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Berlin: Verhandeln um jeden Cent

In den Koalitionsgesprächen kommt alles auf den Tisch – soziale Vorhaben, Medizin, Verkehrsprojekte

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Das Urteil von Karlsruhe stellt die Verhandlungsführer über die zweite rot-rote Koalition vor neue Belastungsproben. Bis zur nächsten Sitzung der Unterhändler unter Leitung von Klaus Wowereit (SPD) und Harald Wolf (Linkspartei/PDS) am kommenden Montag wollen beide Parteien klären, welche Folgen man aus dem Richterspruch zieht. Dabei deutet sich schon jetzt an, dass neue Konflikte zu erwarten sind – teils zwischen SPD und PDS, teils mit dem Bund.

SOZIALES

Nach Informationen des Tagesspiegels will die PDS einen Sozialpass für rund 600 000 sozial Schwache einführen. Damit sollen unter anderem Museums- oder Theaterbesuche weitgehend kostenlos sein. Die SPD hat signalisiert, dass sie einen Sozialpass wegen der Haushaltslage ablehnt. Auch die Weiterführung des Sozialtickets im Nahverkehr, das der Senat mit 5,5 Millionen Euro jährlich bezuschusst, steht auf der Kippe. Diskutiert wird über Kürzungen bei den Hilfen in besonderen Lebenslagen – jährlich rund 876 Millionen Euro. Darunter fallen Eingliederungshilfen für Behinderte.

GESUNDHEIT

Jetzt wird wieder darüber verhandelt, ob noch mehr Stellen im öffentlichen Gesundheitsdienst, zu dem Schwangerenberatung, Vorschuluntersuchungen, Amtsärzte, Psychiatrische Krisendienste oder Behindertenbetreuung gehören, abgebaut werden. Das könnte bedeuten, dass in der laufenden Reform von jetzt 2000 Stellen mehr als 1000 wegfielen, statt der geplanten 250 Stellen. Das hatte der Finanzsenator vor einem Jahr gefordert. In Verhandlungskreisen wird auch über eine (Teil-)Privatisierung des landeseigenen Klinikkonzerns Vivantes diskutiert. Noch beharrt aber Gesundheitssenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) darauf, dass Vivantes in öffentlicher Trägerschaft bleibt. „Verkaufen um des Verkaufens willen bringt für die Sanierung des Landeshaushaltes langfristig nichts und steht nicht zur Debatte.“ Auch das zweite öffentliche Klinikunternehmen, die Charité, will die PDS in Landeshand behalten. Diese sei „derzeit nicht zu verkaufen“, weil sie sich erst einmal konsolidieren müsse, sagt Brigitte Reich, Referentin von Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS). „Wir haben lange vor der Karlsruher Entscheidung mit der Charité einen harten Sanierungskurs vereinbart.“

VERKEHR

Ein weiteres Opfer des durch Karlsruhe verschärften Sparzwanges könnte die U-Bahnlinie 5 vom Alexanderplatz zum Hauptbahnhof sein, die bislang nur als Teilstück zwischen Brandenburger Tor und Hauptbahnhof gebaut wurde. Nach Informationen aus Verhandlungskreisen haben sich SPD und PDS darauf geeinigt, mit dem Bund neu über dieses eigentlich längst beschlossene Projekt zu verhandeln. Der Bund, mit dem sich das Land auf die Fertigstellung ab 2010 geeinigt hat, macht Zahlungen in Höhe von gut 300 Millionen Euro vom Weiterbau abhängig – dieses Geld wollen SPD und PDS nun lieber für die Erhaltung und Sanierung bestehender U-Bahnlinien verwenden. Das dürfte zu harten Neuverhandlungen über das Projekt führen.

INNERES/JUSTIZ

In der Arbeitsgruppe Innen- und Justizpolitik wollen die Verhandlungsführer nach Karlsruhe „alles auf den Prüfstand stellen“, wie Barbara Loth sagt, Vize-Parteivorsitzende der SPD und gemeinsam mit der PDS-Politikerin Marion Seelig Leiterin der Arbeitsgruppe. „Wir suchen nach Möglichkeiten, wo man noch sinnvoll sparen kann, aber nicht panikartig einfach irgendwo.“ Der größte Posten bei der Innenpolitik, das Landespersonal, ist nach Ansicht der Unterhändler beider Parteien bereits auf das Mindestmaß reduziert worden. Auch im Bereich Justiz hat man bereits alles abgeklopft, was weitere Einsparungen bringen könnte. Angesichts des Schuldenbergs von mehr als 61 Milliarden Euro wären die möglichen Einsparungen bei der Innen- oder Justizpolitik allemal nur „Peanuts“, sagt ein Verhandlungsteilnehmer.

BEZIRKE/SENAT

An der Zweigliedrigkeit der Verwaltung wird festgehalten: Eine Abschaffung der Bezirksverwaltungen ist auch nicht ernsthaft diskutiert worden. Weiterhin soll ein Gremium aus Landes- und Bezirkspolitikern regelmäßig Aufgabenkritik übernehmen. Wie berichtet soll die Zahl der Stadträte um einen vermindert werden: Zurzeit sind je fünf Stadträte und ein Bürgermeister beschäftigt. Die finanziellen Zuweisungen an die Bezirke sollen künftig „gerechter“ verteilt werden. Beispiel: Hat ein Bezirk viele Grünflächen zu verwalten soll er auch mehr Landesmittel als andere Bezirke erhalten.

STADTENTWICKLUNG

Karlsruhe zum Trotz: Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) hält trotz des Urteils an ihrer Auffassung fest, dass 15 Prozent aller Wohnungen in Berlin in kommunaler Verwaltung bleiben sollen – das wären etwa 250 000 Stück. „Ich glaube nicht, dass kurzfristige Verkäufe eine nachhaltige Lösung sind“, sagt sie, und die PDS sieht das genauso. Die vier bis fünf Milliarden Euro, die ein Verkauf der städtischen Wohnungsbaugesellschaften erbringen könnte, würden angesichts des Schuldenbergs von 61 Milliarden Euro auch nicht wirklich helfen. Mit dieser Haltung befindet sich Junge-Reyer näher an der PDS als an ihrem Parteifreund, Finanzsenator Thilo Sarrazin.

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