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Frankfurter Tor

© Jörg Zeipelt

Risiko Radweg: Wo Berlin für Radfahrer am gefährlichsten ist

Das Frankfurter Tor in Friedrichshain war für Radler einer der Unfallschwerpunkte 2008 – obwohl es hier eigentlich überall Radwege gibt. Gerade sie sind anscheinend gefährlich.

Im vergangenen Jahr gab es am Frankfurter Tor offiziell 15 Unfälle mit Radfahrerbeteilgung. Elf davon wurden von Autofahrern verursacht. Es wiederholte sich dabei immer wieder der gleiche Ablauf. Ein rechts abbiegender Autofahrer übersieht einen rechts neben ihm, aber geradeaus fahrenden Radfahrer. Am Frankfurter Tor wurde dabei 2008 ein Radler schwer verletzt, die anderen leicht.

Immer mehr Radfahrer sind in Berlin unterwegs. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung geht laut Sprecherin Petra Roland fürs kommende Jahr davon aus, dass 15 Prozent der insgesamt zurückgelegten Wege in der Stadt auf den Radverkehr entfallen werden. Das entspreche einer Steigerung um 50 Prozent seit Mitte der 90er Jahre. Doch viele Radwege in Berlin entsprechen nicht den Vorgaben der Straßenverkehrsordnung (StVO). Auch zwölf Jahre nach der Radfahrernovelle sind Radler immer noch verpflichtet, auf nicht mehr zulässigen Radwegen zu fahren. Das soll auch so bleiben.

Die meisten schweren und tödlichen Unfälle passieren auf Radwegen

Berlin liegt mit nur 319 Pkw pro 1000 Einwohner weit unter dem Bundesdurchschnitt von 503. Der Stadtstaat hat damit die mit Abstand niedrigste Autodichte aller Bundesländer. Trotz niedriger Auto- und hoher Fahrradquote müssen sich Radfahrer einen schmalen Radweg teilen. Im Unterschied zur so genannten Radspur verläuft ein Radweg auf dem Gehweg, oft hinter parkenden Autos und damit außerhalb des Blickfelds von Autofahrern. „80 bis 90 Prozent der schweren und tödlichen Unfälle passieren auf diesen baulich angelegten Radwegen“, sagt Benno Koch, Fahrradbeauftragter des Berliner Senats. Radspuren, direkt auf der Straße, wie die auf der Oberbaumbrücke, würden schwere Radunfälle dagegen vermeiden helfen.

Insgesamt gibt es 635 Kilometer Radwege in Berlin. Laut Roland sind davon 150 Kilometer benutzungspflichtig, erkennbar an dem runden, blauen Schild mit dem weißen Fahrrad. Mit Ausnahme gemeinsamer und getrennter Fuß- und Radwege, die ähnlich gekennzeichnet sind, gilt bei allen anderen Radwegen eine Kann-Regelung. Ist kein Schild vorhanden, können Radfahrer den Radweg benutzen, müssen aber nicht.

Flickenteppich im Recht auf die Benutzung der Straße

Die wenigsten fahren allerdings auf der Fahrbahn, erklärt Koch. Viele wüssten nicht von ihrem Recht, die Straße zu benutzen. Dabei zeigt eine Studie der schwedischen Universität Lund, dass Radfahrer, die an einer Kreuzung geradeaus fahren, 3,4-mal häufiger in Unfälle verwickelt sind, wenn sie statt der Straße den Radweg benutzen. Die Hauptursache für die erhöhte Unfallhäufigkeit ist die schlechte Sichtbarkeit durch rechts abbiegende Auto- und besonders Lkw-Fahrer, sagt Koch. Auch der Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) ist Verkehrsreferent Wilhelm Hörmann zufolge gegen eine Benutzungspflicht. Eine solche Regelung sei außerdem besser kommunizierbar, weil klarer. Derzeit hätten Radler und Autofahrer Schwierigkeiten zu erkennen, wo Radfahrer auf den Fahrradweg müssen und wo nicht.

