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Seht alle her, ich war in New York!

© Róża Nowak

Urlauber und ihre Klischees: Typisch Tourist!

I-love-Städte-Shirts, Fotowahnsinn und die Angst, als Urlauber erkannt zu werden: Sieben Erfahrungen junger Berliner, die auf Reisen nicht dem deutschen Klischee entsprechen wollen

Biedere Backpacker

So ein richtiger Abenteuer-Tourist war ich noch nie. Mein Gepäckstück, ein großer Backpacker-Rucksack, gab mir aber zumindest das Gefühl, ein klein bisschen wie meine Kumpels in Down Under zu sein. Doch während die sich durch so was wie den echten Dschungel schlugen, reiste ich immer nur in Deutschland und seinen Nachbarländern umher. Auch bei meinem jüngsten Städtetrip, fünf Tage in Belgien mit meiner Freundin. Optisch kamen wir wie ein Backpacker-Pärchen rüber. Allerdings verhalten sich diese hippen, ungeduschten und trotzdem irgendwie gut aussehenden Pärchen vermutlich nicht so sehr wie Voll-Touris – also wie wir. Waschechte Backpacker würden sich bestimmt nicht direkt nach ihrer Ankunft in Brüssel auf eine stundenlange Suche nach dem Manneken Pis begeben – nur um schließlich vor dem denkbar unspektakulären, vor sich hinpinkelnden Stadtwahrzeichen zu stehen, natürlich gemeinsam mit einer Gruppe Asiaten und anderer Deutscher.

Leonard Kehnscherper
Leonard Kehnscherper

© privat (Automat)

Kurz darauf hätten sich lässige Backpacker-Pärchen genauso wenig die erstbeste „Ein-Euro-Waffel“ gekauft, um dann insgesamt fünf Euro für Schlagsahne und so loszuwerden. Schließlich – und das war vielleicht der größte Verstoß gegen den coolen Backpacker-Lifestyle – hätten sie auch keine Selfies gemacht. Als meine Freundin und ich uns gerade ganz verliebt dicke Pralinés in die Münder schoben, glitt die Hand zum Smartphone, und ehe wir uns versahen, war das Selfie auf einer Grachtenbrücke im mittelalterlich-romantischen Brügge geschossen. Das fehlende Netz allein rettete uns davor, unser „#läuftbeiuns“-Selbstporträt mit der Instagram-Community zu teilen. Spätestens nach dieser spießigen Selfie-Aktion war mir klar, dass mich auch der coolste Abenteuer-Rucksack nicht davor bewahren kann, ein biederer Wochenend-Touri zu sein. Mittlerweile sind meine Freunde aus Australien zurück und haben mich gefragt, ob ich mit ihnen auf Interrail-Tour gehe. Quer mit dem Zug durch Europa? Warum eigentlich nicht! Mal gucken, ob wir das ohne Selfies schaffen. Leonard Kehnscherper

Auch Backpacker sind Touristen.
Auch Backpacker sind Touristen.

© Henrik Nürnberger

Freiheitsstatue in Flipflops

Mit Sonnenbrille zum Gottesdienst in der St. Patrick's Cathedral, in Jeans, Top und Turnschuhen zum Broadway-Musical und in Flipflops die Freiheitsstatue hoch. Ja, wir Touris sind peinlich. Es ist ein Leichtes, uns von echten New Yorkern zu unterscheiden. Wir mit den durchgeschwitzten T-Shirts, übergroßen Hawaiihemden und Anglerhüten. Nur bei weißen Socken in Sandalen fragt man sich: Sind das Hipster oder doch etwa deutsche Touristen? Und überall diese „I<3NY-T-Shirts“ und Yankees-Kappen! Okay, ich muss gestehen: Ich hatte beides. Ein Mustertourist sozusagen. Dahin war meine Individualität, fort mein Selbstwertgefühl.

