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Berlin: Unter richtiger Flagge

Ein verdächtiges Auto, eine veraltete Fahne – am Roten Rathaus herrschte bis zur Anfahrt von Präsident Karsai Hektik. Doch dann ging alles gut

Von

Von Jörn Hasselmann

und Sabine Beikler

In 15 Minuten soll der afghanische Präsident Hamid Karsai vor dem Roten Rathaus eintreffen. Ein kurze Begrüßung durch den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit steht im Protokoll, anschließend Eintragung ins Goldene Buch. Doch noch fünfzehn Minuten vor diesem Händedruck Wowereit-Karsai haben einige so ihre Probleme mit Afghanistan. Dem Kommissar direkt vor dem Roten Rathaus kommt plötzlich ein kleines rotes Auto zwischen den Verkaufsbuden des Wochenmarktes verdächtig vor: „Der kleine Rote ist sonst nicht hier“, spricht er in sein Funkgerät. Doch Minuten später ist die Besitzerin des verdächtigen Autos gefunden, eine harmlose Verkäuferin von ökologisch-biologischem Honig.

Herr M. von der Senatskanzlei hat sein Herzflattern da gerade hinter sich. 18 Minuten vor zwölf stoppte mit quietschenden Reifen ein Moped, ein Senatsangestellter lief zur Fahrerin, entriss ihr ein Paket, rannte damit zum Fahnenmast. Die afghanische Flagge, schwarz-rot-grün, wurde 17 Minuten vor Karsais Eintreffen gehisst, zwischen der Europa-Flagge und der deutschen. „Wir mussten die neue Flagge ganz kurzfristig anfertigen lassen“, verriet eine Frau vom Protokoll. Denn erst am vergangenen Freitag war der Senatskanzlei mitgeteilt worden, dass Hamid Karsai sich am Dienstag ins Goldene Buch der Stadt eintragen wird. „Das war schon sehr, sehr kurzfristig“, hieß es aus der Senatskanzlei. Es ging dabei nicht nur um die wichtige Einhaltung der Sicherheitsfragen, sondern auch – um die richtige Fahne. Dem Protokoll war gerade noch rechtzeitig aufgefallen, dass die vorrätige Fahne die alte war – nämlich die des Taliban-Staates.

Obwohl – aufgefallen wäre das in dem Trubel beim Händedruck vielleicht ebenso wenig wie ein Krümel auf dem roten Teppich. Doch eine Putzfrau im hellblauen Kittel staubsaugte mit Hingabe die letzten Flusen vom Stoff, begutachtet von einer minütlich wachsenden Zahl von Polizisten. Um 12.01 Uhr biegt Karsais Eskorte aus sieben Polizeimotorrädern um die Ecke, hinterdrein große schwarze Autos. Aus einem Daimler steigt Karsai. Und lächelt. Wowereit sagt „Welcome in Berlin“, dann verschwindet der Tross im Rathaus – für exakt die 40 Minuten, die auch im Protokoll stehen. Alle Polizisten, die in diesen 40 Minuten nichts zu tun haben, stürmen den Wochenmarkt und versorgen sich mit Bratwurst und Chinapfannen aus den Verkaufsbuden, die sie eine Viertelstunde zuvor durchsucht haben. Um 12.40 wieder eine Minute Aufregung, Türenschlagen, Motorenheulen. Und ab.

Wer wissen will, was Karsai als nächstes macht, fährt einfach hinterher. Die Kolonne bewegt sich erstaunlich langsam. In der Grunerstraße hat die Polizei vergessen, die Ampeln auszuschalten, aber Herr Karsai darf bei Rot fahren. Ab der Leipziger Straße steht an jeder Kreuzung ein Polizist und stoppt den Querverkehr. Am Potsdamer Platz freuen sich die Touristen über die vielen Blaulichter.

Nach einer Viertelstunde ist Karsai im Interconti. Dort wohnt er, dort findet heute und morgen die Afghanistan-Konferenz statt. Gegen 15 Uhr fährt Außenminister Fischer vor dem Hotel vor. Etwa zeitgleich wird die Budapester Straße zur „Roten Zone“, wie das bei der Polizei heißt. Das bedeutet: Betreten verboten, Autos und Fahrräder werden abgeschleppt, Gullys und Papierkörbe auf Bomben inspiziert und anschließend versiegelt. Polizeitaucher tauchen im Landwehrkanal, die Schifffahrt wird gestoppt. Im „Moma- Shop“ im Interconti quartiert sich die Berliner Polizei ein. „Befehlsstelle“ verrät ein weißer Zettel. Erst um 16 Uhr wird Karsai wieder aufbrechen, dann zum Bundeskanzler. Am Abend ziehen Karsai und seine Begleiter Richtung Potsdamer Platz weiter: Zum Dinner mit Vertretern der deutschen Industrie im Weinhaus Huth.

Die Sperrzone vor dem Interconti gilt bis Donnerstagabend – vor allem, weil US-Außenminister Colin Powell heute eintrifft.

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