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© ddp

Berlin-Karow: Zugunglück: Wie gerieten beide Züge auf dasselbe Gleis?

Nach dem schweren Zugunglück in Berlin-Karow laufen die Ermittlungen auf Hochtouren. Wie konnte es zu dem Aufprall eines Regionalzuges auf einen Güterzug kommen, bei dem viele Menschen verletzt wurden?

Bei einem schweren Zugunglück in der Nähe des S-Bahnhofes Berlin-Karow sind am späten Donnerstagabend nach neuesten Angaben elf Personen verletzt worden. Sieben der insgesamt 22 Reisenden im Regionalexpress zwischen Schwedt (Oder) und Wünsdorf-Waldstadt mussten am Freitag im Krankenhaus Buch behandelt werden. Drei Fahrgäste, unter ihnen der Lokführer André M., mussten wegen der Schwere ihrer Verletzungen weiter im Klinikum bleiben. André M. trug bei dem Aufprall einen Nasen- und Oberarmbruch davon und verlor viel Blut. Die Feuerwehr befreite ihn mit großer Mühe aus dem völlig eingebeulten Führerhaus.

Aus bislang ungeklärter Ursache war der Zug rund 500 Meter südlich des Bahnhofes auf einen Güterzug geprallt. Dieser bestand aus 24 Kesselwagons, die mit flüssigem, brennbaren Propen beladen waren. Zum Glück wurde kein Kesselwagen beschädigt. Es hätte sonst nach Angaben der Feuerwehr leicht zu einem Feuer kommen können.

Die ersten Untersuchungen zum Unfallhergang durch das Eisenbahn-Bundesamt brachten noch keine Erkenntnisse über die Ursache. „Der Güterzug und der Personenzug fuhren in Richtung Stadtzentrum in die gleiche Richtung“, sagte der Sprecher der Bahn AG, Gisbert Gahler. „Wir wissen nicht, ob der Güterzug stand oder ebenfalls rollte.“ Fest steht jedenfalls, dass der Lokführer den Aufprall nicht mehr verhindern konnte. „Es gab kurz nach 22 Uhr einen riesigen Knall“, erzählte der Anwohner Ulrich Militz aus der Liebenstraße, die parallel zum Bahndamm verläuft. „Ich verfolgte gerade im Fernsehen das spannende Fußballspiel zwischen Manchester und Hamburg. Nach dem Krach stand ich senkrecht im Sessel“. Acht bis zehn Minuten später seien ein halbes Dutzend Krankenwagen eingetroffen.

Viele Fahrgäste erlitten beim Zusammenstoß Prellungen und Abschürfungen. Auch beim Aussteigen aus den Waggons und beim Herunterklettern vom Bahndamm auf die Straße gab es leichte Verletzungen. Gegen 16 Uhr erwartete die Bahn AG einen 150-Tonnen-Spezialkran aus Nordrhein-Westfalen. Er soll die 120 Tonnen schwere Lokomotive anheben, damit Spezialisten ein Ersatzdrehgestell unter den Lokkörper schieben können. „Die ganzen Bergungsarbeiten werden sich bis zum frühen Samstagmorgen hinziehen, so dass mit einem regulären Zugverkehr erst wieder gegen 6 Uhr zu rechnen ist“, sagte Bahnsprecher Gahler. So lange gibt es keinen Zugverkehr zwischen Berlin-Gesundbrunnen und Bernau.

Die IC-Züge Berlin-Stralsund werden über Oranienburg und Neubrandenburg umgeleitet. Nicht betroffen ist die direkt am Gleis vorbeiführende S-Bahn-Linie S 2 zwischen Bernau/Buch und Blankenfelde/Lichtenrade. Deren Betrieb war in der Nacht nur kurz gestört. Der Kesselwagen ist bei dem Aufprall nur leicht beschädigt worden. Er gehört genau wie der ganze Zug zu einer Privatbahn.