Hanna Kroll
Hanna Kroll

© privat (Automat)

Rückblickend war es aber vielleicht ganz gut, als übelster Klischee-Touri unterwegs zu sein, auch wenn ich mich mit dieser Erkenntnis erst arrangieren musste. Für New York war ich Alltag. Alle waren höflich und aufgeschlossen, möglicherweise aber auch nur, um mir das Geld aus der Tasche zu ziehen. Doch vermutlich hat meine NYC-Fan-Fashion auch dazu beigetragen, dass Verkäufer oder Bedienungen in verständlichem Tempo gesprochen haben. Es erleichtert die Kommunikation enorm, wenn sich die New Yorker auf ein nicht so gutes Englisch einstellen. Sehr beruhigend. Also, keine Panik! Typische Touriklamotten sind schon okay, manchmal sogar hilfreich. Nur sollte man sich nicht so peinlich benehmen, wie man aussieht. Hanna Kroll

Ich bin keiner von denen

„Wo liegt das berühmte Karthago?“ Die Rentner gucken sich an. „Gönnen wa uns 'n Joker“, schlägt einer vor. Er sagt „Joker“, nicht „Dschoker“. Vor der Rückfahrt hat der Zug 55 Minuten Verspätung, die Reisegruppe spielt „Quizduell“. Natürlich gehöre ich nicht zu denen, zu diesen Zombies in Funktionskleidung und mit Kameraobjektiven wie Gewehrläufen. Alles wird aufgesaugt – und wehe, es regnet. Und dann dieser Druck, ganz so wie an Silvester: „Diese Woche müssen wir es krachen lassen!“ Nein, zu denen gehöre ich nicht. Ich bin kein deutscher Touri. Ich will nur eine nette Woche, okay? Ich fliege nicht mit dem Flugzeug, ich fahre Bahn. Sehr lange dauert das. Aber es lohnt sich.

Auf der Hinfahrt stoppe ich in Madrid. Es gibt nichts Erniedrigenderes, als auf Spanisch nach einem Stadtplan zu fragen und dann von der Verkäuferin ein „two fifty, please“ vor den Latz geknallt zu bekommen. In Lissabon verkrieche ich mich hinter eine Hecke, um den Weg im Stadtplan zu suchen. Eine Wohnung im berüchtigten Kneipenviertel Bairro Alto. Die Dielen knarzen, aus dem Erdgeschoss strömt Schinkengeruch. Ich sitze auf dem Balkon und trinke Wein. Ist es nicht seltsam, dass wir im Urlaub nicht als Urlauber auffallen wollen? Auf der Suche nach einem Lebensgefühl, weil uns das von zu Hause nicht gefällt? Die Flasche schweigt zu meinen Gedanken. Dieses AirBnB-Gefühl. Ich miete ja nicht die Wohnung eines Einheimischen, weil sie so günstig ist, sondern weil ich dann Teil dieser Stadt werde. Oder das denke. Abseits des Massentourismus, sagt man dazu, aber das ist gelogen. Ich wäre gerne Entdecker, Urlaub ist Sehnsucht.

Johann Stephanowitz
Johann Stephanowitz

© privat (Automat)

Später liege ich am Strand und fotografiere Leute mit Selfiestangen. Dann Tiere, meistens Enten. Beim Betreten der Synagoge müssen die Männer eine Kopfbedeckung tragen, für mich gibt es eine blaue Touri-Kippa. „Endlich was für Fasching“, sagt einer neben mir und grunzt beim Lachen.

Zurück am Bahnhof. Plötzlich kommt Bewegung in die wartende Menge. Ein Mann stürmt nach vorne, bestimmt ist er Deutscher. Dann die Ansage: „Der Nachtzug nach Madrid heute mit geänderter Wagenreihenfolge“. Er schnappt nach Luft, auf seiner roten Stirn eine Ader. In der Bahnhofshalle spielt ein alter Mann Klavier. Simon Grothe

Langweilige Urlaubsbilder – aber davon ein paar mehr

Mein Kumpel mustert mich mit einem müden Lächeln, während wir bei unserer Kursfahrt durch die Straßen von Zagreb schlendern. In der Tat habe ich mir an diesem Tag nicht besonders Mühe gegeben, mein Fremdsein zu verstecken. Strohhut auf dem Kopf und Kamera um den Hals – das verrät mich eindeutig. In jenen Tagen habe ich wirklich viele – und oft ziemlich schlechte – Schnappschüsse von irgendwelchen Gebäuden und Sehenswürdigkeiten gemacht, von denen ich noch nicht mal weiß, was das eigentlich war. Schon an der nächsten Straßenecke fragte ich mich, warum ich das eigentlich geknipst habe. Ein Klick bei Streetview würde schließlich genügen.

