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Die Bunkeranlagen aus dem Zweiten Weltkrieg kann man bei der Führung des Vereins „Berliner Unterwelten“ begutachten. Dietrich Arnold ist der Vorsitzender.

© Doris Spiekermann-Klaas

Unterirdisches Berlin: Bahnhöfe und Bunker öffnen zur "Langen Nacht der Unterwelten"

Seit zwanzig Jahren gibt es den Verein, der durch den Bauch der Stadt führt. Heute Abend werden aufgegebene Berliner U-Bahnhöfe, Bunker und Kalkhöhlen gezeigt.

Zwanzig vor zehn, ein Mittwochvormittag. Vor dem Ticketschalter der „Berliner Unterwelten“ an der Brunnenstraße bilden sich schon vor der Öffnung Menschentrauben. Sie werden an einer der zahlreichen unterirdischen Führungen teilnehmen, die der gemeinnützige Verein in Berlins Eingeweiden in sieben verschiedenen Sprachen anbietet.

Dietrich Arnold kommt in einem Nadelstreifenanzug und einem weißen Hemd. Er wirkt fast zu schick angezogen für einen Ausflug in den Berliner Untergrund. Arnold zieht sich eine leuchtende, orangefarbene Warnweste über. Auf der Brust ist ein Aufnäher mit dem Berliner Bären, dem Wappentier der Hauptstadt. Bei den Unterwelten hat der Bär aber eine Taschenlampe in der Hand und lächelt. Arnold holt noch schnell Kaffee und Zigaretten beim Spätkauf. Dann kann es los gehen.

Der Weg in den Untergrund war steinig

Seinen Aufzug erklärt er so: „Ich bin gestern nicht mehr nach Hause gekommen. Wir waren noch feiern.“ Gefeiert wurde das zwanzigjährige Bestehen des Vereins Berliner Unterwelten am Dienstag ganz überirdisch im Bärensaal im alten Stadthaus in Mitte. Bürgermeister Michael Müller hielt eine Jubiläumsrede und Arnold ist darauf sichtlich stolz.

Er ist einer der elf Gründer des Vereins und Initiator des ungewöhnlichen Projekts. Heute ist er Vorstandsvorsitzender. So manches Mal habe man ihnen Steine in den Weg gelegt. Anfangs wurden sie von der Langen Nacht der Museen ausgeschlossen. Fragt man Arnold warum, zuckt er mit den Schultern. Dann öffnet er eine unscheinbare grüne Tür im U-Bahnhof Gesundbrunnen und es geht nach unten.

"Vor Eintritt Füße in Chlorkalk abtreten"

Seit 1998 hat der Verein in diesem Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg seine Geschäftsstelle. Dort befindet sich auch das Berliner Unterwelten-Museum. „Achtung. Vor Eintritt Füße in Chlorkalk abtreten“, steht auf einem Schild. Der studierte Städte- und Regionalplaner erklärt, dass so während des Zweiten Weltkrieges nach einem Gasangriff die giftigen Dämpfe, die womöglich noch an den Sohlen der Soldaten klebten, neutralisiert wurden um den Bunker nicht zu kontaminieren.

Er erzählt auch von den Bunkern in der Ostseestraße in Prenzlauer Berg. Nach dem Krieg hätten die Sowjets dort die UFA-Unterhaltungsfilme des Dritten Reiches gesammelt, synchronisiert und in sowjetischen Kinos gezeigt. Im Museum gibt es auch ein Modell der Berliner Rohrpost. Das vergessene Netz bestand aus 27 Linien, auf denen alle 15 Minuten Telegramme und Briefe in runden Büchsen mit Druckluft durch den Untergrund befördert wurden. In West-Berlin bis 1963, im Osten bis 1976.

Rund 335.000 Besucher stiegen 2016 hinab

All das können Besucher Samstagabend bei den Feierlichkeiten zum 20-jährigen Bestehen des Vereins besichtigen. Um 17 Uhr startet die „Lange Nacht der Unterwelten“. Schauplatz sind die U-Bahnlinie 8 zwischen Paracelsus-Bad und Hermannplatz und ein neuer Kulturraum unter der Behmstraße zwischen Gesundbrunnen und Prenzlauer Berg.

Grund zum Feiern hat der selbstfinanzierte Verein allemal. Er hat 1997 ehrenamtlich begonnen, heute gibt es 47 feste und 110 freie Mitarbeiter. Die Besucherzahlen sind von 3000 im Jahr 2000 auf 335.000 im vergangenen Jahr gestiegen.

Raum 17 im ehemaligen Bunker unter der Brunnenstraße. Achtung, nur für Nichtraucher.
Raum 17 im ehemaligen Bunker unter der Brunnenstraße. Achtung, nur für Nichtraucher.

© Doris Spiekermann-Klaas

Eine Bunker wird zur Tropfsteinhöhle

Arnold arbeitet schon am nächsten Projekt. 2018 soll ein Besucherbereich fertiggestellt werden, der einen historischen Fluchttunnel von Ost nach West anschaulich machen wird. „Untergrundgeschichte spiegelt Stadtgeschichte wider“ heißt es in Arnolds Buch „Dunkle Welten“ von 1997. Mittlerweile erscheint es in der zehnten Auflage. Angefangen habe alles in Paris, als er als junger Student eine zweitägige Tour durch die Katakomben mitgemacht hatte und von der Unterwelt fasziniert war.

Am Ende der Tour zeigt Arnold noch eine Besonderheit. Neben dem Bunker, in dem das Museum untergebracht ist, haben sie 1999 eine weitere Schutzanlage entdeckt. Nur gebückt kommt man durch einen kleinen Verbindungsgang hinein und steht dann in einer Art neuzeitlicher Tropfsteinhöhle.

In den letzten zehn Jahren haben sich dort aus Kalk bis zu zwei Meter lange, dünne Stalaktiten gebildet, die zahlreich von der Decke hängen. Aus dem Boden wachsen hühnereiergroße Stalagmiten.

Erdbebensicher speisen in Berlin

Zwischen diesem Bunker und den darüberliegenden Wohnhäusern und Restaurants wurden enorme Stahlfedern im Boden verbaut, um die Erschütterungen durch die Züge der U 8 abzudämpfen, die unter den Kalkgebilden des Bunkers durchrattert. Das ist laut Arnold eine Besonderheit am Bahnhof Gesundbrunnen. Die Federn würden normal nur zum Erdbebenschutz gebraucht. „Damit haben wir hier nicht nur die längste Rolltreppe Berlins sondern auch die erdbebensichersten Restaurants der Stadt.“

Clarissa Herrmann

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