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Berlin: „Unsere beste Waffe ist das Wort“

Als junger Polizist galt er bei Vorgesetzten als Revolutionär und diskutierte mit rebellischen Studenten. Nun geht SEK-Chef Martin Textor in den Ruhestand

Spezialeinsatzkommandos sind eine Elitetruppe. Warum wird trotzdem immer mal wieder die falsche Tür eingetreten?

Weil Fehler passieren, wenn Menschen arbeiten. Und auch SEKLeute sind eben Menschen und machen Fehler. Die kommen selten vor. Aber sie kommen vor. Jeder von uns weiß, dass man in diesem Job beobachtet und kontrolliert wird. Das finde ich auch richtig. Und wenn man einen Fehler gemacht hat, dann schämt man sich.

Sie sind seit 1964 bei der Berliner Polizei. Ihr Vater war auch Polizist. Stammen Sie aus einer Polizeifamilie?

Nein, eher Lehrerfamilie. Mein Großvater und dessen Brüder waren Schulrektoren. Mein Vater ging zur Polizei, als der Krieg vorbei war. Er war Soldat gewesen und musste Geld verdienen.

Und warum Sie? Wollten Sie in Vaters Fußstapfen treten?

Ja, ich denke schon. Ich habe gedacht: Wenn der das gepackt hat, machst du das auch. Lehrer wäre auch nicht schlecht gewesen. Aber ich hatte gerade dreizehn Jahre Schule hinter mir und wollte lieber etwas Praktisches machen. Ich hatte keine Ahnung, dass der Polizeiberuf aus ständigem Weiterlernen besteht.

Sie sind zur Schutzpolizei gegangen und da auch geblieben.

Für mich war Polizei uniformiert. So kam mein Vater nach Hause, das war für mich das Bild eines Polizisten.

Die damaligen Ausbilder waren selbst im Nazistaat ausgebildet worden waren. Wie standen Sie dazu?

Ich war damals noch ziemlich schüchtern und naiv. Das war eben so. Da wurden Pappstäbchen in die Oberhemden eingearbeitet, damit die richtig auf Kante im Schrank lagen. Aber die Sachen, die man tatsächlich anzog, lagen dahinter. Man hat „Ordnung“ gelernt, aber eben auch, wie man sie umgeht.

Und dann kam 1967/68. Man lebt nicht unter einer Glasglocke, auch nicht als Bereitschaftspolizist in einer geschlossenen Einheit. Wie haben Sie das erlebt, was da zu brodeln anfing und zur Revolte wurde?

Zu der Zeit war ich in der Ausbildung zum gehobenen Dienst, meistens an der Polizeischule in Spandau. Ich kann mich an die Osterunruhen 1968 erinnern, an das Attentat auf Rudi Dutschke. Und ich wusste durch meinen Vater, was da lief.

Ihr Vater Werner Textor wurde berühmt – die Demonstranten kannten ihn, er gehörte zur „Gruppe 47“, den 47 Polizisten des „Diskussionskommandos“. Einer frühe Form der Deeskalationspraxis.

Das ging erst 1969 richtig los, als Klaus Hübner Polizeipräsident wurde. Wenn es ihn nicht gegeben hätte, wäre ich nicht Polizist geblieben.

Wie das?

Er hat eine Reform in den Köpfen angeschoben. Da wurde man zum Bürger in Uniform. Er hat zum Beispiel gesagt: Ich will nicht wissen, was die Beamten auf dem Kopf haben, mich interessiert, was sie im Kopf haben. Mit solchen Sprüchen hat er uns junge Leute überzeugt.

Gab es viele von Ihrer Sorte damals in der Berliner Polizei, die diesen Aufbruch mittragen wollten?

