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Vattenfall: Sie sind dann mal weg

Viele Berliner haben nach den jüngsten Pannen im Atomkraftwerk Krümmel bei Vattenfall gekündigt. Exakte Zahlen gibt es aber noch nicht

Sind die Berliner Kunden langmütig? Bleiben sie dem großen lokalen Arbeitgeber auch in schlechten Zeiten treu? Oder sind sie schon weg? Vor zwei Jahren, als der Versorger den Berlinern eine saftige Preiserhöhung samt unerwünschter Versicherung andrehen wollte, wechselten die Kunden zu Zehntausenden. Knapp zwei Wochen nach den jüngsten Pannen im Atomkraftwerk Krümmel gibt es jetzt erneut Indizien für eine neue Abwanderung. „Hier ist mächtig was los“, berichtet beispielsweise Florian Noto vom Deutschen Naturschutzring. Die Initiative ist an der Kampagne „Atomausstieg selber machen“ beteiligt, mit der 21 Umwelt- und Verbraucherverbände für den Wechsel zu einem jener Ökostromanbieter werben, die von den Energiekonzernen unabhängig sind und grünen Strom mit Gütesiegel verkaufen. Um 60 Prozent sei die Zahl der Zugriffe auf die Internetseite seit Monatsbeginn gestiegen, sagt Noto. „Und ich bin die ganze Zeit dabei, Flyer an Gruppen zumeist in Norddeutschland zu schicken.“ Manche wollten nur zehn Infozettel für die Verwandtschaft, andere tausend für eine Kampagne. Noto liefert ihnen die Munition. Und hat ein starkes Argument: „Echter Ökostrom kostet in Berlin und Hamburg nur einen Cent pro Kilowattstunde mehr als das Basis-Angebot von Vattenfall.“ Macht pro Monat kaum mehr als einen Euro Aufpreis pro Person.

Der Energiekonzern Vattenfall weiß noch keine Antwort darauf, wie viele Kunden ihm diesmal den Rücken gekehrt haben. Dass der Konzern – aktueller Marktanteil bei Privatleuten und Gewerbetreibenden in Berlin: 78 Prozent – noch keinen Kundenschwund spürt, dürfte einen einfachen Grund haben: Wer zur Konkurrenz wechselt, meldet sich dort an. Erst danach kann der neue Versorger den Vertrag bei Vattenfall kündigen. Nach eigenen Angaben hat Vattenfall im vergangenen Jahr unterm Strich mehr Kunden gewonnen als verloren.

Gewinner ist der Ökostromanbieter Lichtblick

Der größte der von den Atomaussteigern empfohlenen Ökostromanbieter ist Lichtblick. In der Hamburger Zentrale berichtet Unternehmenssprecher Ralph Kampwirth von bisher 450 registrierten Berliner Vattenfall-Flüchtlingen. 2007 seien es im gleichen Zeitraum mehr als 500 gewesen. „Das Niveau dürfte aber etwa gleich hoch liegen, da aus Berlin noch gar nicht alle neuen Verträge erfasst sind.“ Bundesweit sei die Zahl der Neukunden seit Krümmel von täglich 300 auf etwa 500 gestiegen.

Unterstützung haben die Ökostromer auch aus einer unerwarteten Ecke bekommen: Björn Böhning (SPD), im Roten Rathaus fürs Grundsätzliche zuständig, verbreitete kürzlich über den SMS-Dienst Twitter den Rat: „Wer es bisher noch nicht getan hat, sollte es spätestens jetzt tun: Stromanbieter wechseln.“ Er wolle die öffentliche Meinung beeinflussen, sagt Böhning und verweist auf den Erfolg beim Kraftwerk Klingenberg an der Rummelsburger Bucht. Dort hat sich Vattenfall nach breiten Protesten von seinen Plänen für einen klimaschädlichen Kohle-Neubau verabschiedet. Pikant ist, dass Böhnings Chef Klaus Wowereit damals der einzige Berliner Spitzenpolitiker war, der sich zu keinem klaren Nein durchringen konnte. Jetzt präzisierte Böhning: „Den Aufruf habe ich nicht als Leiter des Planungsstabes beim Regierenden getwittert, sondern als Bundestagskandidat für Friedrichshain-Kreuzberg.“

Bei dem Unternehmen, zu dessen Boykott Böhning aufruft, ist Berlin dank des kürzlich abgeschlossenen Stromliefervertrages zunächst bis Ende 2012 Großkunde. Immerhin ist in dem Stromliefervertrag mit Vattenfall – jährliches Volumen rund 100 Millionen Euro – Atomenergie explizit ausgeschlossen.

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