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Berlin: Verborgen, aber nicht unbemerkt

Andreas Sieling ist der neue Domorganist

Schon als Kindergarten-Kind hatte Andreas Sieling sehnsüchtig nach der Treppe zur Empore geschielt. „Nur für den Organisten“ stand da. Zudem versperrte eine dicke rote Kordel den Aufgang. „Ich wollte da hoch, unbedingt“, erinnert sich der mittlerweile 42-jährige Andreas Sieling. Er ist der neue Organist des Berliner Doms. Mit 14 machte er eine Ausbildung zum Kirchenmusiker und übernahm die Orgel in seiner Heimatstadt Schweiburg in Niedersachsen. In den vergangenen fünf Jahren war er Kantor der evangelischen Kirchengemeinde Frohnau und Kreiskantor von Reinickendorf.

Kurz vor seinem Amtsantritt Anfang September hatte er ein noch einmal in der Frohnauer Johannes-Kirche die wöchentliche Chorprobe geleitet. Statt einer Begrüßung legte er die Arme über den Kopf und wies die Sänger an: „Stützen Sie den Himmel, gehen Sie in die Knie, lockern Sie die Arme wieder und atmen sie – schsch! – aus.“ Und 80 Menschen machten „schsch“, schon wegen des drahtigen Mannes in kariertem Hemd und Jeans. Dieser lächelte mit geschlossenen Augen zu: „ Ich tue das nur, um mir immer wieder den größten meiner Träume zu erfüllen: Die Musik.“

Zunächst musste der kleine Andreas Akkordeon spielen. Seine Eltern, als deren einziges Kind er im niedersächsischen Ammerland aufwuchs, fanden Akkordeonmusik schön. Er nicht. Später konnte er sich seinen großen Wunsch erfüllen: ein Klavier. In der Schule wurde er der Pianist für alle Fälle. Aber Berufsmusiker wollte er doch nicht werden – aus Angst, dabei die Leidenschaft für die Musik zu verlieren. So studierte er zunächst Evangelische Theologie in Kiel. Von einer C-Musikerstelle in einer Gemeinde konnte er leben. Nach einem Jahr brach Sieling sein Theologie-Studium ab, ging nach Berlin und wurde nun doch, was er werden musste: Profimusiker. Seinen Lebensunterhalt verdiente er als Organist in verschiedenen Berliner Kirchengemeinden. Mit Ende 30 hatte er Musikwissenschaft, Publizistik, Germanistik, Orgel als Soloinstrument studiert und ein Kirchenmusik-Studium in Halle absolviert. Dr. phil. war er auch.

Damals, vor 12 Jahren, spielte Andreas Sieling die ersten Töne auf der frisch restaurierten Sauer-Orgel im Berliner Dom. Dabei hat er sich in die alte Dame, Jahrgang 1905 verliebt. „Besonders eignet sie sich für spätromantische Musik und Improvisationen“, schwärmt er. Seine Hände fliegen über die Tasten, ziehen die Register. Dass diese Hände das Segel der Jolle hissen, mit der Andreas Sieling an freien Tagen über den Wannsee kreuzt, sieht man ihnen nicht an.

Die Orgel spielt er bis heute in schwarzem Anzug und weißem Hemd. Aus Respekt. Er bleibt den Zuhörern verborgen. Unbemerkt bleiben will er aber nicht. Der Satz „Die Orgel hat wieder wunderbar gespielt“, ist ihm ein Graus. Schließlich sei es der Organist, der es schaffe, Gefühle bei den Zuhörern zu wecken. Von der Sauer-Orgel ist er begeistert: „Das Instrument ist unglaublich.“ Ein Strahlen zeigt sich auf seinem Gesicht. „Sie ist ein technisches und klangliches Denkmal. So eine Chance bekommt man nur einmal im Leben.“

Andreas Sieling spielt unter anderem am 30. September im Dom um 19 Uhr bei „Friedrich Schiller – Das Lied von der Glocke und andere Töne“, einer Lesung mit Orgelbegleitung

Katrin Juhl

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