Auch wenn ich einen gewissen fotografischen Anspruch habe, scheint die Versuchung auf Reisen zu groß, pausenlos auf den Auslöser zu drücken. Doof nur, wenn bei den wirklich tollen Sachen dann der Akku leer oder die Speicherkarte voll ist. Wahrscheinlich ist das eine gerechte Strafe, denn warum, bitte, muss man nach der Reise seine Verwandten mit öden Urlaubsansichten von irgendwelchen Straßen europäischer Städte quälen? Ist es nicht eigentlich klar, dass jemand, der nach Rom fährt, sich wahrscheinlich das Kolosseum, das Forum Romanum und den Petersdom ansehen wird? Wenn ich im Sommer meine Facebook-Statusleiste runterscrolle, werde ich mit den langweiligen Urlaubsbildern meiner Kumpels nur so bombardiert. Ein wirklich tolles Bild, das mir lange in Erinnerung bleibt, ist selten dabei. Vielleicht war da auch schon der Akku leer. Johann Stephanowitz

Selfie? Die Instagram-Community will bestimmt wissen, wie toll unser Urlaub ist.
Selfie? Die Instagram-Community will bestimmt wissen, wie toll unser Urlaub ist.

© Simon Grothe

Niemals pauschal

Keine Frage: Die zwei Wochen im All-inclusive-Clubhotel mit meinen Eltern waren zu Schulzeiten ein absolutes Highlight im Jahr. Angefangen von der Animation bis zu Fressorgien am gut gedeckten Buffet: Ich habe das volle Programm genossen. Doch ich begann umzudenken, als ich das erste Mal mit meinen Freunden auf Interrail-Tour war und wir im Zug oder in einem Park in der Prager Innenstadt gezeltet haben, weil uns das Hostel für „die drei Stunden“ zu teuer war. Mittlerweile habe ich eine nahezu krankhafte Aversion gegen jeglichen Pauschaltourismus entwickelt. Ich schäme mich ein bisschen für meine Arroganz, wenn die Spezies Hoteltourist mich am frühen Morgen am Riviera-Strand auf ihrer zum Stammplatz auserkorenen Liege entdeckt, auf der ich die laue Sommernacht bei Meeresrauschen verbracht habe.

Henrik Nürnberger
Henrik Nürnberger

© privat (Automat)

Ich bin zur Überzeugung gekommen: Sinnliche Erlebnisse gehen auch mal auf Kosten des Komforts. Um mich auszuruhen, kann ich meine Ferien schließlich auch zu Hause am Baggersee verbringen. Dass mir meine Freunde regelmäßig den Vogel zeigen, wenn ich ihnen anbiete, mehrere Tage mit mir durch Karpaten zu trekken, ohne die Route haargenau zu planen (denn Planen möchte ich im Urlaub unter allen Umständen vermeiden!), kann ich trotzdem gut verstehen, denn bescheuert ist meine radikale Anti-Touri-Attitüde zweifelsohne. Dabei habe ich weder ein Faible für Obdachlosigkeit noch bin ich ein Abenteurer. Ich will einfach nur raus und die Welt spüren – und nicht pauschal unter meinesgleichen am Hotelstrand in der Sonne braten. Henrik Nürnberger

Auschwitz all inclusive

Auf dem Rückweg hören wir vier Mal die Ansage über einen kostenlosen Lunch, der im Preis für die Exkursion enthalten ist. Wir kommen zurück aus Auschwitz, einem Ort, von dem es heißt, er „sei allezeit ein Aufschrei der Verzweiflung und die Mahnung an die Menschheit“. Im nahe gelegen Krakau wird für Besuche in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers mit demselben Eifer geworben wie für das Salzbergwerk von Wieliczka oder einen Ausflug in die Hohe Tatra. In Auschwitz, wo Souvenirläden und Toiletten noch vor dem Krematorium kommen, wird man das Gefühl nicht los, eine touristische Sehenswürdigkeit zu besuchen.

