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Mielkes Büro? Ein Museum. Doch große Teile der Ex-Stasi-Zentrale sind heute ungenutzt.

© Mike Wolff

Vergangenheit und Zukunft der Ex-Stasi-Zentrale: Erich Mielke und seine Nachmieter

Vor 27 Jahren stürmten Demonstranten den Hauptsitz des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit in Lichtenberg. Heute verfallen weite Teile des Areals. Was soll daraus bloß werden?

Von Andreas Austilat

Es ist keineswegs allein die Kälte, die Christian Booß gerade die Röte ins Gesicht treibt. Es ist die Aussicht von seinem Balkon im obersten Geschoss eines siebenstöckigen Hauses in Lichtenberg. Nicht irgendeines Hauses: Auf den Plänen der Stasi war das hier die Nummer 1, der Mittelpunkt einer einst hochgeheimen Anlage.

Fünf Etagen weiter unten hatte Erich Mielke sein Büro, genauer: seine Etage. Mielke, der Minister für die Staatssicherheit, war einer der mächtigsten Männer der DDR. Zu ihren größten Zeiten beschäftigte die Stasi allein 90.000 hauptamtliche Mitarbeiter, dazu noch einmal doppelt so viele inoffizielle. Gemessen an der Zahl der zu Überwachenden war sie der größte Geheimdienst weltweit.

Wenn irgendjemand in der DDR die Möglichkeit hatte, es sich ein bisschen nett zu machen, dann ja wohl die Stasi. Doch der Blick von hier oben fällt auf hochaufragende Plattenbauten, alte Mietshäuser, Behördenbauten im Nachstalinstil, Werkstätten, alles scheinbar planlos neben- und durcheinander gefügt. Das gesamte Ensemble der einstigen Stasi-Stadt zwischen Frankfurter Allee, Ruschestraße, Normannenstraße und Magdalenenstraße umfasst 7,3 Hektar, auf dem rund 180.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche versammelt sind. Noch Ende der 90er Jahre soll das etwa zehn Prozent der gesamten Bürofläche Berlins entsprochen haben.

Wichtigstes Kriterium beim Bau war nicht die Ästhetik, sondern die Geheimhaltung. So ist der 13-stöckige Waschbetonriegel vorn an der Ruschestraße vor allem deshalb so hoch geworden, um neugierigen Blicken die Aussicht ins Innere des Geländes zu verwehren. „Aber warum“, fragt Booß sichtlich verärgert, „sieht das heute, 27 Jahre nach dem Sturm auf die Normannenstraße, immer noch so trist aus?“ Warum dominiert da unten grauer Asphalt, sind 90 Prozent der Fläche versiegelt, stehen bestimmt 60-000 der 180.000 Quadratmeter leer? Ein architektonischer Schandfleck sei das. Endlich müsse doch auch urbanes Leben einziehen. Tatsächlich wird es nach Einbruch der Dunkelheit sehr still auf dem Gelände, und nur aus wenigen Fenstern fällt Licht. Als ob, sagt Booß, der Geist von Erich Mielke immer noch über dem Gelände liegt.

Die Angst vor der Aktenvernichtung trieb die Demonstranten

Booß ist Vorsitzender des „Bürgerkomitee 15. Januar“ und hat sein Büro hier in der siebten Etage. Sein Verein beschäftigt sich mit der DDR-Geschichte. Ein magisches Datum dieser Geschichte, das unmittelbar wie wenige andere mit diesem Ort zu tun hat, jährt sich nun bereits zum 27. Mal: Am 15. Januar 1990 öffnete sich eines von drei Toren zur hermetisch abgeriegelten Stasi-Stadt. Das Neue Forum, eine jener Bürgerbewegungen, die sich während der friedlichen Revolution gründeten, hatte zur Demonstration aufgerufen. Durften Unbefugte all die Jahre zuvor weder in die Magdalenen- noch in die Ruschestraße abbiegen, war die Fahrbahn der Normannenstraße im Norden sogar komplett gesperrt, ereignete sich an diesem Tag, was bis heute oft „Sturm auf die Stasi-Zentrale“ genannt wird.

Wer sich der einstigen Stasi-Stadt heute nähert, wer verstehen will, warum Christian Booß derart erbost ist über die triste Gegenwart des Geländes, kommt an der Vergangenheit nicht vorbei. Am 15. Januar 1990 war die Stimmung angespannt: Die Sorge, die Staatssicherheit könnte die von ihr gehorteten Akten vernichten oder an einen anderen, noch geheimeren Ort bringen, war seinerzeit so präsent wie begründet. Tatsächlich hatte Erich Mielke bereits am 6. November 1989, also noch vor dem Mauerfall, eine entsprechende Order gegeben. In den Bezirken der DDR, zuallererst bereits am 4. Dezember in Erfurt, hatten Bürger zum Sturm auf die Verwaltungen aufgerufen, um genau das zu verhindern. Nur in Berlin hatte sich noch keiner auf das riesige Gelände der Stasi gewagt, die seit dem 18. November Amt für Nationale Sicherheit hieß und von Bürgerrechtlern als Nasi bespöttelt wurde.

