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Berlin: Unsaniert abgedreht

Andreas Dresens neuer Film „Sommer vorm Balkon“ gibt dem alten Prenzlauer Berg eine Hauptrolle

Am Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg steht ein Eckhaus, das sieht jetzt sehr schön aus. Im Sommer 2004 war es noch nicht halb so schön, es sah aus wie die alten Häuser in der DDR: vor allem grau. Ein putzbröckelndes Angedenken versäumter Sanierungen. Es wohnte keiner mehr drin, denn die sollten jetzt nachgeholt werden. Doch dann stand ein Potsdamer Regisseur vor diesem Haus, sah den Balkon ganz oben und dachte: Dieses Haus will ich! Hier will ich meinen neuen Film drehen! Er bekam es. Die Sanierung wurde um einen Monat verschoben. Das war im August vor einem Jahr.

Der Menschen-Filmer Andreas Dresen ist zugleich ein Städte-Filmer. Er hatte in „Halbe Treppe“ Frankfurt (Oder) eine Hauptrolle gegeben. Darum kennen viele in der ganzen Welt jetzt Frankfurt (Oder). Nun hat also der Prenzlauer Berg von heute eine Hauptrolle bei Dresen bekommen. Aber nicht der chice, der sanierte, der trendige Prenzlauer Berg.

Vorm Kinostart im Januar sahen jetzt Besucher des 15. Cottbusser Festivals des Osteuropäischen Films Dresens neuen Berlin-Film „Sommer vorm Balkon“. Er war der Abschlussfilm des Festivals. Selbst überzeugte Anti-Berliner mochten das Eckhaus beim Helmholtzplatz und Berlin gleich mit. Jurymitglied Andreas Dresen stand danach im Foyer der Stadthalle und gab sich Mühe, nicht umzufallen. Denn nicht nur Tadel, auch Lob kann den Menschen umwerfen. Er hat das Haus am Helmholtzplatz noch nicht wiedergesehen, jetzt, wo es so neu aussieht wie eine frisch glasierte Torte. So sentimental ist er dann doch. Im Film gibt es am Ende einen extrascharfen Schnitt und dann noch eine allerletzte, statische Einstellung: das eingerüstete Haus. Und man weiß, die da bis eben wohnten, die man bis eben sah, werden hier nicht wieder einziehen. Es war schon klar, dass Dresen keinen Hauptstadt-Film machen würde, keinen Film über den neuen Prenzlauer Berg, über die Szene und jene, die in den neuen Torten-Häusern wohnen. Der Kamerablick streift kein einziges Szene-Café. Vielleicht, weil die beiden Frauen im Film – eine ist Altenpflegerin, eine arbeitslos – nur ihren Prenzlauer Berg wahrnehmen. In ihrer Eckkneipe summen Spielautomaten, und Papierservietten zeigen ein dekoratives Dreieck unter den Schnapsflaschen am Tresen. Nadja Uhl spielt eine der beiden Freundinnen. Sie fuhr während der Dreharbeiten in dem knalligen Outfit ihrer Filmrolle auf dem Fahrrad durch Prenzlauer Berg, „eine kesse, etwas prollige Schnitte“. Nadja Uhl: „Das junge Szenepublikum auf der Straße übersah mich, ich bin komplett durch dessen Raster gefallen.“ Vielleicht ist es eine gegenseitige Wahrnehmungsschranke. Man lebt im selben Stadtteil, aber in verschiedenen Welten.

Es ist nicht nur Dresens Welt; „Sommer vorm Balkon“ hat vor allem den Berlin-Blick des Drehbuchautors Wolfgang Kohlhaase. Der hat schon in den fünfziger Jahren das Skript zu den legendären Defa-Berlin-Filmen „Berlin – Ecke Schönhauser“ (1957) und „Berlin um die Ecke“ geschrieben. Und später zu Konrad Wolfs „Solo Sunny“, dem DDR-Prenzlauer-Berg-Film schlechthin. Dresen kann die „Solo Sunny“-Dialoge noch immer fast auswendig, viele Motive kehren jetzt wieder. Der Blick über die Dächer, der Blick aus den Häusern der Dänenstraße über die S-Bahn-Schlucht. Und die alten Menschen. In der DDR gehörten die vielen allein lebenden alten Frauen zum Prenzlauer Berg; „Solo Sunny“ war auch ihr Film. Inzwischen sieht man fast keine Alten mehr auf den Straßen, aber in „Sommer vorm Balkon“ sind sie doch wieder da. Ein letztes Mal.

Natürlich war es praktisch, der allerletzte Mieter in einem schon leer gezogenen Haus zu werden. Der Drehstab hatte viel Platz. Und die Wohnungen brauchte man nur so wieder einzuräumen, wie sie wohl ungefähr gewesen sind. Eine ganz oben und eine ganz unten. Und die Briefkästen in dem verwahrlosten Hausflur waren gut, DDR-Fabrikate aller Farben, Größen und Jahrzehnte.

Der Potsdamer Andreas Dresen war schon immer viel in Berlin, zwei-, dreimal in der Woche. Seine Freunde wohnen in Prenzlauer Berg. Als er jung war, sahen die Häuser ungemein alt aus, sie rochen feucht, nach Kohleofen und Eintopf. Heute sehen die alten Häuser oft viel jünger aus als man selbst. Das ist natürlich auch irgendwie kränkend.

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