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Die Einkaufsmeile in der Friedrichstraße

© Getty Images

Verkehr in Berlin-Mitte: Friedrichstraße wird autofrei – für zwei Stunden

Eine Berliner Initiative möchte die City Ost verkehrsberuhigen – und den Menschen vorführen, wie schön Flaniermeilen sein können.

Es soll eine Revolution werden, aber wie ein Straßenfest aussehen: Am dritten Adventswochenende wird die Friedrichstraße in Höhe des U-Bahnhofs Stadtmitte zur „Flaniermitte“. Erst mal nur zwei Stunden lang und zwei Querstraßen weit. Aber die Veranstalter vom Bündnis „Stadt für Menschen“ hoffen, dass die kleine Veranstaltung der Beginn von etwas Großem und Schönem wird – so schön, dass es sich zum Selbstläufer entwickelt, weil die Leute Gefallen finden an einer autofreien City Ost. Oder weil sie genug vom Status quo haben.

Der Status Quo ist der Dauerstau auf der Friedrichstraße, in dessen Gestank sich Massen von Fußgängern auf knapp bemessenen Trottoirs drängeln. Zumal im Advent, wenn auf dem Gendarmenmarkt der Weihnachtsmarkt leuchtet und duftet und in den Läden die Geschenke liegen, die gekauft werden wollen. Am 15. Dezember von 13 bis 15 Uhr will das zwar grün angehauchte, aber überparteiliche Stadt-für-Menschen-Bündnis zwischen Tauben- und Kronenstraße eine Fußgängerzone bespielen.

Über die Stadt von morgen diskutieren

Die Organisatoren wollen „elektrische Mikromobilität“ präsentieren und in einer „Speaker’s Corner“ auf Höhe Mohrenstraße über die Stadt von morgen diskutieren. Kinder sollen Gelegenheit bekommen, ihre Wünsche an die Stadt auf den Asphalt zu malen; für Erwachsene sind Tapeziertische mit Zeitungsrollen als Raum für Notizen geplant. Je nachdem, welche Unterstützer sich kurzfristig noch finden, soll das Programm erweitert werden.

Die Kirchen seien laut Dittmer sehr aufgeschlossen; die langjährige Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentages Ellen Ueberschär habe spontan ihre Teilnahme zugesagt. Ebenfalls vorbeischauen wollen Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD), Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel, der Friedrichshain-Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt, der in den Bundestag gewechselte Verkehrspolitiker Stefan Gelbhaar (alle Grüne) sowie Linken-Verkehrspolitiker Harald Wolf sowie Vorstandsleute von ADFC und BUND.

Die Erfolgsaussichten eines Straßenfestes in einer Straße fast ohne Anwohner im Dezember scheinen fraglich, aber die Organisatoren setzen auf den Aha-Effekt, wenn die enge Friedrichstraße zwei Stunden lang von Abgasen, Lärm und Unfallgefahren befreit wird. Sofern die Premiere gelingt, soll das Format „Flaniermitte“ wiederholt und ausgedehnt werden – beispielsweise auf ganze Sonntage und auf den Bereich zwischen Unter den Linden und S-Bahnhof Friedrichstraße und später vielleicht noch weiter. Auf lange Sicht soll es großflächig so werden wie am Brandenburger Tor, bei dem heute unvorstellbar scheint, dass bis 2002 jeder mit dem Auto durchfahren durfte.

Beim Kulturkaufhaus Dussmann, vor dessen Tür die Folgeveranstaltung geplant ist, hat bereits das Verwaltungsgericht für ein wenig Verkehrsberuhigung gesorgt: Dieselfahrverbot wegen verboten schlechter Luft ab Mitte 2019. Ob Dussmann selbst mit dem Status quo glücklich ist oder gern mehr Platz für Passanten hätte, wollte das Unternehmen auf Anfrage nicht sagen.

Protest gegen die Untätigkeit der Verwaltung

So freundlich die „Flaniermitte“ daherkommt, so sehr ist sie ein Protest gegen die Untätigkeit der Verwaltung: Von den in der „Fußverkehrsstrategie 2011-2020“ angekündigten Befragungen hat tatsächlich nur eine Auftaktrunde im Jahr 2012 stattgefunden. Die damals angekündigten drei Pilotvorhaben zu Fußverkehrsnetzen sind in den sieben Jahren seitdem ebenso wenig zustande gekommen wie der Leitfaden zur Schwachstellenanalyse. Alles befinde sich „aktuell in der Phase der internen Vorabstimmung“, teilte die Verkehrsverwaltung gerade auf Anfrage von Kristian Ronneburg (Linke) mit und verweist auf mangelnde Ressourcen.

Ein ähnliches Schicksal zeichnet sich für ein Leuchtturmprojekt aus der Koalitionsvereinbarung von 2016 ab: „Das Umfeld des Humboldtforums wird verkehrsberuhigt und der Straßenraum bis zum Brandenburger Tor fußgängerfreundlich umgestaltet“, heißt es da. „Dabei wird der motorisierte Individualverkehr unterbunden zugunsten des Umweltverbundes.“ Tatsächlich ist aber noch nicht einmal eine Machbarkeitsstudie beauftragt. Man müsse das Projekt auch „im Kontext der Pläne zum Straßenbahn-Ausbau auf der Leipziger Straße und zum Umbau des Molkenmarkts sehen“, teilt die Verkehrsverwaltung mit. „Wir werden sicherstellen, dass der Verkehr von Ost nach West bewältigt werden kann.“ Nach mehr Platz für Fußgänger klingt das nicht.

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