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Die Verbeamtung könnte erheblich gegen den Lehrermangel helfen, lautet die Erwartung der Befürworter.

© dpa/Frank Molter

Unterschied von 9000 Euro netto im Jahr: Warum die Zeichen bei der SPD doch auf Lehrer-Verbeamtung stehen könnten

Die Fronten sind verhärtet: Soll Berlin Lehrer wieder verbeamten? Darüber stimmt die SPD auf dem Parteitag am kommenden Sonnabend ab.

Seit 15 Jahren hadert die Berliner SPD in der Frage der Lehrerverbeamtung mit sich – jetzt kommt wohl neue Bewegung in die Mehrheitsverhältnisse: Auf dem Landesparteitag am kommenden Sonnabend könnte die Entscheidung anders ausfallen als in der Vergangenheit und zugunsten der Verbeamtung ausgehen, denn einige offene Fragen des vorherigen Parteitags sind nun geklärt.

Dazu gehört in erster Linie die Frage, ob sich die finanziellen Nachteile der Angestellten nicht anderweitig ausgleichen lassen könnten, ohne dass man sie verbeamtet. Die Antwort von Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) lautet „Nein“. So steht es in einem 17-seitigen Papier, das dem Tagesspiegel vorliegt: „Ausgleichsmaßnahmen unabhängig vom Tarifvertrag der Länder (TdL) kann das Land Berlin nicht einführen, ohne seine Verpflichtungen gegenüber der TdL zu verletzen“.

Es geht um sehr viel Geld, wie aus Tabellen der Finanzverwaltung hervorgeht: Sie hat akribisch zusammengestellt, was Angestellte und Beamte jeweils in ihren Verdienstgruppen netto erhalten. Daraus geht hervor, dass Angestellte ohne Kinder pro Jahr bis zu 5850 Euro weniger netto erhalten als Beamte. Bei zwei Kindern steigt die Differenz auf bis zu 9000 Euro im Jahr. Hinzu kommen die übrigen finanziellen Nachteile der Angestellten wie niedrigere Renten und eingeschränkte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Um all diese Nachteile zu kompensieren, müsste das Land horrende Bruttogehälter zahlen, was die TdL nicht mittragen und was auch den Berliner Haushalt überlasten würde.

In einem „Faktenblatt“ liefern Befürworter der Verbeamtung dem Parteitag weitere Informationen zur Lehrerabwanderung: Es wird aufgelistet, dass die Zahl der Kündigungen bereits im August bei 620 lag. Vermutet wird, dass es bis Jahresende noch mehr werden und dass davon rund 550 wegen der Nichtverbeamtung gehen – was aber eine reine Schätzung ist.

Es gibt nur Schätzungen über die Verluste

Zusätzlich wird darauf verwiesen, dass „20 bis 30 Prozent“ der Lehramtsstudenten nach dem Studium die Stadt verlassen. Ein weiteres Viertel geht nach dem Referendariat verloren: Für beide Gruppen wurde zwar abermals nicht erhoben, wie viele von ihnen nachweislich wegen der fehlenden Verbeamtung gehen. In den Schulen machen allerdings immer wieder Berichte von guten Kräften die Runde, die der Stadt den Rücken kehren, um woanders verbeamtet zu werden, wie nicht nur Florian Bublys von der Lehrervereinigung „Bildet Berlin“ berichtet.

Sicher ist: Die Zahl der Quereinsteiger in Berlin steigt laufend. Die Stadt habe seit 2012 schon rund 7600 Quer- oder Seiteneinsteiger eingestellt, hat SPD-Bildungspolitikerin Maja Lasic ausgerechnet. Schon jetzt bestehe „ein Viertel des Lehrkörpers“ aus Mitarbeitern, die den Beruf ursprünglich gar nicht studiert hätten.

Lasic gehörte wie SPD-Fraktionsschef Raed Saleh zu denjenigen, die die Nichtverbeamtung ursprünglich richtig fanden, jetzt aber unter dem Druck des Lehrermangels den umgekehrten Weg beschreiten wollen: „Wer glaubt, Thema Schulqualität und -entwicklung abkoppeln zu können vom Thema Fachkräftesicherung – der irrt“, sagt Lasic. Man könne die Berliner Schulen nur dann voranbringen, „wenn ein ausreichend hoher Anteil der Lehrkräfte die Kapazität und Kompetenz hat, Unterricht immer weiter neu zu denken.“

In Berlin sind fast Fächer vom Lehrermangel betroffen.
In Berlin sind fast Fächer vom Lehrermangel betroffen.

