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Fließendes Nebeneinander. Der S-Bahnhof Ostkreuz in Friedrichshain/Lichtenberg ist der am meisten frequentierte Nahverkehrs-Umsteigebahnhof in Berlin. Insgesamt steigen hier täglich rund 100 000 Menschen auf neun Linien ein, aus oder um. Integrierte Nah- und Regionalverkehrskonzepte finden hier einen Knotenpunkt.

©  Davids/Hohlfeld

Mobilitätskonzepte für Berlin: Wie Fußgänger und Radfahrer einfacher vorankommen sollen

Die Konkurrenz für das Auto wächst in Berlin. Immer mehr Menschen nutzen den Öffentlichen Nahverkehr oder steigen gleich aufs Fahrrad. Deshalb soll die bestehende Infrastruktur weiter verbessert werden.

Das Rückgrat der Berliner Mobilität ist der Öffentliche Nahverkehr (ÖPNV): 937 Millionen Fahrgäste nutzten 2012 das Angebot der BVG, 395 Millionen Menschen fuhren mit den Zügen der Berliner S-Bahn. Die Streckennetz von S- und U-Bahn, Straßenbahn und Bus umfasst rund 1800 Kilometer, an mehr als 3100 Haltestellen können die Kunden zu- oder aussteigen. So weit die Fakten. Sie belegen die hohe Leistungsfähigkeit des ÖPNV, dessen Anteil am Berliner Gesamtverkehr derzeit bei 27 Prozent liegt.

Der Anspruch aber ist, noch besser zu werden. Im Stadtentwicklungsplan Verkehr für Berlin sind die Ziele klar umrissen: Bis 2025 soll der ÖPNV-Anteil schrittweise auf 29 Prozent gesteigert werden. Durch verbesserte Qualität wollen die Planer mehr Kunden gewinnen: S- und U-Bahnen sollen pünktlicher, Straßenbahnen und Busse schneller unterwegs sein. „Auch bei der Anmutung unserer Bahnhöfe gibt es einiges zu tun“, sagt Hans-Werner Franz, Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB). „Die Aufenthaltsqualität an den Stationen wie auch in den Zügen kann noch deutlich kundenfreundlicher werden.“

Vor allem aber setzt Franz auf die konsequente Vernetzung des Nahverkehrs mit anderen Verkehrsarten, gerade mit Fußgängern und Radfahrern. „Wir wollen das Umsteigen einfacher und schneller machen“, so Franz. Handlungsbedarf sieht er insbesondere im Busverkehr. „Die grüne Welle für Busse muss eine Selbstverständlichkeit sein, die Busspur von parkenden Autos und dem Lieferverkehr freigehalten werden.“ Wo es planerisch möglich sei, sollten Busspuren in die Mitte der Straßen verlegt werden, um den Verkehr zu beschleunigen.

Auch für Frank Wolter liegt die Zukunft des städtischen Verkehrs darin, die Übergänge zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern so effizient und reibungslos wie möglich zu gestalten. Der Fachgebietsleiter Urbane Mobilität am Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) in Schöneberg plädiert dabei für eine bewusste Stärkung des Fahrradverkehrs. „Das Beispiel etwa von Amsterdam zeigt, dass überdachte und bewachte Fahrradstationen in unmittelbarer Nähe der Bahnhöfe von den Kunden stark angenommen werden“, sagt Wolters. Das schaffe auch Vorteile gegenüber dem Auto: Wer erst lange nach einem Parkplatz suchen und dann noch einige Minuten bis zur Station laufen müsse, steige bei entsprechenden Angeboten am Bahnhof früher oder später aufs Rad um.

Solche Argumente leuchten Eva-Maria Scheel schon lange ein. Für die Berliner Landesvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) bieten attraktive Fahrradstationen die Chance, gerade Pendler für das Fahrrad zu gewinnen. „In den kommenden Jahren werden Pedelecs immer besser und günstiger werden; das Fahrrad wird zunehmend auch als rasches Verkehrsmittel wahrgenommen werden“, sagt Scheel. Unkomplizierten und kostengünstigen Sharing-Angeboten für Pedelecs prognostiziert sie eine große Zukunft.

