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Berlin: Unschuldig auf Reisen

Mark Twain war einst der Partyliebling von Berlin Als er 1891/92 hier war, haderte er mit der Sprache

Berlin und Touristen gehören zusammen wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Vor 115 Jahren war das noch ein wenig anders. Reisende waren eher Ausnahmeerscheinungen, Mark Twain, damals schon ein berühmter Autor, konnte sich also über ungeteilte Aufmerksamkeit erfreuen, als er einen Winter und ein Frühjahr der Liebling der Berliner Saison war. Der Schriftsteller war im 19. Jahrhundert Amerikas populärster Reiseautor und als solcher hoffnungslos, wenngleich auf komisch kritische Weise germanophil. Darüber und über seine Auseinandersetzung mit der schrecklichen deutschen Sprache, hielt Fred Kaplan, emeritierter Professor der City University of New York, in der American Academy einen Vortrag. Noch heute ist der gar nicht unschuldige Satiriker ein Quotenbringer. Das Thema „A Not So Innocent Traveler Abroad“ hatte zahlreiche Gäste, auch Manager, Banker und Bestseller-Autor Bernhard Schlink an den Wannsee gelockt.

Mark Twains Liebe zu Deutschland hatte früh schon ein Zimmermann in seinem Heimatdorf Hannibal in Missouri entfacht, ein Einwanderer, der ihn mit deutschen Märchen vertraut machte. Zusätzlich wurde seine Auseinandersetzung mit der deutschen Kultur gefördert durch Ehefrau Olivia, die ein Fan von Richard Wagner war, damals der neueste Musikstar aus Deutschland.

Insgesamt vier Jahre seines Lebens verbrachte der Autor in Deutschland. Von Mitte Oktober 1891 bis Juni 1892 lebte er in Berlin und war als internationale Berühmtheit ein so begehrter Gast bei kulturellen und politischen Gesellschaften, dass seine Tochter Jean schließlich sagte: „Wenn das so weiter geht, Papa, dann bleibt außer Gott niemand mehr übrig, mit dem Du noch bekannt gemacht werden kannst.“ Europäischen Monarchen gegenüber sei der Schriftsteller sehr viel toleranter gewesen als amerikanischen Anwärtern auf die Macht, wie Theodore Roosevelt, den er verachtete. Die Kaiser Franz Joseph und Wilhelm II. seien für ihn eher Fantasiegestalten gewesen, sagte Kaplan. Allerdings erstarrten die Gäste eines kaiserlichen Dinners vor Schreck, als Mark Twain, diesmal wirklich als Innocent Abroad, als Unschuld auf Reisen, seine Meinung zu einem vom Kaiser bei Tisch aufgebrachten Thema äußerte, ohne zunächst abzuwarten, was der Gastgeber dazu meinte. Der deutsche Kaiser, der perfekt Englisch sprach, hatte einige seiner Bücher gelesen, wenn auch nicht, wie Kaplan vermutete, das antimonarchistische Werk „A Connecticut Yankee in King Arthur’s Court“.

Während seiner Reisen lernte Mark Twain Deutsch. Seine lustige Auseinandersetzung mit der „schrecklichen deutschen Sprache“ wurde ausgiebig zitiert. Er würde lieber ganz auf einen guten Freund verzichten, als diesen nach der deutschen Grammatik zu deklinieren, schrieb er. Ausdrücke wie „Stadtverordnetenversammlungen“ waren für ihn keine Wörter, sondern „Umzüge sämtlicher Buchstaben des Alphabets“, die „majestätisch über Zeitungsseiten marschieren“. Und erst die Artikel, da war für ihn keine Logik in Sicht: „Im Deutschen hat ein Fräulein kein Geschlecht, eine Rübe dagegen schon“, spottete er. Und mutmaßte, dass der Erfinder dieser Sprache sich einen Spaß daraus gemacht habe, „sie auf jede Art, die ihm in den Sinn kam, zu komplizieren“. Ob Mark Twain heute ein guter Reformer für die deutsche Sprache wäre? Darum ging es auch noch in den Gesprächen nach dem Ende der offiziellen Diskussion.

In der American Academy folgt auf diesen amüsanten Abend ein lebhaftes Wochenende. Da trifft sich der Vorstand und feiert unter anderem den 80. Geburtstag von Fritz Stern mit einem Symposium.

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