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Rappelvoll. Die wenigen Züge, die ab dem 20. Juli noch fuhren, waren meist überfüllt – wie hier am Ostkreuz. Durch die Ferienzeit war der Verkehr insgesamt jedoch auch zurückgegangen.

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Berliner S-Bahn: Zug um Zug in die Schwierigkeiten

Vor einem Jahr wurde der Verkehr auf der Stadtbahn eingestellt. Die Krise ist noch immer nicht überwunden, auch wenn es auf allen Strecken wieder rollt.

Gestottert hatte die S-Bahn schon lange. Wochenlang bereits bot sie nur noch einen Notbetrieb mit verlängerten Taktzeiten und kürzeren Zügen an. Einige Linien waren auch gestrichen. Doch nun herrschte Stillstand: Vor einem Jahr, am 20. Juli, einem Montag, musste der Verkehr sogar auf der Stadtbahn zwischen Ostbahnhof und Zoologischer Garten eingestellt werden. Die S-Bahn konnte nicht mehr genügend Züge einsetzen. Inzwischen fahren die Bahnen zwar wieder auf allen Strecken, aber immer noch nicht auf allen Linien. Frühestens Ende nächsten Jahres soll es beim einstigen Vorzeigeunternehmen wieder einen vollwertigen Betrieb geben – vorausgesetzt, es kommt nicht zu neuen Problemen.

Bruchgefährdete Räder und Achsen, unterlassene Wartung bei den Bremsen, nicht eingehaltene Zusagen an die Aufsichtsbehörde, aus der Halterung fallende Getriebe, abreißende Kupplungen, sich bei der Fahrt öffnende Türen, nicht nachgefüllter Bremssand, ab und zu ein Feuer an Bord, eingefrorene Sicherungssysteme im Winter, überlastete Klimaanlagen im Sommer – bei der S-Bahn ist alles möglich, was nicht möglich sein sollte.

Ersatzverkehr. Weil die S-Bahn nicht fuhr, hieß es Umsteigen in Regionalzüge.
Ersatzverkehr. Weil die S-Bahn nicht fuhr, hieß es Umsteigen in Regionalzüge.

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Nachdem am 1. Mai 2009 bei Kaulsdorf ein Rad gebrochen und ein Zug deshalb entgleist war, hatte das aufsichtsführende Eisenbahn-Bundesamt (EBA) kontinuierlich die Sicherheitsauflagen verstärkt. Die damalige S-Bahn-Geschäftsführung hatte zunächst versucht, den Radbruch zu bagatellisieren. Wenige Tage später ließ das EBA aber einen Großteil der Fahrzeuge stilllegen, weil die Räder der neuesten Baureihe nicht mehr als betriebssicher galten und die S-Bahn die zugesagten Fristen beim Austausch der Räder nicht eingehalten hatte. Ende Juni war nur noch rund die Hälfte der 630 Doppelwagen einsatzfähig.

Nach diesem Desaster mussten die vier Geschäftsführer der S-Bahn mit Tobias Heinemann an der Spitze nach nächtlichen Krisengesprächen mit dem Konzernvorstand zurücktreten. Der besonders umstrittene Technikchef Ulrich Thon, der einen rigiden Sparkurs bei dem Unternehmen durchgesetzt hatte, auch mit weniger Kontrollen bei den Zügen, hatte vor allem auf Druck des Betriebsrates das Unternehmen schon vorher verlassen. Zum neuen Chef wurde Peter Buchner ernannt, der zuvor für den Regionalverkehr in Berlin-Brandenburg zuständig war.

Kurz nach der Ernennung ordnete das Eisenbahn-Bundesamt zusätzliche Sicherheitsüberprüfungen an den Fahrzeugen an, weil weitere Mängel festgestellt worden waren. Jetzt war lediglich noch ein Drittel des Bestands einsatzfähig, weshalb unter anderem der Betrieb auf der Stadtbahn eingestellt werden musste.

Mit einem reduzierten Angebot kehrten die S-Bahnen nach zwei Wochen zurück, und die neue Geschäftsführung kündigte an, bis zum Jahresende nach dem regulären Plan fahren zu wollen. Schrittweise verbesserte die S-Bahn auch wieder ihr Angebot; Anfang September waren 60 Prozent der Fahrzeuge im Betrieb.

Zuschlagfrei. Nach Schönefeld fährt der Schnellbus bis heute zum VBB-Tarif.
Zuschlagfrei. Nach Schönefeld fährt der Schnellbus bis heute zum VBB-Tarif.

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Dann kam der nächste Schlag: Nachdem an einem Zug bei Kontrollen gleich mehrere defekte Bremsanlagen entdeckt worden waren, stellte sich heraus, dass die vorgeschriebene Wartung mit dem Austausch eines winzigen Ersatzteils seit Jahren nicht vorgenommen worden war. Um die Wartung nachzuholen, musste erneut ein Großteil der Fahrzeuge in die Werkstatt. Lediglich ein Drittel der für den Betrieb erforderlichen Wagen blieb am laufen. Die S-Bahn war nur noch ein Torso und am Tiefpunkt angelangt.

Fahrgäste wurden im Dezember mit Freifahrten oder Preisermäßigungen entschädigt, die bereits im Sommer angekündigt worden waren. Nach dem neuerlichen Fastzusammenbruch des Betriebs im September und den damit verbundenen Einschränkungen für die Fahrgäste legte die S-Bahn ein weiteres Entschädigungsprogramm vor, das Freifahrten oder Preisreduzierungen im kommenden November und Dezember vorsieht.

Ausgeholfen. Auch Züge aus anderen Städten waren im Einsatz.
Ausgeholfen. Auch Züge aus anderen Städten waren im Einsatz.

© Kai-Uwe Heinrich

Durch längere Fahrzeiten hätten Fahrgäste rechnerisch Verluste gemacht, hat das IGES-Institut ermittelt, das nach der Krise im Sommer für die verlorene Zeit einen Wert von durchschnittlich 235 Euro pro Fahrgast ermittelte. Trotzdem ist auch in der Krise die Zahl der Stammkunden bei BVG und S-Bahn gestiegen. Weil beim Jahresabonnement nur der Preis für zehn Monatsmarken gezahlt werden muss, ist man in diesem Jahr durch die Freifahrten im November und Dezember schon mit dem Gegenwert von acht Monatskarten für ein komplettes Jahr unterwegs.

Die Ursache der Misere fand die von der Bahn beauftragte Anwaltskanzlei Gleiss Lutz in „Fahrzeugmängeln und Managementfehlern“ der früheren Geschäftsführung. Kritiker wie der Chef des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB), Hans-Werner Franz, verweisen dagegen auf den vom Konzern verordneten Einsparungskurs, der zu Millionengewinnen führen sollte, die an den Konzern abzuliefern waren.

Um das Ziel zu erreichen, wurden Stellen gestrichen, Werkstätten geschlossen und Züge verschrottet. Schritte, die die neue Geschäftsführung jetzt – mit Billigung des Konzerns – zum großen Teil zurückgenommen hat. Doch während Bahnchef Rüdiger Grube jammert, dass die S-Bahn jetzt noch jahrelang Verluste machen werde, verweisen Insider darauf, dass es bereits wieder Gewinnplanungen gebe. Missstände wie in der Vergangenheit seien künftig aber ausgeschlossen, verkündet der Konzern, der schon so viel verkündet hat.

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