Auch die Rückseite der Elektro-Lokomotive ist völlig verbeult worden. Hier drückten die vier Personenwagen des Doppelstockzuges mit voller Wucht dagegen. Die beiden vorderen Räder des ersten Zuges wurden gestaucht und sprangen aus dem Gleis. Die Strecke bei Berlin-Karow ist für Tempo 120 zugelassen, wird aber für ein Höchsttempo von 160 Stundenkilometern ausgebaut. Täglich fahren mehrere Kesselwagenzüge von Berlin ins Chemiewerk Schwedt. Nach den ersten Einschätzungen prallte der Regionalexpress mit geringer Geschwindigkeit auf den Kesselwagen.

Regionalbahn bleibt gesperrt

Die rund 150 Feuerwehrleute holten alle Passagiere aus dem Zug. Offensichtlich saß zum Zeitpunkt des Unglücks kein Passagier im ersten Waggon. Bis jetzt steht nicht fest, ob der Güterzug zum Zeitpunkt des Aufpralls hielt oder fuhr. Täglich fahren auf dieser Strecke mehrere Kesselwagenzüge zum Chemiewerk in Schwedt.

Die in der Nacht gesperrte S-Bahnlinie 2 konnte am Morgen wieder freigegeben werden. Dagegen bleibt die Regionalbahnstraße zwischen den Bahnhöfen Berlin-Gesundbrunnen und Bernau wohl bis zum Abend gesperrt. Zur Bergung der Lokomotive und der beschädigten Waggons wurde ein 150-Tonnen-Kran aus dem Ruhrgebiet angefordert.

Wie gerieten beide Züge aufs gleiche Gleis?

Die Ermittlungen zur Unfallhergang hat das Eisenbahnbundesamt (EBA) aufgenommen. Spezialisten fertigten Fotos aus einem Hubschrauber der Bundespolizei. Das Amt konzentriert sich jetzt auf die Frage, wie die beiden Züge zur selben Zeit aufs selbe Gleis geraten konnten. Im Fokus stehe dabei zum einen die Infrastruktur, also Stellwerk- und Signaltechnik, sagte EBA-Sprecher Ralph Fischer. Zum anderen untersuche man die Abläufe im Betrieb, also beispielsweise die Einstellung von Weichen und die Sicherungstechnik. Für Fehler der Lokführer gebe es zurzeit ebenso wenig Anhaltspunkte wie für technische Mängel an den beteiligten Zügen. Nach Auskunft von Fischer wird die genaue Unfallursache wohl erst in einigen Tagen feststehen.

Im Jahr 2007 wurden nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) rund 57 Millionen Tonnen Gefahrgüter auf der Schiene befördert. Das sind 16 Prozent des gesamten Transportvolumens in Deutschland. Per Lkw wurden im Jahr 2007 laut Kraftfahrt-Bundesamt rund 115 Milliarden Tonnen Gefahrgüter bewegt. Die Destatis-Berechnungen für die Binnenschiffahrt im Jahr 2007 sind noch nicht abgeschlossen. 2006 allerdings wurden rund 51 Millionen Tonnen Gefahrgüter auf deutschen Wasserstraßen befördert. Insgesamt waren 21 Prozent der Bahn- und Schiffsfracht Gefahrgüter. Gefahrguttransporte befördern überwiegend entzündbare flüssige Stoffe wie Rohöl, Benzin, Dieselkraftstoff und Heizöl, wobei der Anteil dieser Gefahrenklasse für die Binnenschifffahrt höher liegt als für den Eisenbahngüterverkehr. Im Jahr 2006 lag das Verhältnis bei 83 zu 64 Prozent. Weitere bedeutende Gefahrklassen sind Gase und ätzende Stoffe.

Zu den Gefahrgütern, die täglich durch Berlin rollen, gehört auch das Kerosin für die Flughäfen. In Schönefeld wird es über die sogenannte Görlitzer Bahn, also die Strecke Richtung Königs Wusterhausen, per Zug direkt aufs Flughafengelände gebracht. In Tegel dagegen wird der Treibstoff nach Auskunft eines Flughafensprechers per Lastwagen geliefert - überwiegend nachts und auf festgelegten Routen, die von der Verkehrsverwaltung des Senats genehmigt worden sind. Zu den transportierten Mengen machte der Sprecher keine Angaben.

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