Foto: Natascha Grinina
Foto: Natascha Grinina

© privat (Automat)

Hier, wo man über Funkmikro immer mit seinem Touristenführer verbunden ist und ihn die auswendig gelernten Informationen aufzählen hört: Statistiken, Daten, neutrale Zusammenfassungen. Wo man in enger Schlange geht und auf Kommandos aufpasst, um sich in der Masse der anderen Exkursionsgruppen nicht zu verlieren, wo man wie in einer Herde an Mappen, Tabellen und Fotografien von Häftlingen vorbeigejagt wird. „In diese Baracke gehen wir jetzt nicht rein, da ist es zu voll“, sagt unser Gruppenführer. „Ich zeige Ihnen eine andere, die ist jetzt auch offen.“

Die ersten Stunden der Exkursion sind hinter mir, auch die Konfrontation mit den Bergen von Haaren, Schuhen und Brillen der Ermordeten im Museumsblock von Ausschwitz I. Doch ich merke bereits, dass sich durch die Massenabfertigung die Eindrücke schneller verflüchtigen, als ich es mir vielleicht gewünscht hätte. Keine Zeit, um das Unfassbare wenigstens ansatzweise zu begreifen. Einen Tag später stelle ich fest, dass mir die Spuren meines Sonnenbrands länger anhaften als die Gedanken an das bitterste Mahnmal deutscher Geschichte. Massentourismus an einem Ort des Massenmords. Natascha Grinina

Meinen Urlaub nenne ich "Bildungsreise"

Ich sehe es schon kommen: Als Rentnerin werde ich bestimmt eine dieser rüstigen Omas sein, die hinter Stadtführern mit Regenschirm hinterherdackelt und sich nach dem genauen Baustil dieser oder jener Kathedrale oder der Restaurierung des Hochaltars erkundigt. Wie ich zu dieser Prognose komme? Nun ja, ich bin auch jetzt nicht anders. Meine besten Urlaube verbringe ich in klimatisierten Museen, stets auf der Suche nach mehr oder minder spannenden Geschichten in den Städten, die ich bereise - nur eben ohne orthopädische Schuhe und Hüftimplantat. Jeder Städtebesuch ist vom Morgen bis zum Abend mit Programm vollgestopft.

Luisa Meyer
Luisa Meyer

© privat (Automat)

Klassische Reiseführer sind mir zu langweilig: Stattdessen habe ich es kultiviert, Bücher zu lesen, die in den Urlaubszielen meiner Wahl spielen. In Bosnien schmökerte ich in „Wie der Soldat das Grammophon repariert“ von Saša Stanišić, für Istanbul lieh ich mir Orhan Pamuks Roman „Rot ist mein Name“ und nach meiner Italienreise nahm ich "Tod in Venedig" von Thomas Mann zur Hand. Damit ausgerüstet, kann die Hatz zu den Weltkulturerben beginnen. Ich sauge alles Wissen auf und lese jede Infotafel. Je geschichtsträchtiger und kultureller ein Ort ist, desto größer ist seine Anziehungskraft auf mich. Es gibt kaum eine Ausstellung, an der ich vorbeigehen kann, ohne einen Blick hineinzuwerfen. Surrealismus in der Budapester Nationalgalerie? oder das Museum über den Warschauer Aufstand bei meinem Polentrip – für mich führt da kein Weg dran vorbei. Meine Couchsurfing-Gastgeber quetsche ich nach noch mehr Informationen aus: "Lebten im jüdischen Viertel in Budapest sephardische oder aschkenasische Juden?" Als Antwort erhalte ich ein betretenes Achselzucken.

Bleibt mir nur zu hoffen, dass ich auch im hohen Alter noch auf diese Weise Städte entdecken kann. Falls mir mit 85 dafür dann doch die Puste fehlt, kann ich ja immer noch auf Bücherseiten die Straßen durchwandern. Luisa Meyer

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Leonard Kehnscherper, Hanna Kroll, Simon Grothe, Johann Stephanowitz, Henrik Nürnberger, Natascha Grinina

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