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Unter Krähen und Bibern: Von Alt-Hermsdorf über Lübars nach Tegel

Die eigene Stadt neu entdecken – mit einer reizvollen Kombination von Stadtspaziergängen und Fahrten mit Bussen und Bahnen. Das ist die Idee unserer Ausflugsserie "Mit der BVG auf Tour". Tour 4 führt in den grünen Norden der Stadt.

Ohne das Fernglas in der Ledertasche geht Hans-Jürgen Stork nicht vor die Tür. Sonst hätte er den Waldkauz nur erahnen können, der da oben aus dem Brutkasten in Hermsdorf lugt. 30 dieser Kästen haben Stork und seine Mitstreiter vom Naturschutzbund (Nabu) Reinickendorf im Osten des Bezirks aufgehängt, als vor acht Jahren ein Sturm natürliche Nistplätze zerstörte. Der Feldstecher holt ihm auch die Krähen nahe, die er so liebt. Es war ein gutes Geschenk, damals zu seiner Hochzeit vor 41 Jahren. Sein Schwiegervater gab es ihm, „weil ich immer den Vögeln hinterher bin“. Das ist bis heute so geblieben. Stork interessieren aber längst nicht nur Vögel. Er kümmert sich seit dreißig Jahren um die Natur am Tegeler Fließ.

Von seinem gelben Haus am Hermsdorfer See ist es nur ein kurzer Fußmarsch, bis Stork, 72, im Grünen ist, an seinem Fließ. Das ist eine eiszeitliche Schmelzrinne, die bei Basdorf entspringt und in den Tegeler See fließt. Das Fließ quert auch den Hermsdorfer See, der mit den Jahren immer weiter verlandete. Noch vor 300 Jahren war der See zehnmal so groß wie heute, sagt Stork.

An dem sich langsam dahinschlängelnden Bach liegt eine Auenlandschaft aus Wiesen, Moor und Wäldern. Am Fließ brüten Gebirgsstelze und Kranich, im Sumpfgebiet wachsen Orchideen, Ringelnattern kriechen über den Boden. Es ist genau diese Vielfalt, die er am Fließ liebe, sagt Stork und zeigt auf das pink blühende Pfaffenhütchen am Holzsteg, der übers Moor nach Lübars führt. Daneben stehen Holunder und Brennnessel. „Indikatoren für viele Nährstoffe im Boden“, sagt Stork. Ein paar Meter weiter erklären Schilder, wie der Kuckuck sein Ei in fremden Nestern ausbrüten lässt. Aufgestellt hat die Tafeln Stork mit seiner Naturschützer-Gruppe.

Er verbringt seine Freizeit am liebsten draußen – sein Biologielehrer ist daran schuld. „Der ging mit uns regelmäßig raus und ließ uns erleben, wie eine Schlupfwespe aus einem Stamm kriecht“, sagt er und deutet fast beiläufig auf die aufgewühlte Erde am Wegesrand. „Wildschweine.“ Heute würden Lehrer den Kindern viel zu selten beim Spaziergang zeigen, was eine Birke ist. Nach der Schule studierte Hans-Jürgen Stork Biologie und Geologie in Würzburg und landete 1971 am Zoologischen Institut der Freien Universität Berlin. 1979 wurde der Wirbeltierzoologe mit dem Fachgebiet Vögel dann Lehrer an der Bertha-von-Suttner-Oberschule in Reinickendorf.

Die Natur will er nicht nur vermitteln, er will sie auch schützen, oder „Lebensräume entwickeln. Dafür sorgen, dass es so bleibt oder besser wird.“ Aktuell setzt er sich dafür ein, dass 21 Teiche in Frohnau mit sauberem Wasser befüllt werden. Schon 1983 gründete Stork das Vogelschutzreservat am Flughafensee mit, acht Jahre später die Storchenschmiede im havelländischen Linum. Die 500 Mark für den ersten Reinickendorfer Umweltpreis Mitte der 80er Jahre steckte er in eine Solaranlage auf dem eigenen Haus. Für eine europaweite Richtlinie bestimmte er schützenswerte Gebiete und wies vor fünf Jahren nach, dass der Biber am Hermsdorfer See lebt. Eine Nachbarin hatte ihn gerufen, weil ihr Apfelbaum „so komisch“ angenagt war. „Das war schon ein Highlight“, sagt er. An der Straße „Am Freibad“ zwischen Hermsdorf und Lübars sorgte Stork für eine Untertunnelung für Tiere, im vergangenen Jahr zählte er am Tegeler Fließ bei einer Bestandserfassung 100 Vogelarten.

Vögel sind seine Lieblingstiere, besonders die Saatkrähe. Weil sie in einem sozialen Verbund lebt, sich die Tiere umeinander kümmern, sich aber trotzdem gegenseitig Nistmaterial stibitzen. Verhalten und ökologischer Kontext werden stark vom Menschen beeinflusst, sagt Stork. Noch bis vor fünf Jahren erforschte er in Berlin überwinternde Krähen. Schlafplätze, Futter, Flugrouten, 20 000 Vögel zählte er im Winter 2004/05. Im Jahr darauf kamen fast keine mehr. Zu wenig Futterangebot, vermutet Stork, weil im Sommer zuvor die letzte Berliner Mülldeponie in Schwanebeck geschlossen worden sei.

Seine Forschungsergebnisse will er in einem Buch niederschreiben. Schon seine Doktorarbeit an der Uni beschäftigte sich damit, wie der Körperbau von Drosseln deren Flug und Leben beeinflusst. Am Tegeler Fließ findet er aber auch genügend andere Vögel. Der Habicht allerdings nistet nicht mehr an Storks Lieblingsplatz, dem Eichwerder Steg, dafür schnappt sich der Eisvogel kleine Fische. Von der Krebsschere ragen nur noch dunkle Spitzen aus dem Wasser, die Pflanze überwintert im Schlamm.

Storks Frau Helga teilt das Hobby ihres Mannes nicht. „Sie duldet es“, sagt Stork und lacht. Ende des Monats fliegen beide nach Kalifornien, den Sohn und die vier Enkel besuchen. Stork freut sich schon auf die Vogelwelt an der Bucht San Franciscos. „Dann ist man gut beschäftigt.“ Christoph Spangenberg

Infoheft „Natur erleben am Tegeler Fließ“ beim Nabu Berlin, Wollankstr. 4, Tel.: 986 41 07

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