Unser Kommissarslehrgang galt als „Rote Zelle Polizei“. Ich muss heute auch darüber lachen, was uns als „rot“ angedichtet wurde. Wir sollten ja Chefs werden, und wir wollten unseren Leuten die Sachen so beibringen, dass die verstehen, was sie da überhaupt tun. Damit galten wir schon als Revolutionäre. Und besonders witzig war, dass wir auch ein Semester an der Pädagogischen Hochschule hospitieren durften. Wir haben mit den Studenten gesprochen und festgestellt: Die spinnen ja gar nicht! Die haben Recht mit vielem! Übrigens wurde aus der „Roten Zelle Polizei“ praktisch die gesamte spätere Polizeiführung. Direktionsleiter, Landeschutzpolizeidirektor, selbst der Inspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder.

Ausgerechnet! Damals haben sich doch die Feindbilder verfestigt: die Staatsgewalt, verkörpert durch die Polizei, gegen die Rebellion, verkörpert durch die Linke.

Richtig, aber damals hatten viele Polizisten eine Langhaarperücke, weil sie sich so kurzgeschoren, wie wir damals rumlaufen mussten, nicht in die Disko getraut haben. Das waren Konflikte! Die hat außer Hübner kaum jemand ernst genommen. Nur – Polizei kann gar nicht anders sein als konservativ, weil sie immer das Bestehende, etwa die gesetzlichen Grundlagen zu schützen hat. Aber dass sich damals etwas verändern musste in dieser Gesellschaft, das sehen heute auch die Gegner der 68er so. Und die Polizei hat diese Veränderung – verzögert – mitvollzogen.

1987, zehn Jahre nach Ihrer Zeit als SEK-Teamführer, gab es einen Anschlag auf Sie. Ein Kilo Sprengstoff explodierte bei Ihnen zu Hause. Kennen Sie die Täter?

Nein, die wurden nie gefasst. Aber heute ist die Sache verjährt. Die könnten sich also ruhig mal bei mir melden, ich würde gern mit ihnen reden. Was mich übrigens an diesem Anschlag am meisten geärgert hat, ist, wie manche Medien damit umgegangen sind. Die „taz“ zum Beispiel hat sich lustig gemacht, dass die Hollywoodschaukel verbrannt ist, und Herr Textor nicht mehr in der Sonne sitzen kann. Was da aber für meine Familie, meine Nachbarn, die Umgebung abgelaufen ist, das hat sich keiner klargemacht.

Die Feindbilder waren damals noch klar.

Ja gut, damit muss man leben. Viele Bürger erleben ja Polizei nicht als Freund und Helfer, sondern als Leute, die ihnen die Freiheit entziehen, die Zwang anwenden.

Wie kommt man damit klar? Kriegt man ein dickes Fell?

Ach, die Polizei weiß doch inzwischen auch, dass die beste Waffe das Wort ist.

Sagt ausgerechnet der Chef der Einheiten mit den neuesten und schärfsten Chemie- und Feuerwaffen?

Ja, natürlich. Auch bei unseren großen Einsätzen steht am Anfang das Sprechen. Wir haben dafür eine eigene Verhandlungsgruppe, aber die ersten Worte mit dem Täter wechseln die SEK-Beamten. Und das Berliner SEK hat viele kleinere Lagen zu lösen. Jede Funkstreife kann uns alarmieren. Und jeder kleine Einsatz ist besser als eine große Übung.

Die Spezialeinsatzkommandos wurden bundesweit gegründet nach dem Eindruck eines Banküberfalls im Sommer 1972 in München, bei dem der Täter eine Geisel mit in den Tod gerissen hatte. Kurz darauf folgte der Terroranschlag auf die israelische Mannschaft bei den Olympischen Spielen. Sie wurden einer der Gründerväter des Berliner SEK.

Gründervater war Hübner, ich war bloß das Kind, das erwachsen werden durfte.

Sie wurden 1973 Teamführer von einer der vier SEK-Gruppen, blieben vier Jahre dabei. Dann kamen sie als erster Berliner Jahrgangsbester aus der Polizeiführungsakademie Hiltrup zurück, durften sich eine Dienststelle aussuchen. Sie gingen wieder zum SEK. Was faszinierte Sie so daran?

