlenstoff beschäftigt. „Ich betrachte die Welt als Ganzes, wir leben hier alle gemeinsam.“

Für Ece ist es deswegen auch selbstverständlich, jeden Tag im Gezi-Park zu demonstrieren. Als sie hörte, dass der Gouverneur von Istanbul zu Gesprächen einlädt, war sie sofort ins Auto gesprungen und hatte teilgenommen. „Eigentlich wurde mir beigebracht, gehorsam zu sein. Jetzt habe ich die Angst verloren und gelernt, meinen Mund aufzumachen.“ Die Proteste will sie auch auf dem Laufsteg in Berlin darstellen. Wie genau, wird man in zwei Wochen sehen können.

Am Sonntagmorgen scheint die Sonne, als wäre in der Nacht zuvor nichts gewesen. Gülriz schlägt vor, durch Karaköy zu spazieren. Ein verwinkeltes Hafenviertel, in dem erst die steilen Straßen, dann die vielen Katzen und schließlich die Cafés, Boutiquen und Konzeptläden, Galerien und Designhotels mit ihren spektakulären Dachterrassen auffallen. Vor etwa einem Jahr wurde Karaköy von jungen Kreativen entdeckt. Seitdem entwickelt sich das Viertel rasend schnell. Manches davon kennt selbst Gülriz nicht. „Aber wenn in Istanbul einmal etwas ins Rollen kommt“, sagt sie „dann ist es so schnell nicht mehr aufzuhalten.“

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