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Schuldenberg: Neue BVG-Chefin muss gleich betteln gehen

In dieser Woche tritt Sigrid Nikutta ihren schwierigen Job an. Millionen müssen investiert werden in U-Bahnzüge, Busse und Straßenbahnen.

Ihr sechsjähriger Sohn hat’s schon kapiert. Wenn er einen Bus der BVG sieht, freut er sich: „Mama, alles deine.“ Und wundert sich schon mal, dass die Busse in Frohnau so leer sind.

Sigrid Evelyn Nikutta braucht sicher noch etwas länger, bis sie die BVG verstanden hat. Am Freitag beginnt ihre Zeit als neue Chefin des Unternehmens, wobei sie auch für den Bereich Betrieb zuständig sein wird – als erste Frau bei der BVG im Vorstand überhaupt. Ausgestattet mit einem Drei-Jahres-Vertrag.

Es ist nicht leicht, die Struktur des Unternehmens mit seinen mehr als 12 000 Beschäftigen zu durchschauen. Nikuttas Vorgänger Andreas Sturmowski, dessen Vertrag nach fünf Jahren nicht verlängert worden ist, kennt nach seinen Angaben bis heute nicht alle „Untiefen“ der BVG. Die Abteilungen führen fast alle ein Eigenleben, gemeinsam agieren sie nur selten. Und auch Führungskräfte torpedieren nicht nur gelegentlich Vorgaben des Vorstandes. Innerbetrieblich hat die 1969 im polnischen Szczytno geborene Nikutta, die drei Kinder hat, und zuletzt bei der Gütersparte der Deutschen Bahn in Polen im Vorstand war, viel zu tun. Den internen Dialog mit Mitarbeitern will sie am Freitag früh kurz nach vier Uhr bei einem Gespräch mit Busfahrern auf dem Betriebshof Lichtenberg beginnen.

Sicher nicht ganz zufällig. Mit dem Busverkehr hat die BVG derzeit erhebliche Probleme. „Wir liefern hier keine vorzeigbare Leistung“, sagte ihr Vorgänger Andreas Sturmowski. Weil es zu wenig Fahrer gibt und die Busse wegen Qualitätsmängeln häufiger in die Werkstatt müssen, fallen immer wieder Fahrten aus. Das Problem ist alt, gelöst ist es noch nicht. Wie so viele andere Baustellen in dem Unternehmen.

Unter Sturmowski hat die BVG zwar ihre Schulden verringert, was aber fast immer nur durch den Verkauf von Unternehmensteilen möglich war. Hier ist aber so gut wie alles verscherbelt – von den einstigen firmeneigenen Wohnungen bis zur Werbetochter VVR-Berek oder dem U-Bahn-Fernsehen. Unter Nikutta werden die Schulden wohl wieder steigen. Mit 729 Millionen Euro stand das Unternehmen 2009 in der Kreide, in diesem Jahr soll der Schuldenberg auf 778,6 Millionen Euro steigen.

Bremsen kann Nikutta den Anstieg nur, wenn sie mehr Geld beim Senat herausschlagen kann. Sie wundert sich, dass der Senat die erheblich kleinere S-Bahn mit mehr als 230 Millionen Euro im Jahr bezuschusst, während die landeseigene und dreimal so große BVG mit 250 Millionen Euro auskommen muss. Weil der Zuschuss nicht reicht, um alle Kosten zu decken, muss die BVG Jahr für Jahr Kredite aufnehmen. Entschulden will der Senat das Unternehmen nicht.

Auch eine andere Bürde nimmt das Land seinem Unternehmen nicht ab. 2005 war zwar im neuen Tarifvertrag Nahverkehr vereinbart worden, dass die relativ hohen Löhne und Gehälter bei der BVG gesenkt werden, doch dies gilt nur für neu eingestellte Mitarbeiter. Altbeschäftigte erhalten mit Einverständnis des Senats bis zum Ausscheiden eine Zahlung, die die Differenz zwischen bisherigem Einkommen und den Tariftabellen ausgleicht. Für diesen sogenannten Sicherungsbetrag musste die BVG im vergangenen Jahr 98 Millionen Euro aufbringen; in diesem Jahr werden es 95,7 Millionen Euro sein, und 2020 fließen immer noch 64 Millionen Euro.

Sturmowski hatte vorgeschlagen, dass der Senat die Kosten für den Sicherungsbetrag übernimmt und die BVG dafür selbst den Kauf neuer Fahrzeuge finanziert. Daraus ist nichts geworden. Auch Nikutta muss den Sicherungsbetrag aus der BVG-Kasse nehmen und um Geld für neue Fahrzeuge beim Senat betteln gehen. In den nächsten Jahren braucht die BVG 104 neue U-Bahn-Wagen, um das Angebot aufrechterhalten zu können. Auch neue Straßenbahnen sind erforderlich. Und wenn bei den Doppeldeckern die Probleme gelöst sind, stehen auch hier 200 neue Busse auf dem Kaufprogramm. Viel zu verhandeln.

Mit einem Dauerproblem kann sich die neue BVG-Chefin allerdings Zeit lassen: Um Tariferhöhungen muss sie erst fürs Jahr 2012 kämpfen. Die Erhöhungen zum 1. Januar 2011 waren noch vor ihrem Amtsantritt getroffen worden. Und wenn es ihr gelingt, durch attraktive Angebote auch die Zahl der Fahrgäste zu steigern, was zuletzt gelungen war, könnten auch „ihre“ Busse bald voller sein, und ihr Sohn muss sich nicht mehr so wundern, dass Mamas Fahrzeuge so leer sind.

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