Das ist schwer so rüberzubringen, dass es andere verstehen. Das gemeinsame Erleben von Gefahren, die extreme Ausbildung, manchmal über die Erschöpfungsgrenze hinaus, die aber auch Spaß gemacht hat, das gemeinsame Abarbeiten nach Einsätzen – wir kamen nachts zurück und haben drei Stunden Hallenfußball gespielt, das hat so viel Stress weggenommen. Menschen in schwierigen Situationen zu erleben, das alles hat mich unheimlich beeindruckt.

Auch die Erfolge?

Da hat man sehr ambivalente Gefühle. Ich habe ja fast alle Großeinsätze im Bereich der Schwerstkriminalität geführt, und ich weiß, wie dicht Erfolg und Misserfolg zusammenhängen. Es gibt keinen Einsatz, bei dem nicht auch Fehler passiert sind. Der Faktor Glück spielt neben allem Können auch immer eine Rolle.

Was sind für Sie Fehler?

Eigene falsche Einschätzungen, um bei mir selbst anzufangen. Da haben mich Kollegen korrigiert. Kleine Fehlhandlungen. Bei der Bus-Entführung im April 2003 zum Beispiel hat sich bei einem Kollegen ein Schuss gelöst. Mitten in einer ganz schwierigen Situation. Als der Einsatz beendet war, wurde mir gesagt: Der ist in ein geparktes Auto gegangen. Stellen Sie sich vor, wir wären da weggefahren als Sieger, aber in dem Auto hätte ein Toter gesessen.

Als eine Formel bei Geiselnahmen gilt: Zeit gewinnen, die Täter ermüden. Haben Sie eine Philosophie?

Ich habe zu fast allen Geiseln heute noch Verbindung und gelernt, was eine Minute oder gar eine Stunde „Zeitgewinn“ für uns für die Opfer bedeutet. Und meine Philosophie ist heute: Den Geiseln so schnell wie möglich helfen. Das heißt, ich setze nicht nur auf Verhandlungen, sondern suche ständig nach Chancen für einen schnellen, risikoarmen Zugriff.

In den 32 Jahren des SEK hat es drei Tote gegeben. Im Januar 2001 hat der erste SEK-Beamte einen tödlichen Schuss abgeben. Im April 2003 wurde der erste SEK-Beamte erschossen. Und im August 2004 ist ein Mann nach einer Festnahme gestorben. Wie wird man damit fertig?

Es sind drei zu viel! Das beeindruckt zutiefst. Man kann das nicht aus den Kleidern schütteln. Der Tod von Roland Krüger hat bei den Kollegen jetzt noch Wirkung. Bei einigen wissen wir nicht, ob sie ihren Dienst nochmal antreten können. Das ist das interne Problem. Die beiden Toten von außerhalb – ja, der eine hatte einen Raubüberfall begangen und lief mit gezogener Pistole auf die SEK-Beamten zu. Eine typische Notwehrsituation. Später hat sich herausgestellt: Das war eine Schreckschusspistole. Er wurde erschossen, obwohl keine Gefahr von ihm ausging. Das ist für den Schützen schwer zu verarbeiten. Der zweite Tote hatte überhaupt nichts Unrechtes getan. Er sollte vom Balkon aus durch die Gegend geschossen haben, aber das stimmte nicht. Das geht richtig ans Herz.

Jetzt sind Sie bald sechzig, da ist man in Berlin als Beamter pensionsreif. Ist das das Ende einer Ära?

Um Gottes willen! Vielleicht das Ende einer ungewöhnlichen persönlichen Laufbahn. 31 Jahre unmittelbar verbunden mit Spezialeinheiten und Schwerstkriminalität, das hat es meines Wissens noch nicht gegeben. Aber ich denke, ich hab’ dafür gesorgt, dass diejenigen, die für meine Nachfolge infrage kommen, mindestens genau so gut sind. Leider kann ich nicht dafür sorgen, dass sie auch so viel Glück haben werden, wie ich es hatte. Das wünsche ich ihnen.

Das Gespräch führte Pieke Biermann

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