Unter Akten. Roland Jahn leitet die Stasi-Unterlagen-Behörde auf dem Gelände.
Unter Akten. Roland Jahn leitet die Stasi-Unterlagen-Behörde auf dem Gelände.

© Mike Wolff

Unter den Tausenden, die schließlich am 15. Januar durch das Tor in der Ruschestraße drängten, war auch Roland Jahn, heute Bundesbeauftragter für die Stasi.Unterlagen. Jahn war 1983 aus der DDR ausgebürgert worden, nachdem der Mitbegründer der „Friedensgemeinschaft Jena“ in der Haft gezwungen worden war, einen Ausreiseantrag zu stellen. Man wollte ihn loswerden. Jetzt war er wieder da.

„Ich bin mit dem Strom mit“, erinnert er sich heute. Wut habe er keine empfunden, eher ein Gefühl der Genugtuung. Andere waren weniger friedlich: Ihr Zorn entlud sich vor allem in Haus 18, dem langgezogenen Gebäude an der Normannenstraße, dessen einst aus Belgien importierte bronzefarbene Fenster heute, mit Graffiti beschmiert, von verschlissenen Planen verborgen werden. Damals war das hier eine Art Shopping-Mall mit Kongressbereich, „da gab es Waren, die man aus normalen Geschäften nicht kannte“, sagt Jahn, der sich trotzdem bis heute nicht recht erklären kann, wieso die Menschen ausgerechnet in diese Richtung strömten, und nicht etwa zu den Akten-Archiven oder zu Mielkes Zentrale.

Selbst Generäle kennen nicht alle Räume

Letztere Richtung schlug am Abend des 15. Januar 1990 Carlo Jordan ein. Jordan war damals Sprecher der Grünen am Runden Tisch in Schloss Schönhausen, wo Vertreter der Regierung Modrow und Bürgerrechtler den Nachlass des SED-Regimes regelten. Jetzt trieb ihn die Sorge, dass mit dem Sturm auf das Stasi-Hauptquartier die bislang friedliche Revolution doch noch eskalieren könne. „Immerhin wussten wir aus den vorliegenden Akten, wie viele Waffen dort lagerten.“

Als der damals 38-jährige Jordan in der Ruschestraße eintraf, wandte er sich gemeinsam mit Wolfgang Templin, Mitbegründer der Jenaer „Initiative Frieden und Menschenrechte“, dem Haus Nummer 1 zu. Mielkes Amtsräume in der zweiten Etage fanden die beiden versiegelt vor. Im dritten Stock trafen sie auf Generalmajor Heinz Engelhardt, der am gleichen Tag von Ministerpräsident Hans Modrow mit der Abwicklung der Stasi beauftragt worden war. Heute befindet sich das Stasi-Museum im ehemaligen Haus 1, in einem kurzen Filmausschnitt kann man dort das Aufeinandertreffen der drei verfolgen.

Engelhardt ist darin sichtlich verunsichert über die jähe Öffentlichkeit an diesem vor Kurzem noch so geheimen Ort. Auf die Frage, wie viele Kellerräume es hier gebe, sagt er: „Ich bin erst seit drei Wochen im Amt.“ Angesichts der Weitläufigkeit des Areals dürfte die Behauptung, er kenne gar nicht alle Räume, sogar gestimmt haben.

Diese Unübersichtlichkeit des Geländes ermöglichte es der Stasi, dort auch nach dem 15. Januar 1990 noch Akten verschwinden zu lassen. Auch um das zu verhindern, wurde das „Bürgerkomitee 15. Januar“ gegründet – nur dem Namen nach identisch mit Christian Booß’ Verein. Doch diese Aufgabe war kaum lösbar, wie Jörg Drieselmann, Leiter des Stasi-Museums, heute sagt: „Das waren eigentlich nicht mehr als 45 Leute.“ Und wie hätte diese vergleichsweise kleine Gruppe 180.000 Quadratmeter mit ihren verborgenen Kellern und verschwiegenen Katakomben, zu denen auch heute nur wenige Eingeweihte Zutritt haben, überwachen sollen? Vor allem in Haus 15, dem gewaltigen Waschbetonriegel an der Ruschestraße, in dem die Hauptabteilung Aufklärung (HVA), der Auslandsgeheimdienst der DDR, seinen Sitz und deren einstiger Chef Markus Wolf bis 1986 sein Büro hatte, ging das Vernichtungswerk weiter.

Den vollständigen Text sowie ein Luftbild des Geländes mit Erläuterungen finden Sie am 14. Januar 2017 in der Beilage Mehr Berlin im gedruckten Tagesspiegel. Den vollständigen Text finden Sie auch im Online-Kiosk Blendle.

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