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SEIN WERK: Ein Landeplatz für die Kunst

In 10 Tagen schließt der Flughafen Tempelhof. Sergei Tchoban, weltbekannter Architekt, sieht für das Gelände nur eine Zukunft: als Kulturlandschaft mit Anziehungskraft

An die Neue Nationalgalerie im Kulturforum erinnert der Flughafen, vom Rollfeld aus betrachtet. Aber es rollt kein Flugzeug mehr. Unter dem weit geschwungenen Dach sind die unterschiedlichsten Skulpturen aufgebaut, die Strenge des Gebäudes wirkt auf einmal aufgelockert, leicht und verspielt. Menschen wandeln umher, es gibt Wasserflächen, und im Hintergrund sind Bäume zu sehen. Kaum zu glauben, dass hier einmal der „Zentralflughafen“ gewesen sein soll.

Was hat es bislang an Vorstellungen für die Zukunft des Flughafens Tempelhofs gegeben? Eine großes Wiesenmeer, Spiel- und Sportflächen, Wohnungsbau, Büros und Gewerbe – von allem etwas, und doch nichts wirklich Großes. Nichts, was sich als Idee, als kühne Vision in den Köpfen der Berliner festsetzen konnte. Das überzeugende Konzept fehlt, meint jedenfalls der weltbekannte, 1962 in Leningrad geborene Architekt Sergei Tchoban. Er glaubt, es gefunden zu haben. Es hat ihn gereizt, sich mit diesem Bauwerk und dessen riesiger Fläche auseinanderzusetzen, die Fantasie spielen zu lassen, ein auf- und anregendes Modell für das Flughafengelände zu finden. Die Suche nach einer zündenden Idee hat ihn in eine Richtung geführt, die so deutlich niemand vor ihm eingeschlagen hat. Der Kunstliebhaber zielt auf die Kunst. Sie allein könne Tempelhofs Zukunft sein – als „Kulturlandschaft“.

Die Vision hat er in seinem großen Büro am Hackeschen Markte exklusiv für den Tagesspiegel zu Papier gebracht. Die theoretische Aufgabe hat ihn gelockt, obwohl er gerade wieder an vielen realen Projekten in aller Welt arbeitet. In schnellen Strichen ist er im Geist über das Rollfeld gehuscht, hat skizziert, unterschiedlichste Gebäude gesetzt und wieder verworfen, hat Räume geschaffen, sie bebaut. Er hat immer noch sehr viel Platz für Grün, für eine Parklandschaft, gelassen. Tchoban hat vor allem versucht, die Ödnis als Chance zu begreifen, sie der Stadt mit einer ganz bestimmten Nutzung zurückzugeben. Vor dem riesigen Flughafengebäude machte er nicht Halt. Tchoban spricht von einem „wunderschönen Bauwerk“ mit außergewöhnlichen Raumeindrücken. Ihn faszinieren die Möglichkeiten. „Ist die Stadt nicht auf der Suche nach einer dauerhaften Kunsthalle?“ Der Senat will zeitgenössische Kunst im geplanten Neubaukomplex am Humboldthafen zeigen. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Hier, in Tempelhof, böte sich nach Ansicht des Architekten eine bessere und schnellere Gelegenheit. So könnte das Gebäude wirklich sinnvoll genutzt werden. Auf seinen Zeichnungen ist zu sehen, wie der Architekt sich das vorstellt. Die große Abfertigungshalle ist durch Stellwände aufgelockert, die Höhe des Raums scheint der ausgestellten Kunst zusätzlich Größe zu geben. Tchoban meint, dass sich die Seitenflügel der Halle für Kunstgalerien einrichten ließen, für große und kleine Wechselausstellungen. Und natürlich könne sich die Kunst auch unter den ausladenden Dächern des Flughafens auf der Rollfeldseite ausbreiten, als Freiluftausstellung. Das Abfertigungsgebäude des „Zentralflughafens“ böte so die Plattform, den Ausgangspunkt einer ausladenden Kulturlandschaft, die sich auf weitem Feld erstreckt.

Hier soll sich die Kunst in ihren unterschiedlichsten Formen entfalten. Tchoban stellt in seinem Entwurf Pavillons aufs Papier, wie hingetupft, entlang der alten Start- und Landepiste, Hauptachse für die Erschließung des Geländes. Umgeben von Grün- und Wasserflächen stehen da diese leicht wirkenden Bauten, die Raum bieten für die unterschiedlichsten Sammlungen. Hier könnten Stifter ihre Werke zeigen, Dauerleihgaben ausgestellt werden, die Chancen moderner Kunst scheinen unbegrenzt.

Die Pavillons, die mit dem Geld von Stiftern oder Privatsammlern finanziert werden könnten, seien flexibel einsetzbar, das Konzept ließe sich je nach Bedarf erweitern, denn Platz genug sei da. Tempelhof als riesiger Kunst-Campus, eine Art Museumsinsel der Moderne – auch in durchaus ansprechender Architektur, darauf legt Tchoban schon wert –, werde eine Attraktion für die Stadt, für Touristen, für Kunstliebhaber in aller Welt. Gelegen in einer attraktiven Parklandschaft, denn es solle auch, im Rahmen der Kunst, ein Ort der Erholung sein. Wie eine kleine Expo sieht dann das Gelände aus. In jedem Bauwerk eine bestimmte Stilrichtung, eine bestimmte Stiftung, eine bestimmte Leihgabe. Ein aktueller Überblick der Moderne.

Das ist Sergei Tchobans Vision, sein persönlicher Vorschlag für die künftige Gestaltung des großen Geländes. Tempelhof – ein Landeplatz für die Kunst. Und noch ist Tempelhofs Zukunft offen.

Warum nicht träumen? Neue Wohnungen und Büros habe Berlin genug, sagt der Architekt. Hier aber böte sich für die Stadt die Chance, etwas Neues zu schaffen, etwas Einmaliges.

Der Federation Tower in Moskau, den Sergei Tchoban mit Peter Schweger entwarf, gehört zu den herausragenden Werken des Architekten. Der Komplex, der 2009 fertig werden soll, erreicht eine Höhe von 360 Metern, wird 93 Stockwerke haben und zu den höchsten Gebäuden der Welt zählen.

Zu Tchobans Bauwerken in Berlin gehört das „DomAquaree“ an der Karl-Liebknecht-Straße (Foto). Er baute das denkmalgeschützte Berolinahaus am Alexanderplatz um, gestaltete dort die Fassade des TLG-Gebäudes – das „Buchstabenhaus“, errichtete das Cubix-Kino am Alex und das Saturn-Kaufhaus am Europa-Center. Er baute die Synagoge an der Münsterschen Straße in Wilmersdorf um. C. v. L.

Christian van Lessen

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