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Berlin: Ute Gülzow (Geb. 1942)

"Kommse rein, ich schmier Ihnen ein paar Schnitten."

Gut möglich, dass dieser Tage „Motz“-Verkäuferinnen mit signalroten Mänteln oder grasgrünen Pumps unterwegs sind, auch neongelb oder knallpink gekleidete Obdachlose. Ute Gülzow hätte das gefallen. Und das Helfen sah sie ohnehin als ihre Aufgabe an – also übergaben die Töchter ihre Kleidung der Stadtmission.

Das Pfarrhaus, das sie mit ihrem Mann Rolf und den Töchtern Gesine und Pia bewohnt, liegt in einer gutbürgerlichen Gegend Lichterfeldes, ruhig und grün. Zur Kirchengemeinde gehört jedoch eine Siedlung, in der viele Menschen aus schwierigen Verhältnissen wohnen.

Ute, die Pfarrersfrau, kümmert sich um Jugendliche und öffnet das Haus für eine bunte, teils schräge Gesellschaft. Da kommt es vor, dass die Töchter Sportschau gucken mit einem, dem kürzlich ein Auge ausgeschlagen wurde, oder dass Kleinkriminelle auf Bewährung zum Mittagessen kommen. Oft klingeln Obdachlose, die Ute mit ihrem resoluten Kohlenpott-Slang hineinbittet: „Kommse rein, ich schmier Ihnen ein paar Schnitten.“

Wenn einer sagt, er brauche nur Geld für eine Fahrkarte, kontert sie: „Wir ha’m ja BVG-Karten.“ Geld gibt es von ihr nicht. In dringenden Fällen kann ihre Hilfe drastisch ausfallen: Einem Jungen, der sich im Suff die Hand tätowieren ließ und nun Angst hat, der Vater könne ihn totschlagen, schrubbt sie mit einer Drahtbürste die Haut von der Hand: „Hast dich ja auch tätowieren lassen, dann wirst du das hier auch aushalten.“

Ihrem Mann Rolf ist sie als junges Mädchen in ihrer Heimatstadt Witten an der Ruhr begegnet. Er fragte sie um Erlaubnis, sie küssen zu dürfen, und ließ sich von ihrem unentschlossenen „Ja – nee“ nicht beirren. Jahre später folgte sie ihm nach Berlin, wo er Theologie studierte und sie als ungelernte Bauzeichnerin das Geld für beide verdiente.

Im November 1963 wollen sie einen Tag in Ost-Berlin verbringen. Eine Studienkollegin von Rolf hat ihnen einen Brief für ihren Geliebten mitgegeben, den Ute in der Handtasche trägt. Den Inhalt kennen sie nicht. Dass er die Beschreibung mehrerer Fluchtmöglichkeiten enthält, stellen erst die Grenzpolizisten bei der Durchsuchung fest. Im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen werden sie getrennt, Ute wird ständig verhört. Nach sieben Monaten kauft die Bundesrepublik das Paar gemeinsam mit anderen politischen Häftlingen frei. Utes Bilanz: Kaputte Zähne, Türen, die immer offen stehen müssen, und eine „harte Schale“.

Die Ehe mit Rolf ist nicht ganz harmonisch. Zwar ist Ute eine beeindruckende Frau mit ihren langen, hennaroten Locken, dem hübschen Gesicht und den bunten Kleidern. Auch verdient sie lange Zeit alleine das Geld, raucht Pfeife und ist diejenige, die Auto fährt.

Trotzdem fühlt sie sich unterlegen. „Lern doch Russisch“, rät er ihr, „das kann ich nicht.“ Immerhin folgt sie seinem Rat und macht eine Ausbildung zur Gemeindehelferin. Dann wechselt sie in die Altenarbeit einer anderen Gemeinde. Doch nagt auch der Zeitgeist an der Ehe.

Man soll einander nicht besitzen, predigen die „Angeber von der Kommune 1“, die Rolf nicht leiden kann. Trotzdem leuchtet ihm das Konzept der offenen Zweierbeziehung ein, und auch Ute erscheint es durchaus schlüssig, nur mag ihr Gefühl nicht mitspielen. Mit gewohntem Pragmatismus sägt sie das Bett entzwei, keineswegs als Rache, sondern weil sie kein eigenes hat, und zieht aus. Als sie wieder einzieht, bringt sie ihre Hälfte wieder mit.

1987 dann die endgültige Trennung. Sie lebt nun allein in einer kleinen Wohnung in Neukölln und führt eine Beziehung mit Christian, dem Pfarrer der Gemeinde, für die sie arbeitet. Er ist ein depressiver Charakter, der zu viel Alkohol trinkt. Aber er ist auch liebevoll und ganz auf sie konzentriert. Mit ihm feiert sie keine rauschenden Feste mehr wie mit Rolf, doch lädt sie regelmäßig Familie und Freunde zu opulenten Essen.

Als Ute im Jahr 2000 erfährt, dass sie Lungenkrebs hat, und später Metastasen im Gehirn wachsen, bleibt sie ruhig: „Sterben? Wieso? Ich sterb’ ja überhaupt nicht!“ Auch dass Christian 2006 selbst an Krebs stirbt, ist für sie kein Grund, es ihm gleichzutun.

Es geht ihr schlecht? – „Ach, das ist nur so ’ne Phase, das wird bald besser!“

Dass sie noch Großmutter wird, erfüllt sie mit großer Freude, die sie bisweilen gut zu überspielen weiß. Der einen Tochter rät sie barsch, den zwei Tage alten Säugling nicht ständig zu verwöhnen. Der anderen Tochter gegenüber lässt sie sich wenig später zu einer besonderen Glücksbekundung hinreißen, als diese schwanger ist: „Das ist das schönste Geschenk, das du mir machen kannst“, jubelt sie. „Und was gibt’s zu essen?"

Candida Splett

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