© Tabelle: Tagesspiegel/Böttcher

Lasic weiß auf ihrer Seite nicht nur den Regierenden Bürgermeister Michael Müller, Fraktionschef Saleh und die Mehrheit der Fraktion, sondern auch Bildungssenatorin Sandra Scheeres und etliche SPD-Bildungsstadträte und Bürgermeister wie den Spandauer Helmut Kleebank. „Wir bekommen Probleme wie die hohe Schulabbrecherquote nicht in den Griff mit vielen Quereinsteigern, denn das hat was mit Unterrichtsqualität zu tun“, ist sich Kleebank sicher.

Die von Scheeres angeschobene Qualitätsoffensive „verpuffe“, wenn die Lehrer „alle Hände voll damit zu tun haben, Quereinsteiger einzuarbeiten“, sagt Kleebank, der beim Parteitag zum Thema reden will. Und was will er sagen? „Dass die Nichtverbeamtung weiterhin ein wichtiges Thema in den Lehrerzimmern ist und dass es ungerecht ist, dass Beamte aus anderen Bundesländern in Berlin als Beamte weiterarbeiten können und die Berliner Angestellte bleiben müssen“.

„6000 Lehrer könnten gar nicht verbeamtet werden“

Die Gerechtigkeitsdebatte führen allerdings auch die Gegner der Verbeamtung. Sie verweisen auf die laut Finanzverwaltung rund 6000 Lehrer, die aus Alters- oder Krankheitsgründen nicht mehr verbeamtet werden können. Diese Betroffenenzahl könnte allerdings erheblich schrumpfen, wenn die Verbeamtungsgrenze von 45 auf 50 Jahre heraufgesetzt würde.

Darauf verweist eine Gruppe ehemaliger Berliner GEW-Funktionäre, die bis zu ihrer Pensionierung als hohe Ministerialbeamte im Brandenburger Bildungsministerium gearbeitet und dort die Rückkehr zur Verbeamtung begleitet hatten.

SPD-Bildungspolitikerin Maja Lasic, hier mit Fraktionschef Raed Saleh, hat die Reformvorschläge unterbreitet.
SPD-Bildungspolitikerin Maja Lasic, hier mit Fraktionschef Raed Saleh, hat die Reformvorschläge unterbreitet.

© Kai-Uwe Heinrich

Alle drei - Reiner-Maria Fahlbusch, Andreas Volbracht und Sönke Harm Pörksen - haben sich an diesem Wochenende an die SPD-Abgeordneten gewandt und auf einige Ungereimtheiten in den Unterlagen hinzuweisen, die der Senat den SPD-Delegierten zur Verfügung gestellt hatte, um dem Prüfauftrag des Parteitags zu entsprechen. Dazu zählt etwa die Tatsache, dass die zusätzliche Altersversorgung für die angestellten Lehrer, die vom Versorgungswerk der Länder gezahlt wird, auf dem „Faktenblatt“ fehlt - nicht das erste Mal während der Diskussion um die Vor- und Nachteile der (Nicht-)Verbeamtung.

Kritik an der Finanzverwaltung

Die drei Fachleute kritisieren zudem, dass im Papier der Finanzverwaltung „etwa bei der Gegenüberstellung von Renten- und Versorgungsansprüchen mit unrealistischen Annahmen operiert wird“, weil Bruttobezüge von Beamten und Angestellten verglichen würden und nicht Arbeitgeberkosten, weil nicht auf Jahres-, sondern auf Monatsbeträge abgestellt werde und vieles mehr.

Falsch sei auch die in den Unterlagen der Finanzverwaltung aufgestellte Behauptung, dass das Land Hamburg hohe Beträge zur Vorsorge für die späteren Versorgungslasten in einen Pensionsfonds einstelle: Hamburg stelle lediglich einen rein rechnerischen Posten für die Versorgungslasten in seine Bilanz ein – ein Umstand, den die Verwaltungsexperten auf ihrer eigens für die Verbeamtungsdiskussion eingerichteten Homepage näher beleuchten.

