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Geduld, bitte! Avus: dichter oder zähfließender Verkehr in Richtung Hüttenweg und Spanische Allee. Steglitz Richtung Schöneberg: Stau tagtäglich. Auf Berliner Baustellen herrschen ordentliche Arbeitszeiten, daher dauert manche Maßnahme etwas länger.

© dpa

Pro & Contra: Baustellen bis in die Nacht genehmigen?

Berlins Straßenbaustellen dauern lange und sind oft verwaist. Lassen sich die Arbeiten schneller durch Nachtarbeit erledigen? Geht nicht, sagen Behörden. Ein Pro & Contra. Diskutieren Sie mit!

Das Reparieren von Straßen oder darunterliegenden Leitungen und Rohren dauert lange – in Berlin gefühlt oft sogar eine Ewigkeit. Und Autofahrer, die deshalb im Stau stehen, wundern sich immer wieder, dass sich hinter den Absperrungen nichts zu bewegen scheint. Zumindest ist vom späten Nachmittag an meist kein Bauarbeiter mehr zu sehen. Nicht nur der ADAC fordert deshalb, am besten auch in die Nacht hinein, nämlich bis 22 Uhr zu arbeiten, um die Baustelle schneller aufheben zu können.

„Mit Nachtarbeit wären wir früher fertig“, bestätigt der Hauptgeschäftsführer der Fachgemeinschaft Bau Berlin und Brandenburg, Wolf Burkhard Wenkel. Jede Stunde, die man länger arbeiten könne, zähle schließlich. Die Firmen wären in der Lage, die Zusatzarbeit zu organisieren – auch durch Neueinstellungen, falls erforderlich. Sicher sei das Bauen dann teurer, sagt Wenkel. Für die Arbeit in den Abendstunden wären Zuschläge fällig. Er schätzt aber, dass sich der Preis für die Auftraggeber insgesamt nur um etwa fünf Prozent erhöhen würde.

Ein Arbeiten in den Abend- und Nachtstunden würde aber sehr wahrscheinlich zu Protesten von Anwohnern führen, gibt Wenkel selbst zu. So sei im vergangenen Jahr auch der Versuch gescheitert, wegen der damaligen großen Hitze früher mit den Arbeiten zu beginnen. Gearbeitet werden darf derzeit zwischen sieben und 20 Uhr; vorher und danach sind Ausnahmegenehmigungen erforderlich. Dass die Regelarbeitszeit meist nicht genutzt wird, liegt schon jetzt an den Mehrkosten für zusätzliches Personal. Denn kein Mitarbeiter darf länger als höchstens zehn Stunden arbeiten. Wer um sieben beginnt, hat um 17 Uhr Feierabend, danach ist die Baustelle verwaist. Ausnahmegenehmigungen für ein längeres Arbeiten in zwei Schichten sollten zum Schutz der Anwohner auf ein Mindestmaß begrenzt bleiben, findet die Sprecherin der Umweltverwaltung, Marie-Luise Dittmar. „Das Leben ist keine Baustelle.“ Ausnahmen findet sie nur sinnvoll, wo Arbeiten zwingend erforderlich sind oder bei einer möglichen Gefahr.

Auch die Stadtentwicklungsverwaltung ist skeptisch. Verwaltungssprecher Mathias Gille sagt: „Abgesehen vom Lärm könnte man nur etwa von Juni bis August bis 22 Uhr arbeiten, ohne eine künstliche Beleuchtung installieren zu müssen.“ In den anderen Monaten, wenn starke Leuchten erforderlich würden, werde der Verkehr und der angrenzende Wohnbereich geblendet. Zudem sei es schwierig, das erforderliche Baumaterial zeitgerecht zu beschaffen. Mischwerke für Asphalt und Beton produzierten mit einem hohen Energieaufwand. Die Abnahme von nur noch kleinen Mengen würde die Kosten in die Höhe treiben. Und noch zwei Contra-Argument fallen ihm ein: Nächtliche Transporte durch die Stadt belästigten Anwohner und außerdem führten Arbeiten in der Nacht auch fast immer zu verringerter Leistung und schlechterer Arbeitsqualität.