Monatskarten mit einem Chip für Sharing-Systeme für jeden Zuzügler.

Grundsätzlich liegt Scheel viel daran, den Fahrradverkehr sicherer, aber auch schneller zu machen. Sie spricht von einem „fließenden Nebeneinander“, das ausdrücklich auch den Busverkehr einbezieht. In einer gemeinsamen Arbeitsgruppe mit der BVG wird derzeit darüber diskutiert, wie die gemeinsame Nutzung der Busspuren rund um die Uhr möglich werden kann. Zentrale Vision hierbei ist, dass die Spuren wo eben realisierbar auf fünf Meter verbreitert werden.

Das wäre eine Veränderung, die beträchtlichen Aufwand nach sich zöge. Die einfachsten und zugleich nachhaltigsten Veränderungen aber seien die in den Köpfen, sagt Mobilitätsexperte Wolter vom InnoZ. Nach seiner Meinung sind zum Beispiel Zuzügler nach Berlin eine besonders wichtige Gruppe, um die Akzeptanz des ÖPNV weiter zu steigern. „Ganz gleich, ob jemand wegen einer neuen Arbeitstelle oder dem Studium in die Stadt kommt – jeder Neuberliner sollte von seinem Arbeitgeber oder der Universität für die ersten Monate ein Monatsticket geschenkt bekommen“, schlägt Wolter vor. So dass erst gar nicht der Gedanke entstehe, das Auto zu nutzen.

Wolter geht noch weiter: „Monatskarten könnten durchgängig mit einem Chip für Carsharing-Angebote ausgestattet sein, so ließe sich die Hemmschwelle bei vielen Menschen einfach überwinden.“ In der jüngeren Generation sei diese Schwelle weniger vorhanden, aber man müsse sie in ihrer Lebensrealität abholen. „Warum also nicht umweltbewusstes Verkehrsverhalten zum Bestandteil in der Fahrschule machen?“, fragt Wolter. Wer „von der Pike auf“ mit der mobilen Vielfalt vertraut gemacht werde, der denke mit 18 Jahren nicht über den Kauf eines Autos nach, sondern über die bestmögliche Kombination verschiedener Verkehrsträger.

Die Konkurrenz für das Auto, darüber besteht bei nahezu allen Experten Einigkeit, wird auch in Berlin in den nächsten Jahrzehnten immer stärker werden. „Dazu gehört natürlich auch, dass wir die bestehende Infrastruktur gründlich erhalten und weiter verbessern“, sagt VBB-Chef Franz. Großes Potenzial sieht er hierbei in den Regionalbahnhöfen Gesundbrunnen, Ostkreuz oder Köpenick, mit denen zeitsparende Verbindungen in die Innenstadt sichergestellt werden könnten. „Wir wollen erreichen, dass unser Angebot im Zusammenspiel mit Fahrrad- und Fußgängerverkehr schlicht und einfach besser ist als der motorisierte Individualverkehr.“

Würden sich die meisten Autofahrer bei den Kosten ihrer Fahrten nicht stillschweigend selbst betrügen, dann stünden schon heute an den Straßenrändern viel weniger Autos. „Wer Verschleiß, Versicherung oder Reparaturen ehrlich einrechnet, der würde viele Wege nicht mehr mit dem Auto machen“, ist sich Zukunftsforscher Wolter vom InnoZ sicher. Für ihn spielen auch solche Kosten-Nutzen-Aspekte bei der städtischen Mobilität der Zukunft eine entscheidende Rolle: „Wenn an vielen Mobilpunkten in der Stadt verlässlich geteilte Autos zur Verfügung stehen, dann können ÖPNV und Sharing-Systeme noch näher zusammenrücken.“

Klaus Grimberg

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