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© dpa

Verkehr: Umweltzone: Grüne Ampel nur für grüne Plaketten

Die ab 1. Januar verschärfte Umweltzone ist noch immer für Streit gut: Autobesitzer fühlen sich schikaniert, Bürger klagen ihr Recht auf gute Luft ein.

Die Anklage erschien vor wenigen Tagen in Europas auflagenstärkster Zeitschrift. Unter der Überschrift „Die Stadt hat uns ausgesperrt“ berichtete das Mitgliedermagazin des ADAC über die Verschärfung der Berliner Umweltzone und präsentierte deren Opfer: eine Floristin, deren fünf Jahre alter Lieferwagen nur mit Abgastechnik für mehr als 2000 Euro von einer gelben auf die grüne Plakette nachrüstbar ist. „Ohne den Transporter ist mein Geschäft gefährdet“, wird die Frau zitiert. Zweite Kronzeugin des Autoclubs ist eine Familie, deren Mitte 2007 gebraucht gekaufter VW-Bus bestenfalls „gelb“ werden kann und deshalb nun billig verkauft werden müsse.

Was der ADAC seinen rund 14 Millionen Mitgliedern verschwieg: Für Härtefälle wie den der Floristin gibt es – zugegebenermaßen nicht ganz billige – Einzelausnahmen bei den Bezirksämtern. Ebenso wenig wird hinterfragt, warum die Familie ein halbes Jahr vor der Einführung der Umweltzone, also zwei Jahre nach Verabschiedung der Fahrverbotsregeln durch den Senat und inmitten in der Mediendebatte zum Thema, ausgerechnet ein zehn Jahre altes Dieselauto ohne Rußfliter kaufen musste. Der Text, der mit den Worten „Obwohl kein Nutzen feststellbar ist …“ beginnt, komplettiert die Polemik. Kein Wort dazu, dass die existierenden Umweltzonen sich im Ernstfall stets als gerichtsfest erwiesen haben und bundesweit inzwischen rund 40 Kommunen dem Berliner Vorbild folgen. Nur ein vom ADAC bestelltes Gutachten kam zu dem Ergebnis, die Berliner Umweltzone bringe nichts. Städte wie Leipzig und Stuttgart basteln zurzeit eilig an Fahrverboten, um millionenschwere Strafzahlungen an die EU wegen versäumter Luftreinhaltung abzuwenden. In München hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) am Tag vor Silvester für einen Bürger auf Ausweitung der Umweltzone geklagt, weil die Feinstaubgrenzwerte vor seiner Haustür massiv überschritten werden: Die Messstelle an der Landshuter Allee führt mit 53 Überschreitungstagen (erlaubt sind 35) die bundesweite Negativliste an. Auch in Dortmund ist eine Anwohnerklage in Arbeit; weitere sollen folgen, um säumige Verwaltungen zum Handeln zu zwingen.

Dieser Überblick zeigt, wie brisant das Thema noch immer ist. Erst recht, weil mit der zweiten Stufe zum Jahreswechsel in Berlin deutlich mehr Fahrzeuge ausgesperrt wurden als bei der Premiere 2008. Im August waren nach Auskunft der Umweltverwaltung fast 120 000 einheimische Fahrzeuge mit gelben und roten Plaketten zugelassen – also jedes zehnte im Berliner Bestand. Zumindest von den damals 56 000 „gelben“ Pkw lassen sich zwar fast alle nachrüsten, aber die Verwaltung rechnet trotzdem mit 18 000 Anträgen auf befristete Einzelausnahmen. Vor zwei Jahren waren es gut 10 000, von denen 80 Prozent genehmigt worden sind.

Ein Kuriosum dabei ist, dass die Verwaltung sich an einem nach heutigem Stand der Wissenschaft fragwürdigen Grenzwert abkämpfen muss: Für die Feinstaubrichtlinie der EU zählt bisher nur die Belastung mit „PM 10“, also Schwebstaubpartikeln von höchstens zehn Mikrometern Größe. In diesem Gemisch ist von Blütenpollen über märkischen Sand bis zu Streusalzkristallen alles Mögliche enthalten, was weder besonders heikel noch durch Verbote zu beseitigen ist. Der gesundheitsschädlichste Bestandteil des Feinstaubes fällt – im Wortsinne – kaum ins Gewicht: Ultrafeine Rußteilchen, die noch hundertmal kleiner sind als der „grobe“ Feinstaub. Sie stammen ganz überwiegend aus modernen Dieselmotoren ohne Rußfilter. Für diesen besonders giftigen Staubanteil sind erst in einigen Jahren EU-Grenzwerte in Sicht. Allerdings wird er schon jetzt mitbekämpft: Durch die Fahrverbote für filterlose Dieselautos. Laut einem Gutachten im Auftrag der Umweltverwaltung ging die Rußbelastung dank der Umweltzone in Berlin um etwa 15 Prozent zurück – und damit stärker als die allgemeine Feinstaubbelastung.

An der sterben EU-weit jährlich rund 300 000 Menschen vorzeitig, etwa durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Diese Zahl hält Axel Friedrich, Experte für Luftschadstoffe, den Kritikern von Bürokratie und Fahrverboten entgegen. „Wir reden also nicht von Spatzen. Und die Kanonen, mit denen wir schießen, sind noch zu klein“, sagt er. Hinzu kommt nach Erkenntnissen der Weltgesundheitsorganisation WHO, dass Feinstaub – im Gegensatz zu anderen Schadstoffen – in jeder Dosis schädlich sein kann. Also gilt: Je weniger, desto besser.

Mit dem Jahresbeginn ist noch eine weitere EU-Richtlinie in Kraft getreten. Sie legt die Belastung mit gesundheitsschädlichem Stickstoffdioxid fest – und wurde im vergangenen Jahr an allen Berliner Straßenmessstationen überschritten. Der Senat hofft, durch die strenge Plakettenregelung auch dieses Problem in den Griff zu bekommen. Außerdem weiß die Verwaltung: Würde sie, wie vom ADAC gefordert, die Regeln lockern, stünden Anwohnerklagen ins Haus. Mit großen Erfolgschancen, denn der Europäische Gerichtshof hat bereits entschieden, dass Bürger ein Recht auf möglichst saubere Luft haben. Stefan Jacobs

Weitere Informationen online:

www.berlin.de/umweltzone

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