Maximilian Maurer, Sprecher vom Allgemeinen Deutschen Automobilclub (ADAC), geht davon aus, dass Radwege immer benutzt werden müssen. Auch die Verkehrsreferenten im ADAC wüssten nichts davon, dass die Benutzungspflicht von Radwegen schon seit 1997 aufgehoben werden kann. „Der gesunde Menschenverstand sagt mir, dass mehr Unfälle passieren, wenn die Pflicht aufgehoben wird“, sagt Maurer. Radfahrer müssen seiner Meinung nach an Kreuzungen einfach mehr aufpassen, da sie bei einem Unfall die schlechteren Karten haben. Er ist für ein Miteinander auf den Straßen, statt sich nur nach der StVO zu richten.

Die Radwege am Frankfurter Tor sind Unfallschwerpunkt

Derzeit wechseln sich benutzungspflichtige, andere und keine Radwege in Berlin immer wieder ab. Radfahrer sind so zum Beispiel auf der Gitschiner und der Skalitzer Straße gezwungen, ständig zwischen Fahrbahn und Radwegen hin und her zu wechseln. Zu dem Flickenteppich ist es gekommen, nachdem 1997 die Verwaltungsvorschriften zur StVO geändert wurden. Ein Jahr wurde den Kommunen Zeit gegeben, um ihre Radwege zu überprüfen – unter anderem auf eine Mindestbreite von 1,50 Meter. Den minimalen Anforderungen entsprechen jedoch immer noch viele ausgeschilderte Radwege nicht.

Am Frankfurter Tor gibt es beispielsweise einen Weg von unter einem Meter Breite – dieser kombinierte Rad- und Fußweg müsste nach StVO sogar mindest 2,50 Meter breit sein. In den Verwaltungsvorschriften heißt es zu dem Thema: „Ausnahmsweise und nach sorgfältiger Überprüfung kann von den Mindestmaßen dann, wenn es aufgrund der örtlichen oder verkehrlichen Verhältnisse erforderlich und verhältnismäßig ist, an kurzen Abschnitten (z. B. kurze Engstelle) unter Wahrung der Verkehrssicherheit abgewichen werden.“

Dass die Verkehrssicherheit am Frankfurter Tor – trotz oder gerade wegen der Radwege – nicht die beste ist, zeigt die Unfallstatistik der Berliner Polizei. Die Kreuzung am ehemals sozialistischen Boulevard zählt zu den Unfallschwerpunkten der Stadt. Alle Wege für Radfahrer an dem Knotenpunkt sind benutzungspflichtig.

Widersprüche und Klagen sind fast immer erfolgreich

Gegen diese Pflicht kann jeder Betroffene Widerspruch einlegen und bei Ablehnung klagen. Beim Verwaltungsgericht in Berlin werden keine Statistiken zu den Fällen geführt. Der Fahrradbeauftragte Koch, der sich intensiv mit der Problematik beschäftigt, weiß jedoch, dass von einigen hundert Widersprüchen und ungefähr einem Dutzend Klagen fast alle durchgekommen sind. Die Richter bezögen sich darauf, dass eine erhöhte Sicherheit durch die Beibehaltung der Benutzungspflicht nicht nachgewiesen werden könne.

Auch wenn die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Klagen oft unterliegt, will sie von der generellen Benutzungspflicht nicht absehen. Die Senatssprecherin Roland erläutert, dass zum Beispiel an der Ecke Reichpietschufer und Potsdamer Straße die Ampelschaltungen zu kompliziert werden würden und dort außerdem zu viel Verkehr ist. In einer Klage gegen die Benutzungspflicht in der Schulstraße in Wedding verteidigte sich die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mit eben diesen Argumenten – die Klage war erfolgreich.

Jörg Zeipelt

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