Auf der Dauerbaustelle Avus, für die der ADAC sogar einen 24-Stunden-Betrieb in drei Schichten fordert, würde die Nachtarbeit laut Verwaltung gar nichts beschleunigen. Am Bauablauf für den Neubau der Hüttenwegbrücke lasse sich nichts ändern, sagt Lutz Adam, Leiter der Tiefbauabteilung bei der Stadtentwicklungsverwaltung. Würde man durch Nachtschichten die Arbeiten an der Fahrbahn schneller abschließen können, blieben die Verkehrseinschränkungen trotzdem bestehen, bis auch die neue Brücke fertig sei. Man hätte also nichts gewonnen, im Gegenteil, nur Mehrausgaben produziert.

Unser Pro & Contra:
Pro:

So sieht zurzeit die tägliche Wutprobe eines Berliner Autofahrers aus: Er fährt, steht im Stau vor einer Baustelle, sieht keinen Bauarbeiter, wird wütend (erste Stufe), hupt sinnlos (zweite Stufe) und fantasiert (dritte Stufe), wie er als Superman der Straße (ich: Superwoman) die mobile Menschheit von dem Diktat der Absperrgitter, Bauzäune und Pylonen auf menschenleeren Baustellen befreit.

Die Aggression steigt mit fortgeschrittener Tageszeit, sagen wir, ab 18 Uhr. Andere Menschen arbeiten auch länger als 18 Uhr, warum geht das nicht im Straßenbau? Das Argument der höheren Lohnkosten lässt sich gegenrechnen mit dem volkswirtschaftlichen Schaden durch Staus: mehr Unfälle, Menschen kommen zu spät zur Arbeit, Lieferungen verspäten sich, die Umweltbelastung steigt durch höhere Abgaswerte. Muss man nachts auf großen Baustellen wie der Avus den Naturschutz einhalten? Für wen – für nachtaktive Waldtiere? Autos fahren übrigens auch nachts, auch auf der Avus. Und gibt es in Berlin gar keine Flutlichtanlagen wie im restlichen Deutschland auf nächtlichen Baustellen?

Was den Lärmschutz betrifft: Tagsüber kriegen Anwohner auch den Lärm der Baustellen ab. Viele sagen: Lieber eine intensive 24-Stunden-Belastung über kurze Zeit als Baulärm, unberechenbare Autofahrer und Hupkonzerte über lange Zeit. Sabine Beikler

Contra:

Wieso sollen Anwohner leiden, damit Autofahrer schneller vorankommen? Es sind doch maximal ein paar Tage, die eine Baustelle schneller fertig wäre. Und mehr als ein paar Minuten verliert doch niemand in einem Stau.

Es fällt einem kein vernünftiges Argument für eine Rund-um-die-Uhr-Baustelle ein. Berlin ist nachts schon laut genug, da muss nicht noch der Avus-Beton zertrümmert werden. Dass der Steuerzahler diese Nachtarbeit durch teure Zuschläge auch noch bezahlen müsste, zeigt, wie dreist eine solche Forderung wäre. Dabei ist die Idee ja nicht neu, der ADAC wirft sie alle paar Jahre in den Ring, damit seine PS-Klientel sich freuen kann. Als Nächstes kommt dann – nur so zum Beispiel – die Müllabfuhr, die ihre ebenso großen wie klappernden Autos besser auslasten könnte, wenn die Glastonnen auch um Mitternacht geleert werden dürften. Oder der Paketbote klingelt schon um vier Uhr früh, weil dann die Logistik besser klappte.

Es ist schon symptomatisch, dass nur die Autolobby auf solche wilden Ideen kommt – niemand sonst. Als City-Bewohner fallen mir ganz andere Dinge ein: berlinweites Lastwagenfahrverbot nachts, Verbot getunter Sportwagen, Tempo 60 auf der Stadtautobahn und so weiter und so fort. Was diese Vorschläge allesamt sind? Unrealistisch – ebenso wie Nachtarbeit auf Baustellen. Jörn Hasselmann

Liebe Leserinnen und Leser: Was meinen Sie? Sollten Baustellen bis in die Nacht genehmigt werden? Diskutieren Sie mit!

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