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Auftakt. Am Dienstag marschierten einige hundert Lehrer nach ihren Personalversammlungen zur Kundgebung vor der Bildungsverwaltung am Alexanderplatz.

© Vincent Schlenner

Unterrichtsausfall inklusive: Ab Mittwoch streiken die Lehrer

Das Schuljahr hat kaum begonnen, da fällt schon wieder Unterricht aus: Berlins Lehrer treten ab Mittwoch in einen Warnstreik. Und ein Ende der Auseinandersetzungen ist nicht in Sicht.

Das werden bange Minuten am Mittwoch und am Donnerstag kurz vor Acht: Bis zuletzt wissen Berlins Schulleiter nicht genau, wie viele Lehrer ihren Unterricht antreten werden. „Auch morgens früh können die Kollegen noch kurzfristig Bescheid geben, ob sie streiken“, erklärte Schulleiter Tobias Barthel am Dienstag die unsichere Ausgangslage. Somit wusste er noch nicht, ob er die Lernanfänger zur Notbetreuung in der Aula zusammentrommeln muss oder ob sie wie gewohnt in ihren Klassen in der Gemeinschaftsschule am Grünen Campus Malchow betreut werden können.

Notbetreuung, Unterrichtsausfall, empörte Eltern, genervte Lehrer und verunsicherte Schüler – so verläuft die dritte Schulwoche. Bereits am Dienstag fand vielerorts nur bis elf Uhr das reguläre Programm statt, weil die Gewerkschaften zu Personalversammlungen aufgerufen hatten. „Im Delphi-Kino reichten die Sitzplätze nicht, es war gerammelt voll, und die Stimmung war gereizt“, berichtete GEW-Sprecher Tom Erdmann über die Personalversammlung für Mitte und Neukölln. Ähnlich war die Lage im Henry- Ford-Bau der FU, wo sich Lehrer aus Charlottenburg-Wilmersdorf versammelt hatten, und auch in der großen Aula der Lichtenberger Max-Taut-Schule. Anschließend zogen die Lehrer zur Protestkundgebung vor die Bildungsverwaltung.

 Auf der Straße. Gegen "schlechte Arbeitsbedingungen" demonstrierte am Dienstag Hans-Jürgen Willenbrink vom Max-Planck-Gymnasium vor der Bildungsverwaltung.
Auf der Straße. Gegen "schlechte Arbeitsbedingungen" demonstrierte am Dienstag Hans-Jürgen Willenbrink vom Max-Planck-Gymnasium vor der Bildungsverwaltung.

© Vincent Schlenner

„Der Senat wertschätzt unsere Arbeit überhaupt nicht. Die Arbeitsbedingungen sind in den letzten Jahren immer schlechter geworden. Da muss man sich einfach wehren,“ machte Hans-Jürgen Willenbrink vom Max-Planck-Gymnasium in Mitte seinem Ärger Luft. Andere thematisierten die zusätzlichen Präsenztage am Ende der Sommerferien. Vorherrschendes Thema war aber die Ungleichbehandlung mit den Beamten: „Ich kriege als Angestellte weniger Geld, obwohl wir dieselbe Ausbildung haben“, ärgert sich Johanna Schneider, 35, Lehrerin am Ernst-Abbe-Gymnasium in Neukölln.

„Ich fühle mich betrogen, weil ich immer mehr arbeiten muss. Seit 2003 ist die Arbeitszeit immer weiter gestiegen. Mit 58 Jahren muss man zwar eine Stunde weniger unterrichten, und mit 61 dann zwei Stunden weniger, aber es gibt keine Altersteilzeit mehr“, beschwert sich Gabriele Rusitschka, 62, von der Schule an der Viktoriastadt in Lichtenberg.  

Viele Lehrer beschweren sich auch über das „Maßnahmepaket zur Steigerung der Attraktivität des Lehrerberufs“, dass Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) im Frühjahr präsentiert hatte. „Das war eine zynische Aktion des Senats, die nur mehr Arbeitserschwernisse für uns bringt. Die freien Tage zum Ausgleich der Arbeitszeitverlängerung fallen teils weg, weil wir uns dann gegenseitig vertreten sollen. Es sind auch einfach zu wenig Lehrer an den Schulen, manche sind immer wieder dauerkrank“, beschreibt Ulf Höpfner, 42, vom Diesterweg Gymnasium in Mitte seien Sicht der Dinge. Und Petra Moser, 41, vom Buckower Hannah-Arendt-Gymnasium glaubt, dass der Senat „doch gar nicht mitkriegt, wie viel wir arbeiten“.

Die GEW fordert eine tarifliche Eingruppierung der angestellten Lehrer, um eine Grundlage mit klar bezifferten Einkommensstufen zu schaffen, die das Land nicht einseitig aufkündigen kann.. Finanzsenator Ulrich Nußbaum (für die SPD) bleibt bei seiner Darstellung, dass das Land Berlin nicht selbst mit den Gewerkschaften verhandeln könne, weil dafür die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) zuständig sei. Sonst riskiere Berlin den TdL-Ausschluss. Dem hat allerdings das Arbeitsgericht widersprochen: Die Satzung der TdL stehe wegen der Tarifautonomie jedes einzelnen Mitgliedslandes Tarifverhandlungen „nicht entgegen“, heißt es in einer Entscheidung des Arbeitsgerichts vom April 2013, solange sich diese Verhandlungen auf das betreffende Land beziehen. „Aus der TdL rausfliegen kann Berlin nur, wenn es einen verhandelten Abschluss in der TdL nicht zur Abstimmung stellt“, erläutert GEW-Tarifexpertin Ilse Schaad die Rechtslage aus ihrer Sicht. Eine Lösung des Konfliktes ist nicht in Sicht.

Am Mittwoch bekommen die Streikenden Unterstützung vom Verdi-Bundesvorsitzenden Frank Bsirske, der mittags bei der Kundgebung vor der Senatsverwaltung das Wort ergreifen will. Am Donnerstag treffen sich die Streikenden um 10 Uhr vor der Berliner CDU-Zentrale in der Kleiststraße nahe U-Bahnhof Wittenbergplatz. Die CDU-Bildungspolitikerin Hildegard Bentele bekräftigte am Dienstag ihre Forderung nach einer Rückkehr zur Verbeamtung der Berliner Lehrer. Von der CDU aus geht es zur SPD-Bundesgeschäftsstelle in der Wilhelmstraße. Gegen 11.30 Uhr ist dort eine Rede der GEW-Bundesvorsitzenden Marlies Tepe geplant. Der bündnisgrüne Bildungspolitiker Özcan Mutlu forderte den Senat auf, „die Sorgen und Nöte der angestellten Lehrer endlich ernst zu nehmen“. Beide Seiten müsste zügig Verhandlungen beginnen.

Schulen und Eltern fragen sich jetzt, wie lange Senat und Gewerkschaft noch auf ihren gegenteiligen Ansichten bestehen können, ohne das Schuljahr zu gefährden. „Man kann nicht endlos warnstreiken. Wenn der Arbeitgeber nicht reagiert, dann lautet der normale Ablauf: Urabstimmung und unbefristeter Streik“, beschreibt Schaad das drohende Szenario.

Der Unterrichtsausfall ist schon jetzt nicht unerheblich. Falls die von der GEW erhofften rund 3000 Lehrer streiken, die im Schnitt fünf Stunden unterrichten, fallen an den beiden aktuellen Streiktagen jeweils rund 15000 Stunden aus. Im Mai hatten zuletzt während einer Streikwoche täglich 500 bis 2000 Lehrer gestreikt.

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