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Berlin: Unterwegs in dieVergangenheit

Junge Türken erkunden früheres jüdisches Leben in Kreuzberg

„Martha Löwenstein verkaufte früher hier an der Oranienstraße 36 Weißwaren. Später wurde sie deportiert und starb 1942 im Ghetto in Lodz“, erzählt Hayriye Aydin und zeigt auf die graffitiverschmierte Eingangstür. „Das liegt in Russland – oder in Polen?“ Die 16 Jahre alte Schülerin hält verunsichert in ihrem Vortrag inne. Ihr weißes Kopftuch hat sie im Nacken gebunden, die Spitzenborte aber tief in die Stirn gezogen. Sie steht in einem Hauseingang, nicht jeder ihrer Sätze dringt zu ihren etwa 20 Zuhörern durch – zu laut ist der Autoverkehr.

Hayriye Aydin ist eine von fünf Betriebspraktikanten bei der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIGA), die am 9. November Mitschüler, Lehrer und Mitarbeiter der Initiative durch Kreuzberg führen – auf den Spuren jüdischen Lebens in den dreißiger und vierziger Jahren. Vier der Schüler kommen von der Eberhard-Klein-Schule in Kreuzberg, an der es seit einiger Zeit nur noch Kinder aus Einwandererfamilien gibt. Auch ihre Zuhörer kommen von dieser Schule . „Palästina-PLO“ steht auf dem Rucksack eines Jungen – Antisemitismus ist in Kreuzberg ein heikles Thema, das aber oft auf Desinteresse stößt.

Der Rundgang ist der Höhepunkt des Praktikums, die Zehntklässler haben die Führung und eine Broschüre in den vergangenen drei Wochen erarbeitet. Alle sind mit Begeisterung bei der Sache – trotz kleiner Patzer. „Vorher mochte ich Geschichtsunterricht nicht. Durch das Praktikum habe ich jetzt Spaß daran“, sagt die 16 Jahre alte Merve Dinc. Unter der Anleitung von KIGA-Mitarbeiter Mirko Niehoff haben sie im Internet und im Archiv des Kreuzberger Museums recherchiert.

„Es geht darum zu zeigen, dass es hier einmal reges jüdisches Leben gab und dass davon nichts mehr übrig ist“, erklärt Niehoff. Bevor sie jedoch so ins Detail gehen konnten, mussten zunächst Begriffe und Hintergründe gepaukt werden. „Nicht alle wussten, was Antisemitismus und Deportation ist“, sagt Niehoff. Was den fünf Praktikanten inzwischen geläufig ist, erfahren einige ihrer Zuhörer von der Eberhard-Klein-Schule gerade zum ersten Mal. „Die Nazis haben die Juden immer rausgeschmissen und in so Mords-Container gesteckt“, weiß ein 16-Jähriger. Sein Geschichtslehrer will das Thema der Führung bald im Unterricht vertiefen.

Informationen zur Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus gibt es unter 69565865 oder unter www.kiga-berlin.org

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