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Schon beim vergangenen Parteitag im März hat sich allerdings gezeigt, dass diese Fakten, obgleich sie Milliardenausgaben bedeuten, kaum Beachtung finden: „Die eine Seite rechnet die Lehrerabwanderungen künstlich hoch, die andere führt eine zweispältige Gerechtigkeitsdebatte – beide Seiten wollen die finanziellen Auswirkungen nicht wirklich zu durchdringen“, moniert ein Parteitagsdelegierter, der noch unschlüssig ist, für welche Seite er stimmen soll.

Lehrer demonstrieren beim Parteitag

Zu denen, die die Verbeamtung ablehnen, gehört selbst der Chef der mächtigen Berliner Bildungsgewerkschaft GEW, Tom Erdmann. Auf dem SPD-Parteitag im März hatte er sich denn auch entsprechend positioniert: Obwohl er Mitglied der Linkspartei ist, hatte er Rederecht bekommen und dieses Rederecht für ein flammendes Votum gegen die Verbeamtung genutzt, was heftige Diskussionen in der GEW und einzelne Austritte ausgelöst hatte.

Erdmanns Haltung sei nur „mit ideologischer Borniertheit zu erklären, die völlig an der Realität vorbeigeht“, findet Christoph Köhn, der stellvertretende Leiter der Schöneberger Sophie-Scholl-Schule. Nicht nur Köhn sondern auch weitere Lehrer sowie Vertreter der Initiative „Bildet Berlin“ wollen diese Woche versuchen, noch Einfluss auf die Delegierten zu nehmen und zudem abermals vor dem Parteitag am Hotel Intercontinental an der Budapester Straße demonstrieren.

Falls der Parteitag wieder gegen die Verbeamtung stimme, wäre das „mit Blick auf den immer dramatischer werdenden Lehrermangel eine Bankrotterklärung und hätte mit Realpolitik nichts mehr zu tun“, steht für Köhn fest.

Protest in Schwarz. Die Initiative „Bildet Berlin!“ gedachte vor dem letzten SPD-Parteitag im März der abgewanderten Lehrer mit einem "Trauerzug".
Protest in Schwarz. Die Initiative „Bildet Berlin!“ gedachte vor dem letzten SPD-Parteitag im März der abgewanderten Lehrer mit einem "Trauerzug".

© Paul Zinken/dpa

Dass es nicht nur bei der Sitzung des Landesvorstands am Montag, sondern auch auch beim Parteitag am Sonnabend kämpferisch zugehen könnte, ist schon absehbar – etwa anhand der wütenden Reaktionen auf die Abstimmung der SPD-Fraktion, die im September mit großer Mehrheit für die Verbeamtung votiert hatte.

Der ehemalige Bildungs-Staatssekretär Mark Rackles (SPD), die Juso-Vorsitzende Annika Klose und weitere Funktionsträger hatten sich mit einem Protestbrief an die Fraktion gewandt und erklärt, dass es ihr nicht zustehe, vor dem Parteitag eigenmächtig die Frage abzustimmen.

Die aufgeheizte Stimmung hat auch damit zu tun, dass die Abstimmung beim Parteitag im März recht knapp ausgefallen war: Mit 117 zu 111 Stimmen war der Antrag aus Mitte durchgekommen, eine „ergebnisoffene Gegenüberstellung“ der Optionen vom Senat einzufordern und dann erneut abzustimmen.

Zudem geht der Kampf in jedem Fall weiter: Bei einem "Ja" zur Verbeamtung käme die Auseinandersetzung mit den Koalitionspartnern auf die SPD zu, da beide die Verbeamtung ablehnen, bei einem "Nein" würde man den Lehrermangel weiterhin vor allem der SPD in die Schuhe schieben, die die Schulsenatorin stellt und deren damaliger Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) die Nichtverbeamtung durchsetzte - zwar zusammen mit dem Koalitionspartner Linke, aber Wowereit galt damals als Triebfeder.

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