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Berlin: Verhaltensstörungen: Immer mehr Schüler sind betroffen

Kinder, die nicht still sitzen können, Kinder, die wild um sich schlagen, die jeden Unterricht torpedieren: Immer größer wird ihre Zahl in Berlins Schulen. Allein in den Grundschulen gibt es im laufenden Schuljahr 1704 anerkannte Fälle von Verhaltensstörungen und damit 70 Prozent mehr als noch 1997/98.

Kinder, die nicht still sitzen können, Kinder, die wild um sich schlagen, die jeden Unterricht torpedieren: Immer größer wird ihre Zahl in Berlins Schulen. Allein in den Grundschulen gibt es im laufenden Schuljahr 1704 anerkannte Fälle von Verhaltensstörungen und damit 70 Prozent mehr als noch 1997/98. Anders als in den übrigen Bundesländern bietet Berlin für diese Schülergruppe keine Sonderschulen. Da die Integration in den allgemeinbildenden Schulen aber immer schwerer wird, gibt es jetzt Überlegungen, doch einen neuen Schultyp zu schaffen.

"Die Einrichtung von speziellen Schulen für Verhaltensauffällige (V-Schulen) wird in Zusammenhang mit dem neuen Schulgesetz bereits diskutiert", berichtet Peter Hübner, Referatsleiter in der Senatsschulverwaltung. Einige Schulräte machten sich dafür stark. Darüber hinaus müsse es aber einen "gestuften Maßnahmenkatalog" für die unterschiedlichen Fälle geben, zu dem auch ein vorübergehender Schulbesuch im Heim gehören könne. Hübner plädiert für einen "Netzwerkverbund" mit der Jugendverwaltung, damit die Schulen mit den Problemen nicht allein gelassen würden.

Als teilweise "katastrophal" bezeichnet der Leiter der Zehlendorfer Pestalozzi-Grundschule, Dietmar Reich, die Erfahrungen mit der Integration von verhaltensgestörten Kindern in normalen Schulen. Insbesondere bei "aggressiv-gewalttätigen" Schülern gebe es Probleme nicht zuletzt, weil sie ihre Mitschüler und damit auch die Eltern in Schrecken versetzten. Reich hielte es für richtig, etwa in Einrichtungen wie dem Zehlendorfer Don-Bosco-Heim, Verhaltensgestörte "gruppenfähig" zu machen, bevor sie in die Schulen eingegliedert werden.

Etwa ein Drittel der Kinder mit so genannter "sozial-emotionaler Entwicklungsstörung" werden bereits jetzt in sonderpädagogischen Einrichtungen gefördert, darunter in den Schwerpunktschulen An der Windmühle (Neukölln) und Martin-Luther-King (Reinickendorf) oder in "Beobachtungsklassen" mit nur zwölf Kindern. Es verbleiben aber noch 1200 Kinder, die in Regelschulen integriert werden sollen, wofür es zusätzliche Personalmittel gibt. Da die Probleme jetzt aber überhand nehmen, soll es noch Ende Januar für die Berliner Schulfachleute in der Heimvolkshochschule Glienicke eine Tagung zum Thema "schwierige Schüler" geben, bei der es um die genannten neuen "Lösungsansätze" gehen soll. Dabei werde gewiss auch die Forderung nach "V-Schulen" angesprochen, erwartet Hübner.

Peter Friedsam, Vorsitzender des Fachverbands für Behindertenpädagogik und Leiter der Carl-von-Linne-Sonderschule, hält die 1700 offiziell als verhaltensgestört etikettierten Grundschüler nur für die "Spitze des Eisbergs". Infolge des "gesellschaftlichen Umbruchs" und kaputter Familienstrukturen gebe es wesentlich mehr problematische Kinder, vermutet er. Auch Hübner geht davon aus, dass es zusätzlich noch fünf- bis zehnmal so viele Kinder mit "Verhaltensproblemen" gibt.

Keine Angaben kann die Schulverwaltung darüber machen, wie groß der Anteil der Hyperaktiven und der Kinder mit "Aufmerksamkeitsdefiziten" an der Gesamtzahl der Verhaltensgestörten ist. Fest steht nur, dass sie eine große Gruppe stellen und dass bei ihrer Behandlung verstärkt auf Medikamente, insbesondere auf "Ritalin", zurückgegriffen wird, wie Hübner berichtet. Er warnt dringend davor, die Probleme der Kinder "nur medikamentös" zu behandeln.

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